Speed-Dating bei G20: Nach ihrer Verspätung macht Kanzlerin Merkel beim Gipfel in Buenos Aires Tempo. Von wegen "lahme Ente". Ein anderer aus dem Kreis der Mächtigsten dieser Welt lässt es dagegen ungewöhnlich ruhig angehen.
Wer zu spät kommt, wird manchmal besonders herzlich empfangen. Als Bundeskanzlerin Angela
Merkel hat die längste Anreise zu einem Gipfel in 13 Jahren Kanzlerschaft hinter sich: 28 Stunden Odyssee vom Flughafen Berlin-Tegel, militärischer Teil, bis zum berühmtesten Opernhaus Südamerikas - wegen einer Panne an ihrem Regierungsflieger. Trotz der Strapazen wirkt sie gut gelaunt, sogar ein bisschen aufgedreht.
Das Gruppenfoto nutzt sie für ein erstes Gespräch mit Putin, mit dem sie dann am nächsten Morgen auch beim Frühstück sitzt. Ihr bleiben am zweiten Gipfeltag nur wenige Stunden, in die sie alles hineinpackt, was sie sich für zwei Tage vorgenommen hatte. Fünf bilaterale Gespräche, zwei Arbeitssitzungen mit allen, dazwischen noch ein Termin für die Medien.
Merkel kein Auslaufmodell
Merkel macht nach ihrem angekündigten Rückzug auf Raten aus der Politik nicht den Eindruck eines Auslaufmodells auf der Weltbühne. Im Gegenteil: Sie wird gebraucht. In der verworrenen Lage im Ukraine-Konflikt schauen nun viele auf sie.
Deutschland versucht hier zwar seit viereinhalb Jahren einigermaßen erfolglos zu vermitteln, genießt aber immer noch mehr Vertrauen auf beiden Seiten als jedes andere Schwergewicht in der internationalen Politik.
Auch
Im Gegenteil: Deutschland war bei Trumps bisherigen Gipfelteilnahmen eine Art Lieblingsgegner, den er gerne schon vorab per Twitter attackierte. Sei es wegen des Handelsdefizits oder mangelnder Verteidigungsausgaben.
Trump hält sich in Buenos Aires zurück
Ganz anders diesmal. Über seine PR-Waffe Twitter kommen vor allem warme Worte: Er lobt seinen verschiedenen Vorgänger George H. W. Bush, bedankt sich artig bei den Gipfel-Gastgebern und den Kollegen, für tolle Gespräche und produktives Arbeiten.
Bei wesentlichen Arbeitssitzungen in Buenos Aires ist Trump jedoch gar nicht dabei. Weder an der wichtigen Session zum Welthandel am Freitagnachmittag - wozu Trump seinen Finanzminister Steven Mnuchin ins Plenum schickt - noch bei den Gesprächen zum Klimaschutz am Samstag ist er persönlich anwesend. Das schon minutiös geplante Treffen mit Putin sagt er gleich ganz ab - wichtige weltpolitische Fragen, darunter die ungewisse Zukunft des Atomabrüstungsvertrages INF, bleiben auf höchster Ebene unbehandelt.
Das heikle Thema Saudi-Arabien überlässt er inmitten der Affäre um den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul seinem Außenminister Mike Pompeo.
Ein Handschlag mit dem saudischen Prinzen, so wie Wladimir Putin es tat, wollte Trump nicht. Der einstige Reality-TV-Star denkt in Wahrnehmungsspitzen - und mit nüchterner Gipfelarbeit dringt er beim heimischen Publikum nicht durch - noch dazu, wenn zugleich mit George H. W. Bush ein Amtsvorgänger stirbt und in Alaska die Erde bebt.
Trump setzt in Ukraine-Krise auf Hilfe von Merkel
Die vornehme Zurückhaltung ist erklärbar: Trump braucht unter anderem in der Ukraine-Krise Hilfe - und für die setzt er auf Merkel. Ohnehin hat der US-Präsident für den Gipfel in Buenos Aires weniger die Mühsal der Arbeitssitzungen als sein Ziel definiert. Sein Visier hat er auf das gemeinsame Abendessen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping eingestellt.
Dort wollte er nach Gipfelschluss am Samstagabend die Voraussetzung schaffen, um den selbst angezettelten Handelskrieg mit dem Reich der Mitte zu beenden - oder ihn zumindest nicht weiter eskalieren zu lassen.
Trump sagt sogar eine bereits geplante Pressekonferenz zum Gipfelabschluss in Buenos Aires ab - aus Respekt vor dem toten Bush und dessen Familie. Der Respekt ist in Trumps Amtsführung jedoch neu - während der Beerdigung von Senator John McCain hatte er Golf gespielt und sich via Twitter über angebliche Fake News beschwert.
Grund für Trumps Zurückhaltung: Cohen?
Der vielleicht entscheidende Grund für den stillen Trump dürfte jedoch in der Heimat zu suchen sein. In der Russland-Affäre ist er nach einem überraschenden Eingeständnis seines früheren Anwalts Michael Cohen noch mehr unter Druck geraten. Die Leute von FBI-Sonderermittler Robert Mueller sprechen inzwischen von Trump im Zuge der Untersuchungen als "Individual One" (Person Nummer eins).
Es geht um ein Bauprojekt in Moskau, das Trump länger als bisher bekannt und bis weit in den Wahlkampf 2016 verfolgt haben soll. Trump habe schlicht gelogen, schreibt etwa das angesehene Magazin "The Atlantic". "Ein ausländischer Gegner hat über längere Zeit potenziell belastendes Material über den Präsidenten besessen."
Das könnte eine neue Qualität der Ermittlungen bedeuten, die seit Monaten Trumps Präsidentschaft hemmen und die er so gern beendet sähe. Die Neuigkeiten dürften auch im Weißen Haus Alarm auslösen, wo die Arbeit des Sonderermittlers nach wie vor öffentlich als ungerechtfertigte Hexenjagd abgetan wird.
Einen Fototermin mit Wladimir Putin sah Trump offenbar als nicht imagefördernd an. © dpa
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