Die AfD im Umfragehoch und Enthüllungen über Deportationspläne: Unter Menschen mit Migrationshintergrund geht die Angst um. Ali Ertan Toprak spricht ihnen Mut zu: "Wir müssen für die Demokratie kämpfen!" Ein Interview mit dem CDU-Politiker und Vorsitzenden der Kurdischen Gemeinde Deutschland.
Hunderttausende Menschen waren in den vergangenen beiden Wochen auf der Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. "Diese Bilder zu sehen, hat vielen Migranten in diesem Land gutgetan", sagt Ali Ertan Toprak. Er ist Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland und kam als Kleinkind mit seiner Familie aus der Türkei nach Hamburg.
"Correctiv" berichtete Anfang des Jahres von einem rechtsextremen Treffen in Potsdam, auf dem Pläne zur Deportation von Deutschen mit Migrationshintergrund besprochen wurden. In der migrantischen Gemeinschaft seien viele "entsetzt und betroffen", berichtet Toprak.
Er kennt Menschen, die nun darüber nachdenken, Deutschland wieder zu verlassen. Für ihn die falsche Antwort. "Auch wir sind gefragt, uns politisch einzubringen", sagt Toprak. Er selbst hat seine politische Heimat in der CDU gefunden. Doch findet die Union derzeit die richtigen Strategien gegen die AfD? Ein Gespräch über Extremismus, Zivilgesellschaft und Leitkultur.
"Correctiv" hat enthüllt, dass auf einem rechtsextremen Vernetzungstreffen in Potsdam im November ein Plan zur Deportation von Deutschen mit Migrationshintergrund diskutiert wurde. Daran teilgenommen haben auch AfD-Politiker. Wie sehr haben Sie diese Recherchen überrascht?
Sie haben mich nicht sehr überrascht. Ich weiß ja, dass wir Rechtsextremisten und Rassisten in unserem Land haben, die sich tagtäglich treffen und Pläne schmieden. Die breite Öffentlichkeit wurde durch die Recherchen aber wachgerüttelt. Dort hat man lange Zeit ignoriert, wie weit die Rechtsextremisten mittlerweile gehen. Insbesondere die migrantische Community ist durch diese Enthüllungen entsetzt und betroffen.
Es gibt immer mehr Berichte darüber, dass die Angst unter Menschen mit Migrationshintergrund zunimmt. Wie erleben Sie das?
Ich habe nach der Veröffentlichung des "Correctiv"-Artikels viele Anrufe von Leuten erhalten, die wirklich geschockt waren. Viele hätten nicht gedacht, dass sie trotz deutscher Staatsbürgerschaft bei solchen Plänen mitgemeint sein könnten. In meinem Umfeld kenne ich auch Menschen, die sich nun Gedanken machen, wegzuziehen. Denen sage ich aber immer: Das ist falsch, denn das ist auch unser Land und unsere Demokratie. Auch wir sind gefragt, uns politisch einzubringen und für die Demokratie zu kämpfen.
Ali Ertan Toprak: "Es wurde zu wenig Solidarität mit den Juden gezeigt"
Für die Demokratie und gegen die AfD waren in Deutschland am Wochenende Hunderttausende demonstrieren.
Wir als kurdische Gemeinde Deutschland haben uns in den sozialen Kanälen bei den Teilnehmern für ihr Engagement bedankt. Diese Bilder zu sehen, hat vielen Migranten in diesem Land gutgetan. Es gibt zahlreiche Menschen in der Mehrheitsgesellschaft, die an ihrer Seite stehen und die mit Rechtsextremismus nichts zu tun haben wollen. Die Gespräche, die ich in der Folge geführt habe, waren schon ganz anders als in der Woche zuvor: Die Proteste werden als echtes Zeichen der Hoffnung wahrgenommen. Ich muss aber auch sagen: Ein solches Zeichen hätte ich mir bereits nach dem 7. Oktober gewünscht. Es wurde zu wenig Solidarität mit den Juden gezeigt. Der Kampf gegen Extremisten kann aber nicht ohne den Kampf gegen Antisemitismus geführt werden.
Ein- oder zweimal auf die Straße zu gehen, ist das eine. Das andere ist die langfristige Perspektive. Was erwarten Sie jetzt von der Zivilgesellschaft?
Ich hoffe, dass die Menschen auch in ihrem Alltag die Stimme erheben, wenn sie mit Rassismus und Extremismus konfrontiert werden. Es ist wichtig, dass wir nicht nur alle paar Jahre demonstrieren gehen, sondern alltäglich jeden Tag auf der Arbeit, auf der Straße, in der Öffentlichkeit gegen Rechtsextremismus aufbegehren. Besonders schön wäre es, wenn die Menschen auch mehr bei den politischen Parteien aktiv werden würden. Man kann nicht immer nur Erwartungen an die Politik haben, sondern muss mitmachen.
Auch über den Umgang der Medien mit der AfD wird viel diskutiert. Sie sitzen im ZDF-Fernsehrat. Haben Sie eine Empfehlung für Journalistinnen und Journalisten?
Es ist nicht die Aufgabe der Presse, die Menschen zu erziehen. Sie sollten vor allem darüber berichten, was ist. Das bedeutet selbstverständlich auch Aufklärung, aber nicht im pädagogischen Sinne. Ich halte nichts davon, wenn Medien AfD-Politiker ausschließen. Stattdessen sollte man sich gut vorbereiten und sie dann zur Rede stellen. Dann kann jeder selbst sehen, wie viel dummes Zeug die reden. Die Positionen der AfD sind voller Widersprüche. Nur ein Beispiel: Sie tut im Inland so, als sei sie gegen Islamismus, unterstützt aber das islamistische Regime im Iran. Man muss die AfD inhaltlich stellen.
"Wir müssen über die Probleme, die Migration mit sich bringt, sprechen"
Auch in der Politik?
Ja. Wir haben es zugelassen, dass uns die AfD in den letzten Jahren vor sich hergetrieben hat. Die demokratischen Parteien müssen den Spieß umdrehen und die AfD endlich politisch stellen. Das bedeutet auch, schwierige Themen nicht allein von der AfD besetzen zu lassen. Wir müssen mehr über Migration und über die Probleme, die Migration auch mit sich bringt, sprechen. Gerade in einer Einwanderungsgesellschaft ist es wichtig, dass wir jede Form von Extremismus bekämpfen und nicht der Eindruck entsteht, alle Parteien außer der AfD würden bestimmte Probleme zudecken. Zur Erinnerung: Die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland sind die türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe.
Sie sind CDU-Mitglied. Ihre Partei setzt derzeit auf eine deutlich restriktivere Migrations- und Asylpolitik. Ist das die richtige Strategie gegen die AfD?
Wir müssen ehrlich miteinander umgehen. Die AfD ist nach 2015 groß geworden, weil die etablierten Parteien die Probleme, die es selbstverständlich bei so einer Massenzuwanderung geben wird, nicht offen angesprochen und so das Feld der AfD überlassen haben. Demokratischen Maßstäbe müssen aber an alle Mitglieder dieser Gesellschaft gelegt werden.
Im neuen CDU-Grundsatzprogramm heißt es: "Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen."
Diesen Satz würde ich jederzeit unterschreiben, schließlich habe ich an dem Grundsatzprogramm mitgearbeitet. Geprägt hat den Begriff "Leitkultur" übrigens nicht Friedrich Merz, sondern der syrisch-stämmige Politikwissenschaftler Bassam Tibi. Dahinter steckt die Idee, dass eine Einwanderungsgesellschaft eine gemeinsame Wertebasis braucht, damit das Leben in ihr funktioniert. Wie in jedem Land haben sich auch in Deutschland über Jahrhunderte hinweg geteilte Werte etabliert. Jeder, der neu ins Land kommt, sollte diese respektieren. Und wenn er das tut und Teil des Ganzen wird, indem er die Staatsbürgerschaft bekommt, dann kann auch er diese Wertebasis künftig mitgestalten.
"Ein Parteienverbot kann nur die Ultima Ratio sein."
Bei dem rechtsextremen Treffen in Potsdam war auch ein Mitglied Ihrer Partei dabei. Hat die CDU Ihrer Meinung nach angemessen darauf reagiert?
Ja. Sowohl unser Generalsekretär Carsten Linnemann als auch Friedrich Merz haben sehr deutlich gemacht, dass wir mit diesen Rechtsextremisten nichts zu tun haben. Jedes CDU-Mitglied, das an solchen Veranstaltungen teilnimmt, sollte die Partei verlassen. Die CDU ist eine große Volkspartei und alle möglichen Menschen sind bei ihr Mitglied. Unsere roten Linien sind aber klar definiert: Völkische Ideen und die Infragestellung der Menschenwürde werden nicht akzeptiert.
Sie sagen, die AfD muss politisch gestellt werden. Aber auch ein Verbotsverfahren wird derzeit diskutiert. In der CDU hat diese Idee bisher nur wenige Befürworter. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ein Parteienverbot kann nur die Ultima Ratio sein. Zudem ist der Ausgang eines entsprechenden Verfahrens sehr ungewiss. Ich denke, die Zeit ist dafür noch nicht gekommen. Es würde zudem der Eindruck entstehen, die anderen Parteien haben sonst keine Ideen und Möglichkeiten, die AfD zu bekämpfen. Diesen Gefallen sollte man der AfD nicht tun. Eine andere Option finde ich interessanter: die Grundrechtsverwirkung für einzelne Politiker, etwa Björn Höcke. Anstatt die AfD als ganze zu verbieten, könnte man so dafür sorgen, dass die wirklichen Nazis und Rechtsextremisten in der Partei nicht mehr gewählt werden können.
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Über den Gesprächspartner
- Ali Ertan Toprak ist 1969 in Ankara in der Türkei geboren. Drei Jahre später zog er mit seiner Familie nach Hamburg. Politisch engagierte sich Toprak zunächst bei Bündnis 90/Die Grünen und war innen- und außenpolitischer Referent des Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir. Bald wurde Toprak jedoch zum Kritiker der grünen Integrationspolitik und wechselte 2014 zur CDU. Er ist unter anderem Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland sowie Mitglied im ZDF-Fernsehrat.
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