• Wahl-Chaos, überlastete Bürgerämter, Ausgabensperre für die Schulen: In Berlin häufen sich Probleme der öffentlichen Verwaltung.
  • Die Gründe sind vielfältig: Der öffentliche Dienst sei unterbesetzt, das Zusammenspiel mit den Bezirken funktioniere nicht, sagt die Politikwissenschaftlerin Sabine Kuhlmann.
  • Auch die Digitalisierung kommt nur langsam voran.

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Es ist was faul im Staate Berlin. Der Rest der Bundesrepublik blickt schon lange halb belustigt, halb schockiert auf die Hauptstadt. Inzwischen sind auch viele Berlinerinnen und Berliner zunehmend genervt. Besonders im Fokus steht die Verwaltung des Stadtstaats. "Als kaputtgespart, drastisch unterbesetzt und innovationsimmun lässt sich der Ruf der Berliner Behörden zusammenfassen", schrieb vor Kurzem der "Tagesspiegel".

Der frühere Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit geht mit der Verwaltung, für die er einst selbst zuständig war, ebenfalls hart ins Gericht: "Es gibt in Berlin so etwas wie eine kollektive Verantwortungslosigkeit", sagte er im RBB. Die Verwaltung der Hauptstadt sei, so der SPD-Politiker, "heute schlechter aufgestellt als jede Kreissparkasse".

Was genau ist faul im Staate Berlin? Eine kleine Übersicht der Probleme und Hintergründe.

Bürgerämter: Warten, warten, warten

Wer sich neu anmelden, den Ausweis verlängern oder die Geburtsurkunde für ein Kind ausstellen lassen will, braucht in Berlin Geduld. Oft sogar sehr viel Geduld. Auf einen Termin beim Bürgeramt muss man in der Regel mehrere Wochen bis sogar Monate warten. Dem "Tagesspiegel" zufolge schieben die Ämter derzeit mehr als 150.000 unerledigte Termine vor sich her. Online einen Termin zu buchen, ist derzeit zum Beispiel im Rathaus Berlin-Mitte gar nicht möglich - weil keine Termine verfügbar sind.

Die zuständige Senatsverwaltung für Inneres und Sport erklärt die Situation auf Anfrage unserer Redaktion mit den Folgen der Corona-Pandemie: Der Lockdown im Frühjahr 2020, nötige Umbaumaßnahmen, Mitarbeitende in Quarantäne – das alles habe dazu geführt, dass einige Standorte zwischenzeitig schließen mussten.

In diesem Jahr soll der Rückstand so gut es geht aufgeholt werden: In den Bürgerämtern wurden zuletzt pro Monat knapp 150.000 Termine gebucht. "Das sind bis zu 45.000 mehr als im Vergleichsmonat 2020", sagt Sylvia Schwab, stellvertretende Sprecherin der Innenbehörde. Im Frühjahr habe man 40 Mitarbeitende neu eingestellt.

Auch in den Verhandlungen über eine Neuauflage der rot-grün-roten Landesregierung spielt das Thema eine Rolle. Bürgerinnen und Bürger sollen innerhalb von zwei Wochen einen Termin bekommen. So lautet das Ziel. Von dessen Erfüllung ist die Verwaltung allerdings noch weit entfernt.

Chaos bei der "Superwahl"

Für bundesweite Schlagzeilen haben gerade die chaotischen Wahlen am 26. September gesorgt. An diesem Tag stimmten die Berlinerinnen und Berliner nicht nur über den Bundestag und das Abgeordnetenhaus ab, sondern auch über die Bezirksparlamente und den Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. Noch dazu legte der Marathon am selben Tag die Stadt stellenweise lahm.

Die "Superwahl" erwies sich als eine Nummer zu groß. Vor den Wahllokalen mussten die Menschen teils stundenlang anstehen. Mancherorts gingen die Wahlzettel aus und konnten wegen der für den Marathon gesperrten Straßen nicht schnell genug herbeigeschafft werden. Landeswahlleiterin Petra Michaelis räumte dem "Tagesspiegel" zufolge ein, dass es in 207 von 2.257 Wahllokalen zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist.

Michaelis hat selbst Einspruch gegen das Ergebnis eingelegt sowie ihren eigenen Rücktritt angekündigt. Auch der Bundeswahlleiter hat nicht ausgeschlossen, gegen die Wahl vorzugehen. Eine Wiederholung – zumindest in einzelnen Bezirken – ist nicht ausgeschlossen.

Verschlafene Digitalisierung

Zeit für die Suche nach Ursachen. Sabine Kuhlmann beobachtet die Hauptstadt aus der Nähe: aus Potsdam, wo sie an der Universität Professorin für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation ist. Berlin sei im Vergleich mit anderen Städten schon immer ein besonderer Fall gewesen, sagt Kuhlmann. "Überall, wo Bürger direkt betroffen sind, wo es lange Wartezeiten und Kapazitätsengpässe gibt, sticht Berlin heraus."

Zum Teil habe das mit hausgemachten Ursachen zu tun, zum Teil aber auch mit dem besonderen Problemdruck in einer so großen Stadt. "Ein erhebliches Problem ist die verschlafene Digitalisierung", sagt Kuhlmann. Da sei Berlin noch nicht so weit, wie es sein könnte. Allerdings müsse auch der Bund die Grundlagen für digitaltaugliches Recht schaffen.

Es knirscht zwischen Senat und Bezirken

Als Problem gilt zudem Berlins eigener "Föderalismus": Der Berliner Senat ist die Hauptverwaltung des Stadtstaats, darunter nehmen aber auch die zwölf Bezirke eigene Verwaltungsaufgaben wahr. Reibungslos funktioniert das offenbar nicht.

Die Bezirke einfach aufzulösen, wäre keine Lösung. Schließlich käme in den nach Einwohnerzahl kleineren Bundesländern Schleswig-Holstein oder Brandenburg auch niemand auf die Idee, Städte und Kreise abzuschaffen. "Sie können eine Stadt wie Berlin nicht nur zentral regieren, Sie brauchen auch dezentrale Einheiten", sagt Sabine Kuhlmann. Allerdings sei eine bessere Steuerung durch den Senat nötig. "Bis jetzt hat Berlin noch keine vernünftige Lösung für dieses Zusammenspiel gefunden."

Eine Verwaltungsreform sei wichtiger Bestandteil der aktuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin, teilt die Innenbehörde mit. Sie solle "Prozesse und Verfahren vereinfachen und beschleunigen und Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken klar regeln". Die designierte Bürgermeisterin Franziska Giffey will, dass der Senat künftig besseren Durchgriff auf die Bezirke hat.

Hinzu kommt aus Sicht von Kuhlmann ein generelles Personalproblem. In der Vergangenheit musste der öffentliche Dienst erhebliche Stellenkürzungen verkraften. "Man hört jetzt von den Bürgerämtern und Wahlämtern, dass dort am Limit gearbeitet wird, dass viel Fluktuation stattfindet. Gemessen am Problemdruck und an den zunehmenden Aufgaben müsste der öffentliche Dienst eigentlich aufgestockt werden", sagt Kuhlmann. "Die Arbeitsplätze dort müssen aber auch attraktiv sein."

Ausgabensperre für die Schulen

Die Aufstockung des öffentlichen Dienstes ist auch eine Frage des Geldes. Doch daran fehlt es überall in Berlin, dessen Schulden sich laut Finanzverwaltung 2020 auf 63,7 Milliarden Euro beliefen.

Die schwierige Haushaltslage steht dem Stadtstaat auch bei Zukunftsausgaben im Weg. Jüngstes Beispiel: Um ihre Sparauflagen einzuhalten, hat die Bildungsverwaltung eine Ausgabensperre für die Berliner Schulen verhängt. Über eine entsprechende Mitteilung an die Rektorinnen und Rektoren berichtete der "Tagesspiegel". Demnach dürfen die Schulen bis zum 15. Dezember nur noch Geld für Aufgaben ausgeben, zu denen sie bereits vertraglich verpflichtet sind.

Dabei steht der Zustand der rund 900 Schulen der Hauptstadt schon lange in der Kritik – auch wenn marode Bildungsstätten wohlgemerkt ein bundesweites Ärgernis sind. Der Förderbank KfW zufolge beläuft sich der Rückstand bei den Investitionen in Schulen in ganz Deutschland auf 42,8 Milliarden Euro.

Berlin hat sich auf dem Gebiet Großes vorgenommen. Bis 2026 sollen 5,5 Milliarden Euro in Sanierung und Neubau von Schulgebäuden fließen. Eine öffentliche Gesellschaft soll die Aufgabe übernehmen, um die Schuldenbremse zu umgehen. Ob der Kraftakt gelingt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Immer Ärger mit dem BER

Wie sehr öffentliche Bauvorhaben aus dem Ruder laufen können, hat in Berlin und Brandenburg nicht zuletzt der Hauptstadt-Flughafen BER gezeigt. Vor rund einem Jahr ist er in Betrieb gegangen – fast neun Jahre später als geplant. Und er hat die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bis zu sieben Milliarden Euro gekostet.

Aus den Schlagzeilen ist er auch nach der Eröffnung nicht gekommen. Am zweiten Oktober-Wochenende war der BER völlig überlastet. Verärgerte und frustrierte Fluggäste mussten zum Teil mehr als zwei Stunden auf das Einchecken warten oder verpassten sogar ihre Maschinen. Für ankommende Flugzeuge fehlten zum Teil die Ausstiegstreppen.

Immerhin: Am darauffolgenden Wochenende wiederholte sich das Schauspiel nicht. Trotz Schlangen sei ein neues Abfertigungschaos ausgeblieben, berichtete die Deutsche Presse-Agentur.

Über die Expertin: Prof. Dr. Sabine Kuhlmann ist Professorin für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Verwaltungsmodernisierung und vergleichender Kommunalforschung. Zudem ist sie stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats der deutschen Bundesregierung.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Sabine Kuhlmann, Universität Potsdam
  • Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Pressestelle
  • Berliner Senatsverwaltung für Finanzen: Schulden des Landes Berlin: Stetiger Abbau für eine solide Zukunft
  • Deutsche Presse-Agentur
  • Tagesspiegel 10. Oktober 2021: Bitte warten
  • Tagesspiegel 20. Oktober 2021: Im Sparmodus
  • tagesspiegel.de: Landeswahlleiterin kündigt Einspruch gegen Ergebnis der Berlin-Wahl an
  • Förderbank KfW: Kommunaler Investitionsrückstand in Schulen trotz Rückgangs weiter auf hohem Niveau


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