- Strom- und Wasserversorgung ist vielerorts wieder hergestellt.
- Sanierung in vollem Gange, doch Spendengelder kommen mitunter nur langsam an.
- Kein Normalzustand: Sanierungen der Häuser dürften bis nach Weihnachten andauern.
Auch mehrere Wochen nach der verheerenden Unwetterkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind die Spuren der Flutwelle zu sehen. Überall wird weiter aufgeräumt und versucht, die Infrastruktur wiederherzustellen. Seit Wochen packen viele freiwillige Helfer, die Bundeswehr, das Technische Hilfswerk und andere mit an. Wie geht es derzeit den Menschen in den überfluteten Orten konkret?
Die Liste der Baustellen ist lang: unzählige zerstörte und beschädigte Häuser, zehntausende Betroffene, viele Kilometer defekte Straßen, kaputte Autobahnabschnitte und unbefahrbare Brücken. Schrittweise werden die betroffenen Regionen nach der Jahrhundertflut nun wieder aufgebaut – an Normalität ist allerdings nur langsam zu denken.
Eine Belastung weniger: Strom- und Wasserversorgung funktioniert wieder vielerorts
In den Tagen nach der Flut setzten Betroffene zunächst alles daran, die Versorgung mit Strom und Wasser wiederherzustellen. Björn Zimmer, dessen Eltern in Swisttal wohnen, berichtet:
"Wir hatten vor zwei, drei Wochen einen Elektriker im Haus, der erstmal eine provisorische Stromversorgung einrichtete. Jetzt haben meine Eltern immerhin wieder Strom. Auch die Warmwassererwärmung ist darüber behelfsmäßig möglich. Eine Zeit lang mussten wir in Swisttal noch das Wasser abkochen. Die Trinkwasserversorgung ist aber wieder hergestellt."
Die Gemeinde, die im südlichsten Nordrhein-Westfalen liegt, litt tagelang unter der möglichen Einsturzgefahr des Steinbachtalsperre und der Sorge vor einer Flutwelle – viele Bewohner mussten evakuiert werden.
Auch in Erftstadt, das im westlichen Speckgürtel Kölns liegt, ist die Versorgung mit Strom und Wasser wieder hergestellt. "Das ist wichtig, um zu einer gewissen Normalität auch unter diesen belastenden Bedingungen zurückzukehren", sagt die Bürgermeisterin Carolin Weitzel. Ein dramatischer Erdrutsch hatte hier viele Häuser im Stadtteil Blessem stark beschädigt.
Die Rückkehr zur Normalität, so schätzt die Bürgermeisterin, wird allerdings lange Zeit benötigen. Jetzt müssten die Häuser wieder aufgebaut oder saniert und Wohnungen renoviert werden. "Auch das wird die Menschen weiterhin schwer belasten. Viele, die alles verloren haben, stellen sich die Frage, wie es weitergehen wird", sagt sie.
In Erftstadt hätten die Menschen die Trümmer weitgehend beseitigt und seien mit Sanierungsarbeiten in ihren Wohnungen beschäftigt. Über die ortsansässigen Transport- und Entsorgungsunternehmen wird der viele Müll und Bauschutt nun entsorgt.
Hilfsarbeiten weitestgehend erledigt – hohe Nachfrage nach Spezialisten
Im rheinland-pfälzischen Trimbs im Nettetal hatte es den Pferdehof Trimbser Mühle stark getroffen. Besitzerin Judith Hoex berichtet: "Wir brauchten Elektriker, weil die ganzen Leitungen durch das Wasser zerstört waren. Das Großartige war: Ein kurzer Post über Social Media genügte und schon stand jemand Kompetentes wenige Minuten später hier vor unseren Toren, der uns einfach seine Hilfe anbot. Durch die nach zwei Tagen wieder hergestellte Stromversorgung konnten wir dann anfangen, den ganzen Schlamm wegzutragen und den Dreck mit einem Hochdruckreiniger zu entfernen."
Jetzt seien die meisten Hilfsarbeiten getan. Die Kinderreitferien hätten aufgrund der Dutzenden Helfer sogar in Teilen stattfinden können. Nun seien Profis gefragt, die Spezialaufgaben ausführen könnten.
Die, so Björn Zimmer, seien allerdings rar. "Hier in Swisttal fahren mittlerweile sogar Handwerker aus Leipzig durch die Orte und bieten ihre Dienste an, weil es vor Ort nicht genügend Spezialisten gibt. Trocknungsexperten und Heizungsbauer – sowas sucht hier gerade ja jeder. Man muss sich auf lange Wartezeiten einstellen."
Erste Hilfsgelder fließen – Schadenssumme pro Haushalt enorm
Damit entstandene Schäden behoben werden können, hoffen die Betroffenen nun auf die Weiterleitung der Spendengelder sowie auf den 33 Milliarden schweren Hilfsfond der Bundesregierung. Die Soforthilfen habe man bereits erhalten, so Björn Zimmer. Doch um sein Elternhaus zu sanieren, reichten die 1.500 Euro pro Haushalt plus 500 Euro pro Bewohner nicht aus.
"Die Soforthilfe ging schon allein für den Elektriker drauf. Durch die zerstörte Heizungsanlage, die ruinierten Möbel, die kaputte Küche und den nach wie vor nassen Keller, in dem bereits Schimmel zu erkennen ist, ist ein Schaden von zehntausenden Euro entstanden. Ich hoffe wirklich, dass der Staat wie versprochen 80 Prozent der Kosten übernimmt und meine Eltern das Geld bald erhalten". Einen entsprechenden Antrag auf die Auszahlung von Spendengeldern haben sie bereits beim Rhein-Sieg-Kreis gestellt.
Auch bei Judith Hoex ist das erste staatliche Soforthilfe-Geld angekommen. Doch Sanierungsarbeiten stemmt sie aktuell mit Hilfe der eigens eingesammelten Spenden in Höhe von rund 30.000 Euro. Die helfenden Betriebe seien zudem sehr kulant und würden Preisnachlässe anbieten.
"Was staatliche Hilfen betrifft – da verlasse ich mich gerade nicht auf die Politik. Ich habe trotz Recherche noch keinen Antrag auf Spendengelder finden können. Deshalb zähle ich lieber auf die vielen einzelnen Menschen, die uns mit ihrer Hilfe so viel Kraft geben und durch die wir uns nicht allein mit der Situation fühlen", so Hoex.
Die über 2.000 betroffenen Privatpersonen in Erftstadt haben derweil schon bessere Aussichten, kurzfristig Spendengelder zu erhalten. "Mehr als 5,5 Millionen Euro sind bisher auf das von der Stadt für die Opfer der Hochwasserkatastrophe eingerichtete Spendenkonto eingegangen. Diese werden nach der noch vom Rat zu beschließenden Richtlinie zur Verteilung der Spenden und der Prüfung der Anträge ab dem 15. September ausbezahlt werden können", kündigt Claudia Weitzel an.
Straßenprobleme überall: Verkehrschaos als Folge
Die Sanierung der Häuser ist jedoch nicht das Einzige, was die Betroffenen noch auf lange Sicht beschäftigt. Nach wie vor gibt es viele beschädigte Straßen, die unbefahrbar sind. Manche davon sind unterspült, zudem brachen Autobahnbrücken zusammen und wo mancherorts eine vielbefahrene Autobahn war, klafft jetzt ein Krater. Die Folge: Viele LKW bahnen sich auf der Suche nach alternativen Routen ihre Wege durch anliegende Kleinstädte und Dörfer.
"Erftstadt leidet durch die Sperrung der B 265 sowie der A 1 und A 61 insofern, als der Schwerlastverkehr erheblich zugenommen hat und erhebliche Straßenschäden verursacht. Auch in den Stadtteilen, die nicht vom Hochwasser heimgesucht wurden. Rückstaus erschweren den Alltag zusätzlich und die Anwohnerinnen und Anwohner haben durch das hohe Verkehrsaufkommen Angst um die Sicherheit ihrer Kinder", beklagt die Erftstädter Bürgermeisterin.
Seelische Belastung enorm: Sanierung wird noch Monate dauern
Weil ihr Wohnhaus entkernt werden musste, lebt die vierköpfige Familie Hoex nun übergangsweise bei Verwandten. Wann sie wieder in ihr Zuhause ziehen kann, steht in den Sternen. "Wir machen uns darauf gefasst, dass wir Weihnachten noch nicht in unserem Haus sein werden," sagt Judith Hoex.
Trotzdem geht sie zuversichtlich mit der Situation um, weil ihr Reiterhof so viel Hilfe von außen erhielt: "Als die letzten Helfer, die hier lange übernachtet haben, gefahren sind, da hatte ich Angst. Das war sehr emotional.
Aber danach kamen wieder neue Helfer. Die haben uns alle seelisch gerettet. Man hatte durch Corona teilweise den Glauben an die Menschheit verloren – die Flut hat gezeigt, es gibt so viel gute Menschen da draußen. Das war einfach unglaublich!"
Allerdings wird die Bewältigung der Katastrophe noch viel Zeit benötigen, davon geht Bürgermeisterin Carolin Weitzel aus: "Viele haben ihr Hab und Gut verloren, stehen vor dem Nichts, vor den Trümmern ihrer Existenz. Vor allem haben sich die Schreckensbilder der Zerstörung in den Köpfen und Seelen eingebrannt."
Verwendete Quellen:
- Interviews mit Björn Zimmer, Judith Hoex, Claudia Weitzel
- Faz.net: Bereits 360 Millionen Euro Spenden für Hochwasser-Opfer
- Tagesschau.de: Kabinett beschließt Hochwasser-Fonds
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