Vor 32 Jahren hat Wolfgang "Gangerl“ Clemens sein "normales“ Leben hinter sich gelassen und segelt seitdem um die Welt. Er hat bereits Piraten und Zyklonen getrotzt, lebte mit Naturvölkern und saß zwischendurch auch mal im Gefängnis. Rechnet man die Kilometer zusammen, hat der Globetrotter die Erde neunmal umrundet.
Drahtig, braun gebrannt, mit ein paar Narben am Körper und einem breiten Grinsen im Gesicht – Wolfgang Clemens ist nicht der normale Rentner von nebenan, das sieht man ihm auf den ersten Blick an.
Der 78-Jährige aus dem bayerischen Roding ist ein Totalaussteiger. Die Bilanz von Gangerl, so lautet sein Spitzname, kann sich sehen lassen: Über 100.000 Seemeilen, rund 180.000 Kilometer mit dem Rucksack und über 6.000 Tauchgänge hat der bayerische Seebär zurückgelegt.
Los ging alles im Jahr 1975. Zwölf Jahre lang arbeitete er auf dem Hof seiner Firma im Bayerischen Wald an einer Segelyacht, ehe der gelernte Kunstschmied 1988 dann seinen gesamten Besitz verkaufte und zum Abenteuer Weltumseglung mit seinem Schiff, der "King of Bavaria“, aufbrach.
Über die Donau ging es durch die Balkanländer bis ins Schwarze Meer. Es war der Beginn von vielen spannenden Abenteuern – manche atemberaubend schön, manche gefährlich und beinahe tödlich.
Über den Atlantik in die Karibik
Der erste Zwischenfall ließ nicht lange auf sich warten. Vor der Küste Mallorcas geriet Gangerl mit anderen Seglern aneinander und wurde mit Brandbomben, Eiern und Tomaten beworfen. Die "Schlacht von Mallorca“ schaffte es sogar auf die Titelseite der BILD. "Seitdem meide ich andere Segler so gut es geht. Wo viele Segler sind, ist es ohnehin nicht mehr so schön. Ich suche nach den unberührten Flecken dieser Erde“, sagt Gangerl.
Für den Paradiesjäger ging es dann über die Atlantikpassage von den Kanaren nach Barbados. Ein Jahr segelte er durch die Karibik, bevor er Richtung Südsee steuerte. Dort sammelte er auch seine schönsten Erinnerungen. "Ich war im Tuamotu-Archipel auf vielen Atollen, auf denen es überhaupt keine Menschen oder nur Einheimische gibt. Da kommen keine Touristen hin. Die Einheimischen dort haben teilweise noch nie einen Weißen gesehen.“
Entsprechend war der erste Kontakt mit den Naturvölkern auch nicht immer ungefährlich. Aber Gangerl schreckte das nie ab. So kam es, dass er im Nanumea-Atoll direkt integriert wurde, ein halbes Jahr lang als Teil der Inselgemeinschaft lebte und viel von den Einheimischen lernte.
Zyklon Polly nur knapp überlebt
Nach einiger Zeit in der Südsee zog es ihn weiter. Über Australien sollte es 1993 zu den Aucklandinseln gehen, um die mittlerweile vom Aussterben bedrohten Gelbaugenpinguine zu beobachten. Allerdings kam alles anders. Sein Weg kreuzte sich mit dem des Jahrhundertzyklons Polly.
"Ich war plötzlich mit 20 Meter hohen Wellen konfrontiert, der Mast war mehrere Male unter Wasser. Ich habe mir drei Rippen gebrochen und dachte wirklich, das war es jetzt. Ich musste mich anschnallen, einfach abwarten und mich treiben lassen. Ich habe zu Gott gebetet, dass er dieses Inferno beendet und mich überleben lässt.“ Er schaffte es, musste aber einige Zeit pausieren, um sich zu erholen und seine Segelyacht zu reparieren.
Zwei Jahre lang war er anschließend im Inselstaat Philippinen unterwegs und musste sich mehrfach gegen Piraten verteidigen. Dort sollte er auch seine schlimmste Erfahrung machen: "Nachts kamen zwei der Piraten an Bord und zielten mit geladenen Waffen auf mich. Da durfte man nicht zögern. Wer zuerst schießt, lebt länger. So habe ich beide erschossen. Das war wirklich tragisch.“ Als Andenken an dieses grausame Erlebnis behielt er eine 25 Zentimeter lange Narbe am Unterarm.
Durch Afrika zurück nach Bayern
Nicht nur zu Wasser, sondern auch zu Land erlebte Gangerl so manches Abenteuer. Seinen Lieblingskontinent Afrika wollte er 1997 genauer erkunden. Seine Yacht "parkte“ er dafür versteckt im Dickicht und zog mit dem Rucksack los. Es sollte für ihn von dort durch fast 30 Länder von Kapstadt bis zurück nach Bayern gehen. Und das natürlich nicht immer so ganz ohne Probleme.
In Swasiland musste Gangerl ins Gefängnis, weil er für einen Autoschieber gehalten wurde - nicht das einzige Mal, dass er hinter Gittern saß.
Insgesamt sperrte man ihn viermal in den zwei Jahren in Afrika ein. Am schlimmsten war es im Sudan. "Ich wurde gefoltert und geknüppelt, weil man mich für einen Spion hielt. Später haben sie mich dann nach Ägypten abgeschoben.“
Am Ende schaffte er es auch hier wieder raus. "Heute weiß ich, dass sie so einen alten Knacker wie mich ohnehin nicht lange ins Gefängnis stecken. Was wollen sie denn auch mit mir. Ich koste bloß Geld und bringe eh nichts“, erklärt er verschmitzt. Irgendwie hat sich Gangerl noch aus jeder misslichen Lage befreit.
Abenteuerlust noch nicht gestillt
Nach Deutschland kommt er nur, um sich mit Vorträgen zu seinen Erlebnissen wieder Geld für neue Abenteuer zu verdienen. Wie er seine ersten Jahre bis zum Zyklon Polly erlebte, schildert er auf unterhaltsame Weise in seinem ersten Buch "Der Paradiesjäger“, mit dem er gerade durch Deutschland unterwegs ist. Wenn er wieder auf dem Segelschiff ist, finanziert er sich mit der ein oder anderen Charter-Tour seinen Lebensunterhalt.
Der bayerische Aussteiger lebt genügsam – wie auch seine Bleibe in der Heimat zeigt. "Ich habe hier in Bayern eine kleine Scheune. Die ist voll mit lauter Andenken aus der ganzen Welt. Sonst gibt es da nicht viel. Ich brauche ja nichts.“
Will Gangerl jemals wieder sesshaft werden? "Ganz zurück nach Deutschland komme ich nicht mehr – das halten meine Nerven nicht mehr aus. Ich werde auf diesem Schiff sterben. Irgendwann falle ich einfach runter. Aber bis dahin dauert es hoffentlich noch eine ganze Weile. Ich bin ja erst 78 Jahre alt. Mein Großvater wurde 102. Ich habe also noch Zeit“, sagt er und lächelt.
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