• Die Hochwasserkatastrophe hat uns die Verwundbarkeit unserer Städte vor Augen geführt.
  • Wie können wir lernen, besser mit solchen Risiken umzugehen?
  • Ein Experte für Stadtplanung und eine Risikoforscherin beleuchten das Thema.

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Das Hochwasser an Ahr und Erft wird nicht das letzte seiner Art sein. Angesichts des menschengemachten Klimawandels sind in Zukunft vermehrt solche Ereignisse zu erwarten. Wie können wir also die Auswirkungen solcher Naturkatastrophen möglichst gering halten? Und so die Städte in den Gefahrengebieten und damit die Menschen besser schützen?

Zwei Experten beleuchten das Thema für unsere Redaktion aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Risikoforscherin Pia-Johanna Schweizer untersucht, wie wir Risiken generell einschätzen und mit Gefahren leben können. Der Stadtforscher Mark Kammerbauer entwirft Szenarien, wie wir Städte in Zukunft intelligenter gestalten können.

Es gebe eine ganze Bandbreite von baulichen Mitteln, um gegen Hochwasserereignisse angemessen vorbereitet zu sein, sagt Kammerbauer. Dazu gehörten Deiche, Überflutungsflächen, Rückhaltebecken und mobile Flutschutzwände.

Doch was passiert, wenn das Wasser trotzdem in den Stadtbereich eindringt? Dann spiele die Frage nach der Bodenversiegelung sowie der Schutz von Gebäuden eine wichtige Rolle, sagt Kammerbauer. "Wenn Flächen versiegelt sind, kann Hochwasser nicht vom Boden aufgenommen werden. Dieses Problem wird verstärkt, wenn Kanalsysteme überlastet sind und Hochwasser nicht abgeleitet werden kann."

Hilft die "Schwammstadt" gegen Hochwasser?

Laut Umweltbundesamt werden in Deutschland täglich 56 Hektar unbebauter Boden in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt. Davon werden rund 45 Prozent versiegelt. Das ist weit entfernt vom Nachhaltigkeitsziel der Bundesregierung, den Flächenverbrauch bis 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag zu senken.

Was wäre jedoch die Alternative zu versiegelten Böden? "Hier ist die Verwendung von versickerungsfähigem Oberflächenmaterial für Verkehrsflächen sowie die Planung grüner Infrastruktur und von Renaturierungsmaßnahmen sinnvoll", sagt Kammerbauer.

Die Bauingenieurin und Professorin für Gebäudetechnologie Lamia Messari-Becker prägte in diesem Zusammenhang den Begriff "Schwammstadt". "Dabei geht es darum, dass die Oberflächen das Regenwasser durchlassen und möglicherweise auch speichern", erklärte Messari-Becker in der Sendung von Markus Lanz.

"Grundsätzlich gilt, dem Wasser in der Stadt mehr Raum zu geben", sagt Mark Kammerbauer. Bei den Maßnahmen sei jedoch der jeweilige Kontext wesentlich. "Es gibt keine maßgeschneiderte Lösung für alle Städte."

Das Modell Grimma: Hightech gegen das Hochwasser

Die sächsische Stadt Grimma, die sowohl 2002 als auch 2013 von extremem Hochwasser heimgesucht wurde, setzt auf hochmoderne Schutzanlagen. Dazu gehören eine freistehende Hochwasserschutzmauer mit verschließbaren Toranlagen und eine unterirdische, zwölf Meter tiefe Dichtwand.

"Sich alleine auf eine Schutzmauer zu verlassen und andere Maßnahmen zu vernachlässigen, halte ich für wenig nachhaltig und sozial problematisch", warnt jedoch Mark Kammerbauer. "Vor allem, wenn man nachher dennoch aufräumen und wiederaufbauen muss und das von allen Stadtbewohnern auch erwartet wird."

Kammerbauer sieht solche baulichen Schutzmaßnahmen idealerweise nur als einen Teil einer integrierten Strategie. "Hier ist die Frage wesentlich, wie wir überhaupt in unserer Welt leben wollen", sagt der Städteforscher. "Wollen wir die Natur aussperren oder akzeptieren wir, dass wir ein Teil der Natur sind?"

Ein Thema, das auch die Risikoforscherin Pia-Johanna Schweizer umtreibt: "Der Klimawandel ist menschgemacht. Wenn wir das Erdsystem so sehr aus dem Gleichgewicht bringen können, dass schwere Folgeschäden für Gesellschaften und Ökosysteme eintreten, so haben wir dann auch die Verantwortung, diese Schäden abzuwenden oder zumindest zu mildern."

Ein großes Problem: Der Mensch kann viele Risiken nur schwer einschätzen

Schweizer zeigt auf, dass wir viel über den Einfluss des Menschen auf die Natur wissen, uns aber schwer tun, daraus Konsequenzen zu ziehen. "Als Gesellschaft tun wir uns schwer, angemessen auf die Risiken zu reagieren, die der Klimawandel mit sich bringt. Dabei wird es genau von unserer Reaktion abhängen, wie groß der Schaden sein wird, den er auch bei uns in Deutschland verursacht."

Ein Problem: Der Klimawandel zähle zu den sogenannten systemischen Risiken, die ungleich komplexer und schwieriger zu verstehen und abzuwägen seien als konventionelle Risiken. "Bei konventionellen Risiken, zum Beispiel im Autoverkehr oder am Arbeitsplatz, lässt sich mit Hilfe von klaren Regeln und Bestimmungen das Risiko von Unfällen minimieren", erklärt Schweizer.

Systemische Risiken jedoch seien anders. "Sie gefährden einerseits grundlegende Funktionen unserer Gesellschaft, denen wir einen hohen Wert beimessen, wie der Gesundheits- und Energieversorgung. Zum anderen lassen sich systemische Risiken nicht eingrenzen. Der Klimawandel ist deshalb ein systemisches Risiko. Seine Auswirkungen betreffen die Menschen überall auf der Welt, wenn auch in ganz unterschiedlicher Form. Für systemische Risiken gibt es daher keine schnellen, einfachen Lösungen."

Schützen Klimaanpassungen unsere Städte vor Naturkatastrophen?

Aus diesem Grund fordert Lamia Messari-Becker "Klimaanpassungen". Im Gegensatz zum "Klimaschutz" versteht sie darunter kurzfristigere Maßnahmen, zum Beispiel bei der Stadtplanung. "Mit Klimaschutz schütze ich unsere Kinder und Enkel. Mit Klimaanpassungen schütze ich auch Leute heute und jetzt", sagte Messari-Becker bei Markus Lanz.

Darüber, wie diese Maßnahmen aussehen sollen, herrscht jedoch selten Einigkeit. "Gerade weil Menschen Risiken unterschiedlich bewerten, je nach Weltsicht und Werten, regt sich häufig Widerstand, wenn es eine Lösung für alle geben soll", sagt Pia-Johanna Schweizer. "Das macht die Suche nach dem rechten Umgang mit Naturkatastrophen wie Hochwasser und systemischen Risiken im Allgemeinen nicht einfach."

Schweizer macht das Problem an einem Beispiel deutlich: "Viele Menschen sind nicht damit einverstanden, riesige Investitionen in den Hochwasserschutz zu stecken, wenn das zu Lasten des Umweltschutzes geht oder dann das Geld für Investitionen in Bildung fehlt."

Trotzdem gebe es so etwas wie einen kleinsten gemeinsamen Nenner: "Bei vielen ist das Gerechtigkeitsempfinden ausgeprägt. Lösungen, die dem Gemeinwohl zuträglich sind und von denen möglichst viele Menschen profitieren, ohne dabei anderen einen Schaden zuzufügen, werden deshalb auch eher akzeptiert als Lösungen, von denen nur eine kleine Gruppe profitiert."

Leben mit dem Risiko – sollten wir in Hochwassergebieten noch siedeln?

Die Stadt Grimma fand eine solche Lösung und investierte 57 Millionen Euro in ihre Hochwasserschutzanlage. Zum Vergleich: Allein das Hochwasser 2002 hinterließ Schäden in Höhe von circa 250 Millionen Euro.

Eines scheint sicher: Das nächste Hochwasser wird kommen. Müssen wir mit solchen Risiken also einfach leben? Und ist es überhaupt noch ratsam, in hochwassergefährdeten Gebieten zu siedeln?

"Vom Hochwasser gefährdete Gebiete wie das Ahr- oder Rheintal und andere Flusslandschaften gehören zu den ältesten menschlichen Siedlungsgebieten, die unsere Kultur bis heute prägen", sagt Schweizer. "Da geht es nicht nur um potenzielle finanzielle Schäden, sondern auch um kulturelle Werte und soziale Identität."

Mark Kammerbauer wünscht sich jedoch ein Umdenken: "In solchen Gebieten ist ein 'Weiter so wie bisher' in Stadtplanung und Bau kaum sinnvoll. Das muss allen Beteiligten, von der Ebene der Regionalplanung bis zur Ebene der kommunalen Bauleitplanung, klar sein. Bestenfalls kann man Bestandsbauten nach dem Prinzip des 'Build Back Better' wiederherstellen, also Gebäude fit machen für die potentielle, nächste Hochwasserkatastrophe."

Können Bäume Flutkatastrophen verhindern?

Auch hier gelte es, dem Wasser genügend Raum zu schaffen, etwa durch Rückbau oder Absiedlung. Wie komplex das Thema jedoch ist, zeigte der Förster und Bestseller-Autor Peter Wohlleben in der Sendung von Markus Lanz.

Die industrielle Forstwirtschaft habe das Hochwasser deutlich mitbefördert, sagte Wohlleben. Sie führe zu Bodenerosion, wodurch die Böden so gut wie kein Wasser mehr aufnehmen könnten. Wohlleben, der in unmittelbarer Nähe der vom Hochwasser stark betroffenen Gemeinde Schuld lebt, schildert eine Beobachtung, die er während des Starkregens gemacht hat.

Im Gegensatz zu den bewirtschafteten Waldflächen sei das Wasser in einem 200-jährigen, naturbelassenen Buchenwäldchen fast komplett versickert. Die Flut sei demnach nicht unten im Tal entstanden, sondern oben auf dem Berg, sagte Wohlleben. Schutz vor Hochwasser umfasst also weit mehr als Städteplanung.

Risiko Hochwasser – ein Ausblick in die Zukunft

Mark Kammerbauer wünscht sich eine Bewältigungsstrategie, "die mit angepassten und angemessenen Mitteln auf das Risiko Hochwasser antwortet und dabei die unterschiedliche Verwundbarkeit der Betroffenen berücksichtigt". Dazu gehörten auch Senioren, Menschen mit Behinderungen, ohne soziale Kontakte oder finanzielle Mittel, denn diese könnten weniger gut mit den Auswirkungen von Katastrophen umgehen.

Zwar sei alles in Vergleichsfällen "bereits recherchiert, dokumentiert, analysiert, publiziert, diskutiert und von vorausschauenden Akteuren bereits an manchen Orten umgesetzt worden". Doch gerade kleine Kommunen bräuchten Unterstützung, "entweder auf interkommunaler Ebene oder über Institutionen und Verbände".

"Es bleibt eine komplexe, langwierige Herausforderung, die bei der zwingend notwendigen psychosozialen Betreuung der Betroffenen anfängt, jedoch mit den baulichen Anpassungen am Objekt und den erforderlichen städtebaulichen Maßnahmen noch lange nicht abgeschlossen ist. Insbesondere, wenn der Klimawandel sich wie vorausberechnet auf unsere Umwelt auswirken wird."

Pia-Johanna Schweizer fordert ein "Maßnahmenbündel, das Anreize bietet, dass Individuen ihr Handeln an Maximen der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit ausrichten". Ihr Fazit ist eindeutig: "Letztlich brauchen wir einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit."

Über die Experten: Mark Kammerbauer ist Urbanist und Director bei der Nexialist Agency for Research and Communication. Er befasst sich mit den Risiken in Stadtplanung, Städtebau und Architektur.
Dr. Pia-Johanna Schweizer leitet die Forschungsgruppe "Systemische Risiken" am Institute for Advanced Sustainability Studies Potsdam.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Mark Kammerbauer
  • Interview mit Pia-Johanna Schweizer
  • Umweltbundesamt.de: Bebauung und Versiegelung
  • Markus Lanz – Spezial vom 20. Juli 2021
  • Markus Lanz vom 27. Juli 2021
  • Website der Stadt Grimma (www.grimma.de)
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