Mit einer radikalen Agenda hat Alexandria Ocasio-Cortez die Vorwahlen der Demokraten für einen Parlamentssitz in New York gewonnen, die "Times" hat die 28-Jährige schon als "politischen Rock-Star" bezeichnet. Kann die überzeugte Linke Amerikas Politik aufmischen?
Schon als Jugendliche redete Alexandria Ocasio-Cortez mit, wenn es am Küchentisch um Politik ging. "Niemand konnte sie zum Schweigen bringen", hat ihre Mutter der "New York Times" erzählt. Was Ocasio-Cortez zu sagen hat, werden die USA künftig wohl häufiger zu hören bekommen.
Im Herbst wählen die US-Amerikaner neue Abgeordnete - und bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei im 14. Kongresswahlbezirk von New York ist Alexandria Ocasio-Cortez eine Sensation gelungen: Sie schlug den langjährigen Abgeordneten Joseph Crowley, einen Vertreter des Partei-Establishments, um Längen.
Dabei klang ihre Agenda für amerikanische Verhältnisse ziemlich radikal: Sie fordert eine Job-Garantie für jeden Bürger und will die Zoll-Behörde abschaffen, die unter anderem für Abschiebungen zuständig ist. Und sie bezeichnet sich selbst als Sozialistin.
Weckruf für die Demokraten - auch dank Graswurzelbewegungen
Tobias Endler, USA-Experte an der Universität Heidelberg sagt: "Es ist ein dringend nötiger Weckruf für die Partei, dass sie sich gegen einen Platzhirschen durchgesetzt hat - und das ohne Großspenden aus der Industrie und ohne Erfahrung in politischen Ämtern" , sagt
Bemerkenswert war auch die Reaktion der Medien: Umgehend wurde Ocasio-Cortez ins Studio von CNN eingeladen. Sogar die "Vogue" widmete ihr einen schwärmerischen Artikel.
Die Tochter puertoricanischer Amerikaner verkörpert Bodenständigkeit und Aufstiegswillen zugleich. Sie hat an einer renommierten Privat-Universität studiert und gibt sich gleichzeitig volksnah: Im parteiinternen Wahlkampf setzte sie nicht nur auf soziale Medien. Ocasio-Cortez zog in ihrem Bezirk, der sich aus Arbeitervierteln der Stadtteile Queens und Bronx zusammensetzt, auch von Haustür zu Haustür.
Zum Überraschungssieg der Jung-Politikerin hätten gleich mehrere Faktoren beigetragen, sagt
Als Graswurzelbewegungen werden in den USA politische Initiativen zu den unterschiedlichsten Themen bezeichnet, die direkt in der Bevölkerung entstehen - und nicht im politischen Establishment.
"Aktuell und besonders seit der Präsidentschaftswahl 2016 spielen Bewegungen der Zivilgesellschaft eine enorm große Rolle", sagt Sarah Wagner. "Sie veranstalten Protestmärsche, registrieren Wähler, rekrutieren Kandidaten, üben öffentlichen Druck auf Politiker aus, sammeln Spenden und vieles mehr", so Wagner. "Was unter Barack Obama noch die Tea Party war, ist im Trump Zeitalter zunehmend eine vielfältige und große Protestbewegung der linken Seite, die sich auch durch das hohe Engagement von Frauen und Minderheiten auszeichnet."
Rennen zwischen Parteiflügeln bleibt offen
Innerhalb der Demokratischen Partei habe die progressiv-linke Fraktion seit der Kandidatur des überzeugten Linken Bernie Sanders an Profil und Einfluss gewonnen, sagt Wagner.
Allerdings halten Experten das Rennen zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei für offen. "Mit einer linken Agenda lassen sich zweifelsohne Wahlen gewinnen, aber nur in einem passenden Wahlkreis und mit einem überzeugenden Kandidaten", so Wagner.
In eher moderat-konservativen Wahlkreisen werden die Demokraten ihrer Einschätzung nach andere Kandidaten aufstellen. In mehreren Bundesstaaten sind Kandidaten vom linken Flügel bei den parteiinternen Vorwahlen bereits durchgefallen.
"Der Kampf zwischen linken und eher zur Mitte tendierenden Demokraten ist derzeit noch ein offenes Tauziehen", glaubt auch Tobias Endler. "Die Partei weiß noch nicht, welchen Etablierten sie gegen Trump in die Schlacht schicken sollen."
Am schnellsten wachsende Minderheit
Nach Einschätzung von Sarah Wagner finden linke Positionen teils breite Unterstützung in den USA, etwa bei Gesundheits- und Bildungsthemen. "Schwieriger wird es, sobald der Begriff Sozialismus ins Spiel kommt. Hier hat eine Mehrheit der Amerikaner negative Assoziationen."
Offen bleibt daher, ob Politiker wie Ocasio-Cortez auch außerhalb der demokratischen Hochburgen überzeugen und sich im November auch gegen republikanische Kandidaten durchsetzen können.
Derzeit sage der Vorwahlsieg der 28-Jährigen noch mehr über ihre eigene Partei und die Medien aus als über die USA als Ganzes, findet Tobias Endler. Denn New York ist seit langem eine Demokraten-Hochburg. Zudem würden gerade liberale Medien wie CNN und die New York Times händeringend nach der nächsten Ikone suchen.
Allerdings könnte die demografische Entwicklung durchaus auf der Seite von Menschen wie Ocasio-Cortez sein, sagt Endler: "Im ganzen Land sind Latinos die am schnellsten wachsende Minderheit. Es wird bald unmöglich sein, die wirklich wichtigen Wahlen 'gegen sie' zu gewinnen."
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