Am Ende der Nacht sind elf Menschen tot. Erschossen in Hanau, wohl von ein und demselben Täter, der gleich an mehreren Orten zuschlug. Wie die Tat ablief und was dahintersteckt lesen Sie in unserem Protokoll.
Es ist eine kleine Online-Nachrichtenseite für die Region Main-Kinzig, die zuerst am späten Mittwochabend vermeldet: "Mehrere Tote bei Schießerei in Hanau".
Spätestens als aber die Polizei um kurz nach Mitternacht einen Großeinsatz vermeldet und öffentlich "nach noch unbekannten Tätern" fahndet, wird deutschlandweit und international über die Tat im hessischen Hanau bei Frankfurt am Main berichtet. Im Laufe der Nacht werden immer mehr Details der Tat bekannt, die am Ende elf Menschen das Leben gekostet hat.
Was in den vergangenen Stunden in Hanau passierte und was dahintersteckt – ein Protokoll
22:00 Uhr: Nach Polizeiinformationen fallen die ersten Schüsse in Hanau. Knapp eine Viertelstunde später wird laut Lokalmedien der Rettungsdienst alarmiert.
Lange Zeit herrscht Unklarheit darüber, was genau passiert ist.
23:47 Uhr: Durch Schüsse sind mehrere Menschen getötet worden, sagt ein Sprecher der Polizei Hanau der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die genaue Zahl der Toten ist weiter unklar.
Dem Hessischen Rundfunk zufolge ist zunächst eine Shisha-Bar in der Hanauer Innenstadt angegriffen worden. Augenzeugen berichten demnach von acht bis neun Schüssen. Danach soll es zu weiteren Schüssen in einer zweiten Shisha-Bar im Stadtteil Kesselstadt gekommen sein.
23:50 Uhr: Die Lokalzeitung "Hanauer Anzeiger" vermeldet wohl als eines der ersten Medien Angaben zur Opferzahl: Demnach sollen acht Menschen getötet und fünf weitere schwer verletzt worden sein.
00:18 Uhr: Die zuständige Polizei Offenbach informiert um kurz nach Mitternacht die Öffentlichkeit. Die Beamten nennen zwei Tatorte: einer am Hanauer Heumarkt, einer am Kurt-Schumacher-Platz – "von dort sei ein dunkles Fahrzeug davongefahren", heißt es in der Polizeimeldung. Zwischen beiden Orten liegen mehr als zwei Kilometer Distanz.
Eine Großfahndung ist angelaufen, auch die Kriminalpolizei nimmt die Ermittlungen auf.
"Fahndung läuft auf Hochtouren"
00:49 Uhr: Die Polizei bestätigt, dass acht Personen tödlich verletzt wurden. "Die Fahndung nach den Tätern läuft auf Hochtouren. Zu den Hintergründen liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor", erklären die Beamten.
02:24 Uhr: Die Polizei Südosthessen bittet auf Twitter: "Keine Videos, Sprach- oder Textnachrichten unbekannter Quellen verbreiten." Sie betont: "Spekulationen helfen uns nicht weiter."
05:03 Uhr: Die Polizei findet den mutmaßlichen Täter tot in seiner Wohnung im Hanauer Ortsteil Kesselstadt. Spezialkräfte der Polizei entdecken dort auch eine weitere Leiche.
Nach Aussagen von Zeugen hatte die Polizei Hinweise auf den mutmaßlichen Täter und sein Fluchtfahrzeug erhalten – welches im Rahmen der Großfahndung ermittelt werden konnte.
05:33 Uhr: "Hinweise auf weitere Täter gibt es derzeit nicht", erklärt die Polizei. Die Zahl der Todesopfer in den beiden Bars erhöht sich auf neun, insgesamt sind nun elf Tote zu beklagen.
06:23 Uhr: Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky äußert sich auf seiner Facebook-Seite: "Nach den schrecklichen Ereignissen dieser Nacht hat unsere Stadt elf Todesopfer zu beklagen." Weiter schreibt der SPD-Politiker: "Meine Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Opfer. Ihnen gilt mein tief empfundenes Beileid." Aufgrund der noch gesperrten Zufahrten und laufenden Ermittlungen bleiben zudem eine Schule sowie zwei Kitas am Donnerstag geschlossen, erklärt Kaminsky.
Bundesregierung: "Die Gedanken sind bei den Menschen in Hanau"
06:34 Uhr: Die Bundesregierung reagiert bestürzt auf das schwere Gewaltverbrechen: "Die Gedanken sind heute Morgen bei den Menschen in Hanau, in deren Mitte ein entsetzliches Verbrechen begangen wurde", schreibt Regierungssprecher
07:29 Uhr: Nach Informationen aus Sicherheitskreisen ist ein Bekennerschreiben und ein Video gefunden worden. Beides werde nun ausgewertet.
In dem Video spricht der Mann in fließendem Englisch von einer "persönlichen Botschaft an alle Amerikaner". Der Clip wurde offensichtlich in einer Privatwohnung aufgenommen, ins Netz gestellt wurde er am 14. Februar. Darin sagt der Mann, in den USA existierten unterirdische Militäreinrichtungen, in denen Kinder misshandelt und getötet würden. Dort würde auch dem Teufel gehuldigt. Amerikanische Staatsbürger sollten aufwachen und gegen diese Zustände "jetzt kämpfen". Ein Hinweis auf eine bevorstehende eigene Gewalttat in Deutschland ist in dem Video nicht enthalten.
08:27 Uhr: Der Generalbundesanwalt übernimmt die Ermittlungen wegen der besonderen Bedeutung des Falls. Das sagt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Nach dpa-Informationen sind Hinweise auf eine ausländerfeindliche Motivation des mutmaßlichen Täters der Grund.
Verdacht einer terroristischen Gewalttat
10:16 Uhr: Der Generalbundesanwalt ermittelt nun wegen Terrorverdachts. "Er stuft das Verbrechen als Verdacht einer terroristischen Gewalttat ein", sagt Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) im Landtag in Wiesbaden.
Der Todesschütze sei Tobias R., ein 43 Jahre alter Deutscher aus Hanau. Die Polizei werte derzeit seine Webseite aus. "Erste Auswerteergebnisse der Homepage des mutmaßlichen Täters deuten auf ein fremdenfeindliches Motiv hin." Der Mann habe wohl allein gehandelt. "Bislang liegen keine Hinweise auf weitere Täter vor." Beuth verurteilt die Tat: "Es ist ein Anschlag auf unsere freie und friedliche Gesellschaft."
Die Ermittler gehen demnach davon aus, dass der Mann seine 72 Jahre alte Mutter und sich selbst erschossen hat. "Beide wiesen Schussverletzungen auf, die Tatwaffe wurde bei dem mutmaßlichen Täter gefunden."
10:50 Uhr: Unter den Todesopfern sind nach ersten Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden viele Menschen mit Migrationshintergrund. Ob unter ihnen auch ausländische Staatsbürger sind, ist zunächst nicht bekannt.
11:40 Uhr: Die deutschen Innenminister gehen nach Angaben des bayerischen Ressortchefs Joachim Herrmann von einem rechtsradikalen Hintergrund aus. Der Täter habe "eine Reihe überwiegend aus dem Ausland stammender Menschen erschossen", sagte der CSU-Politiker.
Donnerstag-Nachmittag: Es ist klar: Der 43-jährige Tobias R. hat insgesamt zehn Menschen und am Ende sich selbst getötet.
Es kristallisieren sich auch die Hintergründe der Tat heraus: Der gebürtige Hanauer veröffentlichte auf seiner Internetseite ein 24-seitiges Pamphlet, eine "Botschaft an das gesamte deutsche Volk", und lud auf YouTube ein knapp zweiminütiges Video hoch. Beide Dokumente sind mittlerweile gelöscht, sie liegen aber unserer Redaktion vor. Sie zeigen eine deutlich rassistische und antisemitische Weltsicht sowie rechtsradikale Vernichtungsfantasien des mutmaßlichen Mörders.
Mit Material der dpa.
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