Am Wochenende traf sich die AfD in Essen. Die Rechtsaußen-Partei demonstrierte Eintracht sowie den Willen zu regieren. Für die Parteichefs Weidel und Chrupalla ein Erfolg – doch deren ostentative Harmonie könnte bald wieder vorbei sein.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Joshua Schultheis sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Alle wollen dasselbe, Nazis in die Elbe", skandierten die Demonstranten am Samstagmorgen vor der Grugahalle. Vielleicht hatten sie nicht genug Zeit, um an ihren Slogans zu feilen. Schließlich stand erst kurzfristig fest, dass die AfD ihren Parteitag tatsächlich in Essen ausrichten kann – einer Stadt, gelegen an der Ruhr und nicht der Elbe.

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Der CDU-Bürgermeister Thomas Kufen wollte eigentlich nicht, dass die Rechtsaußen-Partei ihre Treffen in der stadteigenen Halle abhält. Doch die AfD klagte und bekam vor Gericht Recht. Es folgte die Mobilisierung der Zivilgesellschaft: Zehntausende kamen in den Ruhrpott, um gegen den Parteitag zu protestieren – und versuchten vereinzelt auch, die Anreise von AfD-Delegierten zu verhindern.

Draußen Proteste, drinnen Parteitag

Während draußen lauthals gegen "Nazis" demonstriert wurde, nahm drinnen das Treffen einer Partei seinen Gang, die in den elf Jahren ihrer Existenz immer weiter nach rechts gerückt ist.

So viel vorweg: Für die AfD würde es ein ungewöhnlicher Parteitag werden. Nicht, weil die Zusammenkunft aus dem Ruder gelaufen wäre. Im Gegenteil: In der Grugahalle blieb parteiinterner Streit weitgehend aus – für die AfD eher die Ausnahme als die Regel. Während auf vorherigen Parteitagen Vorsitzende schon mit Schimpf und Schande davongejagt wurden, ging die Doppelspitze aus Tino Chrupalla und Alice Weidel dieses Mal gestärkt hervor.

All das konnte Weidel noch nicht mit Sicherheit wissen, als sie am Samstagvormittag für die Eröffnungsrede ans Mikro trat.

Weidel kanzelt Ampel ab

"Das, was sich da draußen abspielt, hat mit Demokratie nichts zu tun", nutzte sie die Gelegenheit, um gegen die Protestierenden auszuteilen. Und nicht nur gegen die. In Richtung Ampel-Koalition sagte sie: "Liebe Regierung, haut endlich ab! Packt die Koffer!"

Der Union und der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel warf Weidel vor, einen "Willkommensputsch" angezettelt zu haben, als sie 2015 die Grenzen für Flüchtlinge öffneten. "Wir schaffen das nicht", sagte sie in Anlehnung an das berühmte Merkel-Bonmot. Weidel: "Wir haben eine Krise der inneren Sicherheit, die Ausländergewalt explodiert." Ihre Lösung: so viel wie möglich Abschieben, Stopp der Einwanderung.

Schlecht zu sprechen war die AfD-Bundessprecherin auch auf den Verfassungsschutz, der ihre Partei als rechtsextremen Verdachtsfall beobachtet. "Der Verfassungsschutz ist selbst zum Verfassungsfeind geworden und er gehört in dieser Form abgeschafft", sagte Weidel. Es ist eine ihrer radikaleren Aussagen an diesem Tag. Auch der Spruch "Deutschland braucht ein zweites 1989" ließ aufhorchen. Wer mochte, konnte das als Infragestellung des Systems der BRD verstehen.

Bei anderen Themen hielt sie sich jedoch auffallend zurück. Hetze gegen Muslime, die sie in der Vergangenheit bereits als "Kopftuch-Mädchen" und "Messermänner" bezeichnet hatte, blieb an diesem Tag aus. Weidel weiß: Der Verfassungsschutz beobachtet genau, was auf Parteitagen der AfD gesagt wird.

Der Elefant im Raum: Maximilian Krah

Die Parteichefin kam nicht drumherum, auch wunde Stellen der AfD anzusprechen. Zwar sei das Ergebnis der Europawahl mit 16 Prozent sehr gut gewesen, doch es hätte mehr sein können, so Weidel. Im Wahlkampf habe es "geruckelt" und "gekracht". Ohne dass sie ihn beim Namen nannte, war klar, über wen Weidel sprach: Maximilian Krah, den geschassten AfD-Spitzenkandidaten der Europawahl. "Auch talentierte Spieler können sich verrennen", sagte Weidel. Aber: "Wenn jemand auf die Ersatzbank muss, ist er noch nicht aus dem Kader geflogen."

Krah war in gleich mehrere Skandale verstrickt während des Wahlkampfs, darunter Korruptionsvorwürfe. Doch vor allem seine verharmlosende Aussage über die Nazi-Organisation "SS" missfiel anderen europäischen Rechtsparteien im EU-Parlament so sehr, dass sie die AfD aus ihrer Fraktion "Identität und Demokratie" (ID) ausschlossen. Nicht zuletzt, um wieder in die Fraktion aufgenommen zu werden, schloss die AfD-Europadelegation nach der Wahl wiederum Krah aus.

Seine Unterstützer im völkischen Parteiflügel werteten das als ein Einknicken vor ausländischen Parteien – und gaben offenbar vor allem Tino Chrupalla die Schuld an dem Schlamassel. Im "Spiegel" wurde schon spekuliert: "Chrupallas Zeit als Parteichef könnte damit wesentlich schneller enden als gedacht." Doch es sollte anders kommen.

Ein erstes Zeichen der Entspannung hatte Weidel schon gesetzt, als sie deutlich machte: Krah ist nicht raus, sondern nur vorerst in die zweite Reihe zurückversetzt. Außerdem nahm sie endgültig von der Vorstellung Abstand, die AfD zurück in die ID-Fraktion zu bringen. Stattdessen strebe man nun die Gründung einer neuen, extrem rechten Fraktion im Europaparlament an.

Der große Streit bleibt in Essen aus

Damit hatte sich auch ein Parteitagsantrag erledigt, mit dem Delegierte aus Bayern ihrem Unmut über den bisherigen Kurs der Bundessprecher Ausdruck verleihen wollten. Die Resolution "Mut zu Deutschland" wurde mit der Begründung zurückgezogen, es habe einen "Lernprozess von der Basis bis zur Spitze" gegeben. Die erste potenzielle Bombe für den Parteitag wurde damit entschärft.

Die zweite folgte auf dem Fuß: Ein spontan gestellter Antrag, künftig nur noch eine Einzel- statt einer Doppelspitze haben zu wollen, wurde mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.

Als es dann an die Wahl der Bundessprecher ging, lagen sich Weidel und Chrupalla im übertragenen wie buchstäblichen Sinne in den Armen. "Meine geliebte Co-Sprecherin" nannte Chrupalla Weidel. "Meinen geliebten Tino" nannte Weidel Chrupalla. Der Saal grölte ob dieser koketten Flirterei. Das Signal der Bundessprecher: Die Partei ist geeint, und zwischen die Spitze passt kein Blatt.

Beide traten ohne Gegenkandidaten an, beide wurden mit gutem Ergebnis wiedergewählt. Die Überraschung: Chrupalla erhielt mit 82,72 Prozent sogar mehr Zustimmung als Weidel mit 79,77 Prozent. Für die 45-Jährige ein Wermutstropfen, galt sie doch gemeinhin als die deutlich beliebtere Parteivorsitzende.

Konfliktpotenzial Kanzlerkandidatur

Im kommenden Jahr könnte die Eintracht der beiden Bundessprecher jedoch zu einem schnellen Ende kommen. Denn dann wird die Frage nach einem AfD-Kanzlerkandidaten konkret. Lange schien ausgemacht, dass Alice Weidel für diese Rolle die unumstrittene Favoritin ist. Das ist sie nach dem Ergebnis der Bundessprecherwahl nun nicht mehr. Chrupalla genießt offenbar mehr Rückhalt in der Partei, als viele vermutet haben.

Einen Kanzlerkandidaten wird die AfD im nächsten Jahr aber sicher aufstellen: Ihren Willen zu regieren, machte die Partei in Essen unmissverständlich klar. "Erst im Osten, dann im Westen und dann im Bund", proklamierte Chrupalla in seiner Rede.

Die AfD in Essen: Professionell und radikal

Für die AfD war es vermutlich der geordnetste Parteitag ihrer Geschichte. Nur am Sonntag fiel die Partei in alte Muster zurück und diskutierte lange und verbittert über einige Satzungsänderungen. Zeitlich blieb alles im Soll, offenen Streit gab es wenig und auch die Parteitagsreden enthielten trotz aller Polemik und Hetze gegen die anderen Parteien wenig, was dem Verfassungsschutz neues Futter hätte geben können.

Ausnahmen gab es dennoch: Stephan Brandner, Mitglied im Bundesvorstand, forderte die Bürger auf, die "Stimmzettel zu Haftbefehlen" zu machen für diejenigen, "die verantwortlich sind für diesen unterirdischen Zustand unseres Landes". Politische Gegner ins Gefängnis? Demokratisch ist das nicht.

Auch die AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative", die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingeordnet wird, testete die Grenzen des Sagbaren aus. Auf ihrem Stand im Foyer glorifizierte sie auf Stickern den AfD-Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich, der sich selbst einmal als "das freundliche Gesicht des NS" bezeichnet hatte. Zudem vertrieb sie T-Shirts mit dem Schriftzug "böp", ein Code für die rassistische Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus".

Was die AfD in Essen gezeigt hat: Sie strotzt vor Selbst- und Sendungsbewusstsein. Sie hat sich professionalisiert und diszipliniert. Weniger radikal ist sie aber nicht geworden.

Verwendete Quellen

  • Teilnahme am AfD-Bundesparteitag in Essen
  • spiegel.de: Warum AfD-Chef Chrupalla beim Parteitag fallen könnte
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