Ein "Jahrhundert-Unwetter" reißt in Spanien mindestens 95 Menschen in den Tod. Mehr Opfer sind zu befürchten, um Vermisste wird gebangt - und trotzdem setzt auch schon die Suche nach Schuldigen ein.
Nach der Unwetterkatastrophe mit mindestens 95 Toten wird in Spanien die Suche nach Leichen, Vermissten und von der Außenwelt abgeschnittenen Menschen in der Nacht fortgesetzt. "Wegen der Dunkelheit müssen allerdings viele Aktivitäten bis Tagesanbruch unterbrochen werden", sagte der Leiter der Notfallabteilung des spanischen Roten Kreuzes, Iñigo Vila, am Abend dem staatlichen Fernsehsender RTVE.
Unter den Toten sind laut spanischen Medienberichten mindestens vier Kinder und sechs alte Menschen in einem Pflegeheim. Befürchtet wird, dass die Opferzahl weiter ansteigt. Eine offizielle Gesamtzahl der Vermissten lag nicht vor. Hilfe benötigten auch Tausende Menschen, die in Fahrzeugen, Häusern und Dörfern ausharrten.
Dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag
Besonders schlimm ist die Lage in der bei Urlaubern sehr beliebten Region Valencia, wo 92 der insgesamt 95 bislang bestätigten Todesopfern geborgen wurden. Schwer betroffen sind aber auch andere Regionen am Mittelmeer wie Andalusien und Murcia sowie Kastilien-La Mancha. Die Zentralregierung in Madrid rief eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag aus. Sie sicherte den Betroffenen auch schnelle Hilfe beim Wiederaufbau zu.
In der Nacht waren zahlreiche Autobahnen und Landstraßen weiter unbefahrbar. Auch der Bahnverkehr wurde erheblich beeinträchtigt. Rund 115.000 Haushalte waren ohne Strom, zudem gab es weiter Probleme mit den Handyverbindungen.
Rund 1.200 Menschen saßen am Abend seit über 24 Stunden in Fahrzeugen fest
Ein Sprecher der Polizeieinheit Guardia Civil schätzte am Abend, dass auf den Autobahnen A3 und A7 noch 1.200 Menschen in Autos, Bussen oder Lastwagen gefangen seien. Es gebe aber auch viele, die ihre Fahrzeuge nicht verlassen wollten, hieß es. Demnach steckten in Valencia 5.000 - teils von Fahrern und Passagieren verlassene - Fahrzeuge fest.
Auch in Zügen, Häusern, Büros, Schulen und Einkaufszentren sind seit Dienstagabend viele Tausende Menschen eingeschlossen. Andere suchten auf Dächern von Autos oder Häusern Schutz. Sie wurden am Mittwoch von Tausenden Einsatzkräften des Militärs, des Zivildienstes, der Feuerwehr und der Polizei zum Teil unter Einsatz von Hubschraubern und Booten in Sicherheit gebracht.
Was hat die Tragödie ausgelöst? Bei extrem starkem Niederschlag - mancherorts fiel innerhalb von einem Tag so viel Regen wie sonst in einem Jahr - waren am Dienstag immer mehr Flüsse über die Ufer getreten. Der Wetterdienst Aemet sprach von einem "historischen Unwetter", dem schlimmsten solcher Art in diesem Jahrhundert in der Region Valencia.
Unzählige Straßen verwandelten sich blitzschnell in reißende Ströme. Gebäude und Felder wurden unter Wasser gesetzt. Straßen, Häuser und kleinere Brücken brachen weg. Bäume, Container, Autos, Lastwagen und Menschen wurden vom Wasser wie Spielzeug mitgerissen. Fahrzeuge wurden ineinander geschoben und zu Schrottbergen aufgetürmt.
Überlebende berichteten von erschütternden Erlebnissen. Ein 57-jähriger Mann erzählte der Zeitung "El País", er habe in Paiporta nahe der Provinzhauptstadt Valencia auf einem Bauwagen Zuflucht gesucht und von dort aus mehreren Menschen im Wasser helfen wollen. "Ich hielt sie an der Hand fest, aber die Strömung war so brutal und so schnell, dass wir getrennt wurden und sie von der Flut fortgerissen wurden."
Kamen die Warnungen zu spät?
Obwohl das ganze Ausmaß der Tragödie noch nicht bekannt ist und die Such- und Rettungsarbeiten noch länger anhalten werden, hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen. Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der "Dana" oder des "kalten Tropfens" gefährlich sei. Es tritt zu Herbstbeginn, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben, im Süden und Osten Spaniens häufiger auf.
Die Regionalregierung und auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche "brutalen Folgen" nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert.
Am Donnerstag soll das Wetter besser werden. Unwetterwarnungen gelten noch für Teile von Andalusien und Extremadura im Westen und für Teile von Katalonien im Nordosten des Landes. Die vorausgesagten Niederschlagsmengen halten sich in Grenzen. Die Katastrophe ist trotzdem noch längst nicht überstanden, wie die Behörden immer wieder warnen. (dpa/bearbeitet von fte)
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