Der Bundeswehr kommen immer wieder Kampfmittel abhanden und dabei handelt es sich nicht um geringe Verluste. Wie Berichte des Bundestags zeigen, ist unter anderem der Verbleib von Dutzenden Kilogramm Sprengstoff und Zehntausenden Schuss Munition ungeklärt. Wie können Waffen einfach verschwinden und wo landen sie am Ende?
Waffenverluste bei der Bundeswehr kommen immer wieder vor. Gerade in diesem Sommer häuften sich die Berichte darüber auffällig:
Im Juli erlangte "Die Welt" Einsicht in die vertrauliche Antwort auf eine parlamentarische Anfrage, der zufolge der Bundeswehr seit 2010 mindestens 60.000 Schuss Munition abhandengekommen sein sollen. Erst Ende Juni hatte das Verteidigungsministerium darüber hinaus in einem Untersuchungsbericht festgestellt, dass der Verbleib von 48.000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff aus dem Bestand der Spezialeinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK) ungeklärt ist.
Laut einer Drucksache des Bundestags wurden in den Jahren 2003 bis 2013 in Liegenschaften der Bundeswehr 524 Einbrüche und 460 Diebstähle verzeichnet, davon 14 Munitions- und 30 Waffendiebstähle. Außerdem sollen Handgranaten, Sprengkapseln, Sprengschnüre und Sprengkörper gestohlen worden sein.
Wie verwaltet die Bundeswehr Waffen und Munition?
Dass immer wieder Waffen und Munition verschwinden können, verwundert angesichts der strikt organisierten Abläufe innerhalb der Bundeswehr. Die Munitionsbestände werden laut Auskunft der Bundesregierung "in festgelegten logistischen Verfahren urkundlich und physisch nachgewiesen und bewirtschaftet. Jede Bewegung auf den Bestandskonten der Lagereinrichtungen und Dienststellen wird mit Belegen dokumentiert."
Demnach gilt für die Lagerung, Ausgabe und Rücknahme das Mehr-Augen-Prinzip durch unterschiedliches logistisches Fachpersonal. Das werde auch bei der Schießausbildung eingehalten. Die große Zahl an Waffen- und Munitionsverlusten zeigt aber, dass es trotz dieser strengen Vorschriften erhebliche Sicherheitslücken geben muss.
"An sich dürften sich Munitionsverluste gar nicht ereignen, wenn sich jeder in der Bundeswehr an die bestehende Vorschriftenlage halten würde", teilt Tobias Lindner, der Grünen-Sprecher für Sicherheitspolitik im Bundestag, auf Anfrage unserer Redaktion mit. "Vermutlich haben wir es mit einer Mischung aus Schlamperei und teils auch krimineller Energie zu tun."
Genaue Zahl der Verluste unbekannt
Darüber, wie viele Waffen in der Geschichte der Bundeswehr insgesamt verloren gegangen sind, gibt es keine zentrale Statistik. Die genannten Zahlen wurden jeweils anlassbezogen ermittelt. Dazu kommt, dass die Bundesregierung einen Teil der Informationen über Munitions- und Waffenverluste bei der Bundeswehr mit Verweis auf das Staatswohl geheim hält.
Zudem ist die Zuverlässigkeit der Zahlen zweifelhaft. Bundesverteidigungsministerin
Wie können Waffen und Munition verloren gehen?
Ob die gesamte fehlende Munition gestohlen wurde, ist der Bundesregierung zufolge nicht zu ermitteln. Sie sieht vier Möglichkeiten, wie es zu Differenzen im Bestand kommen kann: Ein tatsächlicher Verlust könne durch Diebstahl entstehen oder dadurch, dass Munition bei Übungen verloren geht. Daneben könne es auch zu einer rechnerischen Differenz kommen, ohne dass Munition tatsächlich abhandenkommt. Als mögliche Ursachen dafür sieht sie Fehler bei der Buchhaltung oder eine falsche Erfassung bei der Bestandsüberprüfung.
Um solche Verluste in der Zukunft zu verhindern, müsse überprüft werden, ob die bestehenden Vorschriften zum Umgang mit Munition praktikabel sind, fordert Lindner. "Dort, wo eine digitale Erfassung von Munition helfen kann, sollte sie eingeführt werden. Aber natürlich müssen auch die militärischen Vorgesetzten klarmachen, dass sie keine Schlamperei oder Nachlässigkeit in diesem Bereich dulden", so der Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestags.
Dass nicht unerhebliche Mengen an Waffen, Munition und Sprengstoff tatsächlich bewusst entwendet werden, steht außer Frage. Das wird deutlich, wenn Kampfmittel aus Bundeswehrbeständen wieder auftauchen.
Wo landen Bundeswehr-Kampfmittel?
Jüngst hat der Waffenfund im Garten eines KSK-Soldaten im sächsischen Collm für Wirbel gesorgt. Nach Angaben des sächsischen Justizministeriums hatte der 45-Jährige zwei Kilogramm Sprengstoff, mehrere Tausend Schuss Gewehr- und Pistolenmunition, mehrere Schusswaffen, eine Armbrust, eine Nebelhandgranate sowie Waffenteile auf seinem Grundstück versteckt. Zumindest ein Teil davon – so wird vermutet – soll aus Bundeswehrbeständen stammen.
Immer wieder werden Bundeswehr-Waffen auch im Ausland gefunden. In einer Drucksache aus dem Jahr 2012 listet die Bundesregierung beispielsweise allein im Jahr 2009 in Afghanistan sichergestellte Kampfmittel aus deutscher Produktion auf. Die Waffenfunde reichen von 1968 in der damaligen DDR hergestellten Handgranaten bis hin zu Sprengkörpern, die aktuell noch bei der Bundeswehr in Gebrauch sind.
Und sogar dazwischen – auf dem Weg aus Deutschland ins Ausland – können Bundeswehr-Waffen verschwinden. 2016 gaben Bundeswehr-Soldaten laut "Welt" ihre Dienstwaffen mit 880 Schuss Pistolenmunition in Berlin-Tegel auf. Sie waren per Linienflug unterwegs zu einem Einsatz in Mali. Die Box mit den Waffen kam nie an. Es wurde Diebstahl vermutet.
Ein umfassenderes Bild über den Verbleib von Bundeswehr-Kampfmitteln könnte der Bericht einer neu eingerichteten Arbeitsgruppe zeichnen. Diese soll ihre Überprüfungen laut Kramp-Karrenbauer bis zum Jahresbeginn 2021 abschließen.
Verwendete Quellen:
- Stellungnahme von Dr. Tobias Lindner, Sprecher für Sicherheitspolitik der Grünen-Fraktion im Bundestag und Obmann im Verteidigungsausschuss auf Anfrage unserer Redaktion
- Bundesministerium der Verteidigung: Tagesbefehl vom 01.01.2020
- Deutscher Bundestag: Drucksache 18/1265
- Deutscher Bundestag: Drucksache 17/10413
- Deutscher Bundestag: Drucksache 19/20320
- Deutscher Bundestag: Drucksache 18/2171
- Deutscher Bundestag: Drucksache 19/16334
- Deutscher Bundestag: Angaben zu Waffenverlusten geheim
- Deutscher Bundestag: Vermeidung von Munitionsdiebstahl
- Deutscher Bundestag: Entwendung von Bundeswehr-Munition
- Landtag des Freistaates Sachsen: Antwort auf Kleine Anfrage 7/2403
- Focus Online: Fluggesellschaft verliert Bundeswehr-Kiste mit Dienstwaffen und Munition
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