Ein Jahr vor der Bundestagswahl hisst Peter Altmaier über dem Wirtschaftsministerium die grüne Fahne. Seine Forderung nach Vorfahrt für Klimaschutz haut weder Umweltministerin noch Grüne vom Hocker - und auch nicht die, die hauptsächlich angesprochen sind.
Angesichts der Dramatik des Klimawandels wirbt Bundeswirtschaftsminister
"Ich bin der Auffassung, dass wir Klimaschutz als die zentrale und vorrangige Herausforderung unser Generation begreifen und auch entsprechend handeln müssen", sagte Altmaier.
Die Bundesregierung habe nicht entschieden genug reagiert, räumte er ein, und damit vor allem die jüngere Generation verärgert: "Die jungen Leute fragen uns, warum sie uns glauben sollen." Das EU-Klimapaket "Green Deal" sei "möglicherweise die letzte Chance unserer Generation", die Erderhitzung noch zu verlangsamen. Wenn es nicht gelingt, die globale Erwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen, werde dies "existenzielle Folgen" für die gesamte Menschheit haben.
Die offene Flanke der CDU
Dass dieser Vorstoß ein Jahr vor der Bundestagswahl kommt, dürfte kein Zufall sein. Die Union hat beim Klimaschutz eine offene Flanke, weil Altmaier und Verkehrsminister
Aber zunächst mal: Was will Altmaier eigentlich konkret? Nicht alle seiner 20 Vorschläge sind neu. Ein Überblick über die wichtigsten:
- Charta mit Treibhausgas-Budgets: Bundestag und Bundesrat sollen eine Charta beschließen, die bis zur angestrebten Klimaneutralität 2050 jährliche Treibhausgas-Minderungsziele, also Budgets, festlegt. Bisher gibt es nationale Budgets im Klimaschutzgesetz nur bis 2030. Zudem soll die Charta den Staat verpflichten, "alle notwendigen und geeigneten Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele und zur Erhaltung der Wirtschaftskraft zügig zu ergreifen und umzusetzen."
- Festes Finanz-Budget: Die Charta soll zudem festlegen, dass ein bestimmter Prozentsatz des Bruttoinlandsprodukts für Klimaschutz und Wirtschaftsförderung ausgegeben wird - solche Ziele gibt es etwa für Forschung oder Entwicklungshilfe. Umstritten dürfte neben dem Prozentsatz auch sein, was genau alles dazuzählt.
- Öffentliche Einrichtungen: Diese sollen in Bund, Ländern und Kommunen sollen schon 2035 treibhausgasneutral sein, also ihren CO2-Ausstoß möglichst reduzieren und über Klimaschutz-Maßnahmen "ausgleichen". Für die Klimaneutralität soll es ein Zertifizierungssystem geben.
- Marktwirtschaft: Marktwirtschaft soll der Schlüssel im Klimaschutz sein - Altmaier will dafür den Handel mit Verschmutzungsrechten auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene reformieren. Konkret wurde er dabei nicht. Zudem will er "Auktionen" prüfen lassen, über die Unternehmen konkrete Gebote abgeben können, zu welchem Preis sie CO2 reduzieren können.
- Institutionen: Eine parteiübergreifende Stiftung "Klima und Wirtschaft", ein "Haus der Energiewende", eine internationale EU-Agentur "Climate global", ein "Klima- und Wirtschaftsrat" im Bundeswirtschaftsministerium und eine "Klima-Universität" sollen den Kampf gegen die Klimakrise weiter voranbringen.
Umweltministerin reagierte irritiert
Ein Vorstoß der Bundesregierung sei das nicht, sondern von ihm persönlich, sagte Altmaier. Die SPD-Umweltministerin Svenja Schulze, die vorher nicht informiert war, reagierte denn auch zurückhaltend bis irritiert: Altmaier könne "täglich seinen Worten Taten folgen lassen", zum Beispiel beim Ökostrom-Ausbau, sagte sie. Es gebe ja schon ein Klimaschutzgesetz und das Pariser Klimaabkommen: "Eine eindrucksvollere Charta für den Klimaschutz kann es kaum geben." SPD-Fraktionsvize Sören Bartol warf dem Wirtschaftsminister via Redaktionsnetzwerk Deutschland gar "Politiksimulation" vor.
Strategisch dürfte das Hissen der Klimaschutz-Fahne ein Jahr vor der Bundestagswahl aber vor allem gegen die Grünen gerichtet sein, die 2021 mit ihrem Kernthema auf Sieg spielen wollen. Parteichefin Annalena Baerbock zeigte sich unbeeindruckt: "Die Überschriften in dem Papier klingen gut und richtig, aber leider mangelt es aus meiner Sicht an Substanz." Auch Umweltverbände kritisierten, es mangele nicht an schönen Worten, aber an Konkretem.
Die Grünen hoffen für den Wahlkampf auch auf indirekte Unterstützung von Fridays for Future. Kein Wunder, dass Altmaier sich mit einer Art Entschuldigung an die klimabewegte Jugend richtete und sich immer wieder auf sie bezog. Man habe Fehler gemacht, sagte er. "Vieles hätte schneller und früher geschehen können", immer wieder hätten andere Themen das Klima von der Agenda verdrängt. Fehler einzuräumen ist in der Politik nicht die beliebteste Disziplin. Luisa Neubauer, die bekannteste Vertreterin der jungen Klimabewegung in Deutschland, zeigte sich nicht gerade überzeugt: Man habe keine Zeit für "leere Ankündigungen", schrieb sie auf Twitter. "So wirkt sein Punkteplan zur Zeit." © dpa
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