Tausende feierten: Am Sonntag hallten Jubelrufe und Hupkonzerte der Autokorsos durch deutsche Städte. Syrerinnen und Syrer zelebrierten den Sturz des Diktators Assad. Wie erleben sie die Revolution in ihrer Heimat – und welche Hoffnungen haben sie für die Zukunft?

Mehr aktuelle News

Mit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien endete die mehr als 50 Jahre währende Herrschaft der Familie Assad – eine Ära geprägt von Angst, Gewalt und schweren Menschenrechtsverletzungen.

In Deutschland verfolgten Tausende von Syrerinnen und Syrern die Ereignisse mit angehaltenem Atem. Zwei von ihnen erzählen, wie sie den Umbruch in ihrem Heimatland wahrgenommen haben.

Nahla Osman (46)

Nahla Osman kann kaum in Worte fassen, was sie fühlt. "Die Befreiung Syriens von diesem unfassbaren Leid, das Assad über das Land gebracht hat – das ist ein Traum, den ich seit 14 Jahren habe“, sagt sie.

Die Rechtsanwältin lebt und arbeitet in Rüsselsheim, ihrer Geburtsstadt. Ihr Vater kam 1969 nach Deutschland, um der Gewalt in Syrien zu entkommen. Durch ihn und den engen Kontakt zu Verwandten und Freunden fühlt sich Osman tief mit dem Land verbunden.

"Es ist so viel passiert“, sagt Osman. Sie habe die letzten Tage kaum geschlafen, ständig die Nachrichten verfolgt, immer im Austausch mit Bekannten in Syrien. "Ich stand Tag und Nacht unter Strom“, erzählt sie. Bis plötzlich die Nachricht kam, die alles veränderte. Sonntagmorgen um 5 Uhr. Das Assad-Regime ist gefallen.

Die Deutsch-Syrerin Nahla Osman. © Arne List

"Es war unfassbar. Ich fühlte eine riesige Freude, eine Erleichterung“, beschreibt Osman diesen Moment.

Noch heute, Tage später, ist sie überwältigt. Auch wenn sie nicht wisse, wie es jetzt weitergehe, habe sie zum ersten Mal seit Jahren wieder Hoffnung: "Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass die neue Regierung ohne Blutvergießen gebildet wird und Syrien wieder ein sicherer Ort für alle Menschen wird – unabhängig von Ethnie und Religion“, sagt sie.

Um beim Wiederaufbau zu helfen, möchte sie so schnell wie möglich nach Syrien reisen. "Das hätte mein Vater gewollt. Er ist dieses Jahr gestorben und hat das alles leider nicht mehr miterlebt“, erklärt sie. "Ein Freund hat mir gestern gesagt: 'Endlich bin ich kein Flüchtling mehr, endlich habe ich wieder eine Heimat.' Genau so fühle ich mich."

Nadine Joudi (29)

Nadine Joudi kann es immer noch kaum glauben. "Das Regime war in unseren Köpfen immer eine unbesiegbare Macht. Ich hätte nie gedacht, dass es gestürzt werden könnte."

2013 kam sie mit 18 Jahren nach Deutschland. Heute lebt sie in Berlin, arbeitet als Übersetzerin und Pressekoordinatorin, hat sich ein neues Leben mit Mann, Freunden und Familie aufgebaut. "Mein Leben ist jetzt hier", sagt sie. Der Kontakt zu Syrien sei mittlerweile gering, die meisten Freunde und Verwandte seien ebenfalls geflüchtet. Dennoch bleibe Syrien das Land, in dem sie geboren wurde und ihre Kindheit verbrachte – ein Ort, der tief in ihr verwurzelt sei.

Die Schnelligkeit der Ereignisse habe sie völlig überfordert. "Ich habe immer noch Adrenalin in meinem Blut. Ich kann gerade nicht mal arbeiten. Ich starre den ganzen Tag auf meinen Laptop, aber schaffe nichts."

Diese lähmende Überforderung betreffe nicht nur sie, sondern alle Syrerinnen und Syrer, mit denen sie in Verbindung steht. Gerade deshalb ist es für Joudi umso schockierender, dass die Politik bereits über Abschiebungen nach Syrien diskutiert.

Unionspolitiker wollen Geflüchtete zur Rückkehr nach Syrien bewegen. Auch die AfD-Vorsitzende Alice Weidel ist der Meinung, dass bei vielen Syrern der ursprüngliche Fluchtgrund nicht mehr bestehe.

"Es ist absurd“, sagt Joudi. "Syrien hat keine Infrastruktur, keine Stabilität, keine Sicherheit. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt, wie viel Blut noch fließen wird." Die Befreiung von Assads Regime sei ein erster Schritt, aber zwei Tage nach einem solchen Umbruch über Abschiebungen zu sprechen, ist ihrer Meinung nach schlichtweg lächerlich.

Trotz aller Ungewissheit blickt sie jedoch vorsichtig optimistisch auf Syriens Zukunft. "Egal, wie schlimm die kommenden Jahre für Syrien werden, sie können nicht schlimmer sein als die letzten 13 Jahre unter dem Regime."

Türkei greift Waffen-Transport der kurdischen YPG-Miliz in Nord-Syrien an

Türkei greift Waffentransport der YPG-Miliz in Syrien an

Die militärische Ausrüstung sei von den Streitkräften des gestürzten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zurückgelassen worden, als sie das Gebiet von Kamischli im Nordosten Syriens aufgaben.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.