Nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln fragen sich viele Menschen erschrocken, wie es zu den schrecklichen Taten kommen konnte. Laut Sozialpsychologe Ulrich Wagner ist in derartigen Situationen häufig maßgeblich, dass interne und externe Kontrollmechanismen nicht mehr greifen.

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Für ein vollständiges Bild der Vorkommnisse am vergangenen Donnerstag fehlen noch einige Informationen. Es gibt keine gesicherten Fakten zu den Tätern, auch ist noch nicht ganz klar, was genau passiert ist. Unbestritten ist jedoch, dass es an diesem Abend eine ungewöhnlich große Häufung von Straftaten gegeben hat. Von mehreren Dutzend sexuellen Übergriffen ist die Rede, dazu von Diebstahl und Raub. Frauen wurden von mehreren Männern umringt, begrapscht und verhöhnt.


Mitunter wird sogar von einer "neuen Dimension der Gewalt" gesprochen. Justizminister Heiko Maas (SPD) äußerte am Mittwoch im ZDF-Morgenmagazin die Vermutung, dass die Übergriffe vorab verabredet gewesen seien. "Das Ganze scheint abgesprochen gewesen zu sein", sagte er. "Es wäre schön, wenn das keine organisierte Kriminalität wäre, aber ich würde das gerne mal überprüfen, ob es im Hintergrund Leute gibt, die so etwas organisieren." So etwas passiere nicht aus dem Nichts.

Schutz durch Anonymität

Der Sozialpsychologe Ulrich Wagner von der Universität Marburg sieht das nicht unbedingt so. "Es kann sein, dass sich die jungen Männer zum Taschendiebstahl verabredet haben, es muss aber nicht so sein." Möglicherweise hätten sie sich, etwa via Facebook, einfach so zum Treffen verabredet - ganz ohne Hintergedanken. "Plötzlich kommt irgendjemand innerhalb einer Gruppe oder eine kleine Gruppe innerhalb der Masse auf die Idee, eine Frau zu bedrängen und auszurauben. Das wird von anderen gesehen und nachgemacht."


Begünstigt werde eine solche Dynamik durch die Anonymität der Masse, die Sozialpsychologen auch De-Individualisierung nennen. "Generell ist es so, dass bei großen Menschenansammlungen die Kontrollmechanismen nicht mehr greifen", sagt Wagner. Dabei wird zwischen internen und externen Kontrollmechanismen unterschieden. Die internen Kontrollmechanismen sorgen dafür, dass jemand sich bewusst ist, dass er für sein Verhalten verantwortlich gemacht werden kann, weil er sich unter Beobachtung fühlt. In einer großen Masse sei das nicht so sehr der Fall, sagt Wagner.

Kritik an der Polizeiarbeit

Ein wichtiger externer Kontrollmechanismus ist die Staatsgewalt, also die Polizei. Ihr wurden in den vergangenen Tagen unter anderem von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Vorwürfe gemacht, sie sei zu passiv geblieben. "Da wird der Platz geräumt - und später finden diese Ereignisse statt, und man wartet auf Anzeigen. So kann die Polizei nicht arbeiten", kritisierte de Maizière.


Auch Ulrich Wagner ist der Meinung, dass die Polizei auf jeden Fall präpariert und in der Lage sein müsse einzugreifen. Er wisse jedoch, dass das bei Massenveranstaltungen oft schwierig sei.

Zudem weist er auch darauf hin, dass es für die Sicherheitskräfte bei großen Festen wie Silvester und Karneval immer schwierig sei, das richtige Maß zwischen zu viel und zu wenig Präsenz zu finden.
Der Sozialpsychologe plädiert in diesem Zusammenhang für mehr Achtsamkeit und Zivilcourage. "Wir Bürger müssen lernen, schnell zu reagieren, wenn wir solche Übergriffe als Dritte beobachten." Ein direktes Eingreifen sei oft gar nicht unbedingt geboten, es reiche, die Polizei schnell einzuschalten, die ja vor Ort präsent war. Um das richtige Verhalten bei beobachteten Straf- und Gewalttaten zu lernen, gebe es zahlreiche Initiativen, zum Beispiel "Gewalt Sehen Helfen" in Frankfurt am Main.

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