Heute wird in Kairo 20 Journalisten der Prozess gemacht. Die Regierung wirft den Reportern Zusammenarbeit mit terroristischen Vereinigungen vor. Dieses Schicksal kann in Zukunft jeden neutralen Berichterstatter in Ägypten ereilen. Denn der politische Wind im Land hat sich gedreht - auf Kosten der freien Meinungsäußerung.
In Ägypten ereignet sich derzeit eine bis dahin einzigartige Hetzjagd gegen Journalisten. Seit dem militärischen Putsch gegen Machthaber Mohammed Mursi am 3. Juli des vergangenen Jahres, werden Journalisten, deren Berichterstattung die neue Regierung nicht befürwortet, schikaniert, bedroht und festgenommen. Die Jagd gipfelte in der Festnahme von neun Mitarbeitern des Nachrichtensenders Al-Dschasira in einem Fünf-Sterne-Hotel am 29. Dezember 2013.
Laut "spiegel.de" hatten sie dort ein provisorisches Studio eröffnet, nachdem das eigene Büro bereits am Tag der Machtübernahme von den Behörden geschlossen worden war. Als die "Marriott-Zelle" bezeichnet die Staatsanwaltschaft einen Teil der unter Anklage stehenden Mitarbeiter - diese Beschreibung alleine lässt erkennen, wie es um das Ansehen der Journalisten steht. Der Begriff "Zelle" wird in der Regel mit terroristischen Splitter-Gruppen assoziiert, so auch in diesem Fall.
Denn die Generalstaatsanwaltschaft wirft den Journalisten vor, sie hätten Videobilder manipuliert, um "im Ausland den Eindruck zu erwecken, dass im Land ein Bürgerkrieg herrsche". Dadurch hätten sie einer "terroristischen Organisation" helfen wollen, die Meinung der Weltöffentlichkeit zu beeinflussen. Gemeint ist damit die Muslimbruderschaft, die von der Übergangsregierung im Herbst verboten und später zu einer terroristischen Vereinigung erklärt wurde.
Von den 20 angeklagten Journalisten befinden sich acht derzeit im Gefängnis, den restlichen zwölf wird der Prozess in Abwesenheit gemacht. Laut der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) wirft die Anklage den 16 beschuldigten Ägyptern Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vor. Die vier Ausländer - darunter zwei Briten, ein Australier und ein Niederländer - werden beschuldigt, die Aktivitäten ihrer Kollegen mit Geld, Ausrüstung und Informationen unterstützt zu haben. Den Ägyptern drohen bis zu 15 Jahre Haft, den Ausländern bis zu sieben Jahre.
Unter al-Sisi Pressefreiheit stark eingeschränkt
Der politische Wind in Ägypten hat sich seit dem 3. Juli 2013 gedreht. Der neue Mann an der Macht heißt seither Abdul Fattah al-Sisi - der Mann, der damals noch als General den islamistischen Präsidenten Mursi stürzte. Nun bereitet sich al-Sisi auf seine Kandidatur für die im April anstehenden Wahlen vor. Ein großer Stein im Weg dorthin ist für ihn unter anderem das Recht auf Pressefreiheit und Journalisten und Zeitungen, die in Verbindung mit der Muslimbruderschaft stehen.
Seit der Machtübernahme wurden fast alle ägyptischen Medien gleichgeschaltet. Al-Dschasira nimmt dabei laut ROG eine herausgehobene Stellung ein: Der Sender sei praktisch der einzige von Belang, der noch den Kurs der Armee und der von ihr eingesetzten Übergangsregierung infrage stelle und dem Sympathien für die vor dem Putsch regierende Muslimbruderschaft nachgesagt werde. Aber alleine der Verdacht reicht aus, um in das Fadenkreuz der Schergen von al-Sisi zu geraten.
Denn selbst der ägyptische Journalistenverband, der nicht im Ruf steht, die verbotene Muslimbruderschaft zu unterstützen und eher aus Mitgliedern des alten Mubarak-Regimes besteht, fühlte sich laut ROG kürzlich gezwungen eine Beschwerde gegen das Innenministerium zu verfassen, nachdem Dutzende Reporter und Fotojournalisten von Sicherheitskräften angegriffen wurden, weil sie über Anti-Regierungsproteste berichteten.
Übergriffe gegen Journalisten nehmen zu
Das Onlineportal "taz.de" schreibt, dass ein ARD-Team, das am 24. Januar über einen Anschlag auf die Zentrale der Kairoer Polizei berichten und dort filmen wollte, von einem Mob von Anhängern des Militärchefs al-Sisi zusammengeschlagen wurde. Nur dem mutigen Einsatz eines Zivilpolizisten sei es zu verdanken gewesen, dass dieser in die Luft geschossen und somit verhindert habe, dass der deutsche ARD-Kameramann gelyncht werde. Auch ROG berichtet von sich mehrenden Übergriffen gegen Reporter, die über Demonstrationen berichten. Allein bei den Kundgebungen zum Jahrestag der Revolution am 25. Januar soll die ägyptische Vereinigung für Meinungsfreiheit mindestens 36 Übergriffe gegen Journalisten gezählt haben.
Weiter berichtet ROG von der Festnahme des Menschenrechtsaktivisten Firas Schamsan am 1. Februar, als dieser auf der Kairoer Buchmesse ein Interview führte. Schamsan werde vorgeworfen, "falsche Nachrichten und Gerüchte verbreitet zu haben, die den öffentlichen Frieden und die Sicherheit stören".
Die verbliebenen Pro-Regierung-eingestellten Medien ereifern sich derzeit, kritische Berichterstatter öffentlich zu diffamieren: "Die zweifelhafte Beziehung zwischen einer Terrororganisation und der westlichen Presse", lautet etwa vergangene Woche der Titel einer Geschichte in der Tageszeitung al-Wafd. Demnach habe Al-Dschasira angeblich drei Milliarden Dollar ausgegeben, um das Bild Ägyptens im Ausland anzuschwärzen.
Für ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske markieren der Prozess gegen die festgenommenen Journalisten und die fortlaufenden Repressalien regierungsfeindlicher Medien einen neuen Tiefpunkt für die Pressefreiheit in Ägypten: "Die Art und Weise, wie Regierung und Justiz in Ägypten normale journalistische Arbeit kriminalisieren, erinnert an die dunkelsten Zeiten der Mubarak-Ära." In der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Ägypten dieses Jahr auf Platz 159 von 179 Ländern.
Presse in Ägypten war nie "frei"
Um die Pressefreiheit war es in Ägypten jedoch nie gut bestellt. In der Aufregung um die Festnahmen der Journalisten wird schnell vergessen, dass auch der frühere Präsident Mursi für Einschüchterung und Manipulation der Medien bekannt war. Kurz vor dem Sturz Mursis zog ROG Ende Juni 2013 eine ernüchternde Bilanz, die sich von der heutigen kaum unterscheidet. Einzig die Unterdrücker änderten sich. Während Mursis Amtszeit wurden islam-feindliche Medien unterdrückt, mit Klagen überzogen oder angegriffen. Der damalige Präsident und seine Muslimbrüderschaft ließen die Chefredakteure der großen staatlichen Printmedien austauschen und nahmen Einfluss auf deren redaktionelle Arbeit.
Laut ROG wurden Journalisten auch unter Mursi wegen Delikten wie Verunglimpfung des Islam, Gefährdung der nationalen Sicherheit oder Verbreitung von Falschinformationen angezeigt und verurteilt. Allein wegen "Beleidigung des Präsidenten" wurden laut dem Arabischen Netzwerk für Menschenrechtsinformationen in Mursis ersten 200 Tagen im Amt mehr Journalisten angezeigt als unter allen anderen ägyptischen Herrschern seit 1892 zusammengenommen.
Die Unterdrückung der Medien in Ägypten ist also keine neue Entwicklung, sondern hat Tradition. Nur die Unterdrücker wechseln, das System nicht. Denn vor al-Sisi und Mursi war der langjährige Machthaber Husni Mubarak derjenige, der die Pressefreiheit mit Füßen trat.
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