• Grüne und FDP streiten weiter, ob die Laufzeiten der letzten deutschen Atomkraftwerke verlängert werden.
  • Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner wollen am Montag weiter beraten. Der Zeitdruck ist groß.
  • Bei einem möglichen Kompromiss ist aber die technische Machbarkeit noch offen.

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Am Sonntag sind die drei Köpfe der Ampel-Koalition offenbar ohne eine Einigung auseinandergegangen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner konnten sich noch nicht über die Zukunft der Atomkraft in Deutschland einigen.

An diesem Montag sollen die Gespräche weitergehen – und die Zeit drängt. Eine Übersicht zu einem verfahrenen Streit:

Das ist die Ausgangssituation

Die drei letzten deutschen Atomkraftwerke (AKW) müssen eigentlich am 31. Dezember dieses Jahres vom Netz gehen: Emsland (Niedersachsen), Isar 2 (Bayern) und Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg). So legt es bisher das Atomgesetz in Paragraf 7 fest.

Der Stopp der russischen Gaslieferungen hat Deutschland allerdings in eine Energiekrise gestürzt. Bundeswirtschaftsminister Habeck will die zwei süddeutschen AKW für den Fall von Engpässen in der Stromversorgung daher bis ins Frühjahr 2023 einsatzbereit halten und sie im Fall der Fälle weiter mit den vorhandenen Brennstäben betreiben. Habeck geht davon aus, dass man auf diese "Einsatzreserve" zurückgreifen muss, die AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 also wirklich einige Monate länger betrieben werden. Das AKW Emsland solle dagegen vom Netz gehen.

Der Standpunkt der Grünen: Streckbetrieb bis 15. April – mehr auf keinen Fall

Die Grünen haben den Kurs am vergangenen Freitag bekräftigt. Beim Parteitag in Bonn stellte sich eine große Mehrheit hinter Habeck – allerdings schärften die Delegierten die Pläne weiter nach: Der Betrieb der zwei süddeutschen AKW müsse spätestens am 15. April 2023 enden. Außerdem lehnt die Partei es kategorisch ab, neue Brennstäbe zu beschaffen. Auf Druck des ehemaligen Bundesumweltministers Jürgen Trittin wurde folgender Satz in den Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz aufgenommen: "Bündnis 90/Die Grünen werden im Bundestag keiner gesetzlichen Regelung zustimmen, mit der neue Brennelemente, noch dafür notwendiges neues angereichertes Uran beschafft werden soll."

Für viele Grünen-Politiker – wie etwa Bundesumweltministerin Steffi Lemke – ist bereits die Einsatzreserve bis zum 15. April eine "Zumutung". Aus Sicht der Mehrheit der Partei spielt die Atomkraft für die Stromversorgung in Deutschland nur noch eine kleine Rolle und "verstopft" eher die Netze für die günstigen erneuerbaren Energien.

Zur Einsatzreserve sagte die Parteivorsitzende Ricarda Lang am Montagmorgen im ZDF-"Morgenmagazin": "Das ist ja bereits ein Kompromissangebot. Ich hoffe, dass es jetzt von der anderen Seite die Bereitschaft gibt, da mitzugehen."

Der Standpunkt der FDP: Neue Brennstäbe und längere Laufzeiten für alle AKW

Die FDP dagegen will die Laufzeiten für die drei Kraftwerke bis mindestens 2024 verlängern und dafür neue Brennstäbe anschaffen lassen. Sie will auch prüfen, ob bereits abgeschaltete AKW wieder ans Netz gehen können. Die Liberalen verweisen unter anderem auf die Ökonomin und "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm: In der aktuellen Energiekrise müssten alle zur Verfügung stehenden Kapazitäten genutzt werden.

Christian Lindner schrieb am Samstag auf Twitter: "Wenn es darum geht, Schaden von unserem Land abzuwenden, hohe Energiepreise zu reduzieren und Blackouts zu verhindern, dann gibt es für mich keine roten Linien. Es geht hier nicht um Parteipolitik. Über meinen finanzpolitischen Schatten bin ich schon Milliarden mal gesprungen."

Ähnlich äußerte sich am Montag der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai: "Erst das Land, dann die Partei, muss die Devise sein", sagte er auf einer Pressekonferenz. "Wer rote Linie formuliert, der handelt unklug und verantwortungslos."

Koalition steht unter Zeitdruck

Der Druck, zu einer Lösung zu kommen, ist für die Ampel-Koalition groß: Wenn sich die Parteien nicht einigen, bleibt es bei der aktuellen Gesetzeslage. Das würde bedeuten, dass alle drei Kernkraftwerke bis zum 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden – und das wollen nicht einmal die Grünen.

Für eine Gesetzesänderung müsste die Koalition aber schnell die Weichen stellen, denn das parlamentarische Verfahren beansprucht Zeit. Außerdem haben die Betreiber klargemacht, dass sie noch im Oktober Klarheit brauchen. "Wir müssen spätestens morgen ein Ergebnis haben", sagte Djir-Sarai am Montag. Am Mittwoch tagt traditionell das Bundeskabinett – bis dahin müsste klar sein, wie es weitergeht.

Öffentlich beharren die Parteien auf ihren Standpunkten. Das gilt zumindest für FDP und Grüne – Bundeskanzler Scholz hält sich bei dem Thema bedeckt. Auch das gefällt vielen in der Koalition nicht. Schließlich hatte Scholz einmal verkündet: Wer bei ihm Führung bestelle, der bekomme sie auch. Die frühere FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg schrieb auf Twitter: "Hiermit bestelle ich Führung beim Bundeskanzler. In dieser Krise alle verfügbaren eigenen Energieerzeugungskapazitäten zu nutzen, ist ein Gebot der Vernunft und Verantwortung." Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sagte auf einer Pressekonferenz: "Ich würde manchmak gerne wissen, wad die Haltung der SPD in der Sache ist."

Der Bundeskanzler ist laut einer Regierungssprecherin allerdings zuversichtlich: Man sei auf dem Weg zu einer Einigung, die möglichst zeitnah vorgelegt werde, sagte sie am Montag.

So könnte ein Kompromiss aussehen

Die Gespräche zwischen Scholz, Lindner und Habeck sollen am Montag weitergehen. Hinter den Kulissen werden allerlei Kompromisse durchgespielt. Einer davon lautet: Es bleibt dabei, dass es keine neuen Brennstäbe gibt – aber mit den noch vorhandenen Brennstäben werden die Kraftwerke trotzdem länger als bis in den April 2023 betrieben. Auf diese Möglichkeit wies FDP-Generalsekretär Djir-Sarai am Montag hin.

Fraglich ist allerdings, ob die in Deutschland noch vorhandenen Brennstäbe dazu überhaupt ausreichen würden. Grünen-Chefin Lang wollte sich am Montag nicht zu dem Vorschlag äußern: Nach Kompromissen suche man nicht auf öffentlichen Pressekonferenzen, sagte sie.

Dieses Modell wäre jedenfalls ein klassischer Kompromiss, bei dem sowohl Grüne als auch FDP Abstriche machen müssten: Die FDP müsste auf neue Brennstäbe verzichten, die Grünen könnten das Abschaltdatum 15. April 2023 nicht halten. Wenn die Koalition mit diesem Modell ihre Diskussionen beendet, würden dafür wohl die Diskussionen innerhalb der Parteien weitergehen.

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz mit FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
  • Pressekonferenz mit der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang
  • Twitter-Accounts von Christian Lindner und Linda Teuteberg
  • Gesetze-im-internet.de: Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) § 7 Genehmigung von Anlagen
  • ZDF.de: Lang: Grüne haben sich bereits bewegt
  • antraege.gruene.de: Sichere Energieversorgung für den Winter
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