Ulvi K. wurde zu Unrecht verurteilt: Der geistig Behinderte 36-Jährige ist nicht für den Mord an der seit 13 Jahren verschwundenen Peggy verantwortlich. Nachdem er 2001 wegen eines mittlerweile zurückgezogenen Geständnisse zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, hob ein Gericht dieses Urteil nun auf und sprach ihn frei. Die Akte Ulvi K. ist nicht der erste Fall von Justizirrtum in Deutschland. Immer wieder geraten Unschuldige in das Visier der Ermittler und werden verurteilt.

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"Justizirrtümer lassen sich nicht gänzlich ausschließen", lautet der Standardsatz der Behörden. Glaubt man Ralf Eschelbach, Richter am Bundesgerichtshof, ist jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil. Bei den Ermittlungen oder vor Gericht können Fehler passieren. Die Konsequenzen für Betroffene sind meist tragisch. Verantwortung wird jedoch nur selten übernommen.

Der Fall Gustl Mollath

Der Fall des ehemaligen Psychiatriepatienten Gustl Mollath ging vor einigen Monaten deutschlandweit durch die Medien. 2006 wurde der ehemalige Controller und Besitzer einer Kfz-Werkstatt wegen vermeintlicher Wahnvorstellungen und Gemeingefährlichkeit in die Psychiatrie eingewiesen. Laut Urteil soll Mollath seine Frau geschlagen und die Reifen Dutzender Autos zerstochen habe. Darüber hinaus wurde ihm durch das Gutachten eines Sachverständigen ein paranoider "Schwarzgeldkomplex" attestiert. Im Anschluss verbrachte der heute 57-Jährige sieben Jahre in verschiedenen geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen.

Jahrelang kämpften Mollath und seine Unterstützer für eine Freilassung aus der Zwangsunterbringung. Sie glaubten, Mollath sei Opfer eines Komplotts seiner früheren Ehefrau und der Justiz geworden, weil er Schwarzgeldgeschäfte seiner Frau bei der Hypo Vereinsbank aufgedeckt habe. Nach einer großen politischen und öffentlichen Debatte wurde 2013 schließlich eine Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet. Mollath kam unverzüglich frei und versucht seitdem in ein geordnetes Leben zurückzufinden. Laut einer Mitteilung des zuständigen Landgerichts wird das Wiederaufnahmeverfahren am 7. Juli 2014 beginnen. Dann soll Mollaths Schuldfähigkeit durch ein erneutes psychiatrisches Gutachten festgestellt werden.

Harry Wörz: Viereinhalb Jahre unschuldig in Haft

Auch Harry Wörz hat das Unvorstellbare erlebt. Seine von ihm getrennt lebende Ehefrau wurde 1997 beinahe ermordet. Wörz galt schnell als Hauptverdächtiger, obwohl viele Indizien gegen ihn sprachen und weitere Verdächtige vorhanden waren. Zahlreiche Ermittlungs- und Rechtsfehler prägten den Prozess. Als Hauptmotiv galt beispielsweise die Lebensversicherung seiner damaligen Frau. Dabei wäre Wörz für diese gar nicht bezugsberechtigt gewesen. Doch der zuständige Richter verurteilte den gelernten Bauzeichner trotzdem zu elf Jahren Gefängnis wegen versuchten Totschlags. Viereinhalb Jahre verbrachte Wörz unschuldig hinter Gittern.

Doch er gab nicht auf, ging in Revision, schrieb Anträge und legte Beschwerden ein. In einem Wiederaufnahmeverfahren wurde er schließlich freigesprochen. Weitere 10 Jahre musste der heute 48-jährige um die Anerkennung seiner Integrität kämpfen. Erst 2010 wurde seine Unschuld rechtskräftig. Bis heute kämpft Wörz um Schadensersatz. Der Täter ist immer noch frei. "Im Ergebnis konnte gegen keine Person ein hinreichender Tatverdacht begründet werden", verkündete ein Gerichtssprecher damals.

"Entsorgte" Leiche taucht plötzlich wieder auf

Im März 2009 zogen Polizisten in Ingolstadt ein Autowrack aus der Donau. Am Steuer fanden die Beamten den unversehrten Leichnam eines vermissen Bauern aus der Region. Laut Rechtsprechung wäre dies jedoch überhaupt nicht möglich gewesen: Denn einige Jahre zuvor waren die Ehefrau, zwei Töchter und der Schwiegersohn des Vermissten zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Sie hatten gestanden, den damals 52-Jährigen erschlagen, zerteilt und an die Hofhunde verfüttert zu haben. Noch vor Prozessbeginn hatten die Angeklagten ihr Geständnis zwar widerrufen, verurteilt wurden sie dennoch. Trotz des Auffindens der Leiche viele Jahre später lehnte die Justiz ein Wiederaufnahmeverfahren lange ab.

Erst 2011 wurden die Familienangehörigen des Toten, die ihre Hafttrafen mittlerweile abgesessen hatten, freigesprochen. Wie die detaillierten falschen Geständnisse vor dem ersten Prozess zustande kamen, ist bis heute nicht geklärt. 2012 erhob der "Spiegel" in einer Reportage schwere Anschuldigungen gegenüber den Behörden: Das Magazin berichtete, dass die Geständnisse der beschuldigten Angehörigen erst unter großem Druck der ermittelnden Beamten zustande gekommen waren.

Unschuldig als Sexualstraftäter verurteilt

Auch ein ehemaliger Lehrer aus Hessen saß von 2002 bis 2006 unschuldig im Gefängnis. Eine Kollegin hatte den damals alkoholkranken Mann beschuldigt, sie an ihrem Arbeitsplatz vergewaltigt zu haben. Nach nur wenigen Prozesstagen wurde der 42-Jährige wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Nötigung zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Erst nachdem der Pädagoge seine Haftstrafe bis zum letzten Tag abgesessen hatte, kamen Zweifel an seiner Schuld auf.

Einer Mitarbeiterin des Schulamts waren nachweislich falsche Aussagen des angeblichen Opfers aufgefallen. Sie strebte eine erneute Untersuchung des Falls an, welche einen Freispruch des vermeintlichen Täters wegen "erwiesener Unschuld" zur Folge hatte. Trotz der gerichtlichen Rehabilitierung fand der Hesse nicht mehr in ein normales Leben zurück. Mehrere Bewerbungen an verschiedenen Schulen hatten wegen seiner Vorgeschichte keinen Erfolg. Ende Juni 2012 verstarb er an Herzversagen. Der ehemaligen Kollegin konnten die falschen Verdächtigungen nicht mehr zur Last gelegt werden. Sie waren verjährt. Stattdessen wurde sie wegen Freiheitsberaubung angeklagt.

Nach Fehlurteil 888 Tage im Gefängnis

Der Fall einer unschuldig verurteilten Berlinerin erregte vor wenigen Jahren ebenfalls bundesweite Empörung. 2003 brannte das Elternhaus einer Arzthelferin vollständig ab, ihr schwerkranker Vater starb in den Flammen. Die Frau wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das zuständige Gericht sah es als erwiesen an, dass sie den Brand selbst gelegt hatte, um ihren Vater zu töten und früher an das Erbe und die Versicherungsgelder zu kommen. Ein Brand-Gutachten bestätigte dies.

Mit Unterstützung ihrer Familie ging die Frau gegen das Urteil vor. Und tatsächlich: Eine neue Untersuchung ergab ein anders Szenario. Der kranke Vater war mit einer Zigarette im Bett eingeschlafen und hatte so selbst einen Schwelbrand ausgelöst. Im zweiten Verfahren bestätigte das Gericht den Ermittlungsfehler: "Die Gutachter wendeten eine Methode an, die - vorsichtig ausgedrückt - in Teilen der Fachwelt als nicht ganz unproblematisch angesehen wird."

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