Nach einem Jahr hat der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung seine Meinung geändert - Kipp tragen ist nicht überall in Deutschland gefahrlos, sagt Felix Klein. Kritiker sehen ein Versagen des Rechtstaates.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung hat Juden davon abgeraten, sich überall in Deutschland mit der Kippa zu zeigen. "Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen. Das muss ich leider so sagen", sagte Felix Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag).
Der Publizist
"Zunehmende gesellschaftliche Enthemmung und Verrohung"
Er habe seine Meinung "im Vergleich zu früher leider geändert", sagte Klein, der seit knapp einem Jahr im Amt ist. Er begründete das mit der "zunehmenden gesellschaftlichen Enthemmung und Verrohung", die einen fatalen Nährboden für Antisemitismus darstelle.
Etwa 90 Prozent der Straftaten seien dem rechtsradikalen Umfeld zuzurechnen. Bei muslimischen Tätern seien es zumeist Menschen, die schon länger in Deutschland lebten. "Viele von ihnen gucken arabische Sender, in denen ein fatales Bild von Israel und Juden vermittelt wird."
Zentralrat der Juden warnt vor wachsendem Antisemitismus
Gleichzeitig forderte Klein Schulungen für Polizisten und andere Beamte im Umgang mit Antisemitismus. "Es gibt viel Unsicherheit bei Polizisten und bei Behördenmitarbeitern im Umgang mit Antisemitismus." Das Thema gehöre auch in die Ausbildung der Lehrer und Juristen.
Der Zentralrat der Juden warnt immer wieder vor wachsendem Antisemitismus in Deutschland und hat auch vom Tragen der Kippa in Teilen von Großstädten abgeraten. So sagte Zentralratspräsident Josef Schuster im Juli 2017 der "Bild am Sonntag: "In einigen Bezirken der Großstädte würde ich empfehlen, sich nicht als Jude zu erkennen zu geben."
Die Erfahrung habe gezeigt, dass das offene Tragen einer Kippa oder einer Halskette mit Davidstern verbale oder körperliche Bedrohungen zur Folge haben könne.
Michel Friedmann: "Armutszeugnis für den Rechtsstaat"
Der Publizist Michel Friedman bezeichnete die Äußerungen von Klein als "Offenbarungseid des Staates". Friedman verwies in auf Artikel 4 des Grundgesetzes, der unter anderem die Religionsfreiheit garantiert. "Anscheinend versagt der Staat, dies allen jüdischen Bürgern im Alltag zu ermöglichen", sagte der 63-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.
Friedman kritisierte: "Wenn ein Beauftragter der Bundesregierung offiziell der jüdischen Gemeinschaft mitteilt, 'Ihr seid nicht überall in Deutschland vor Judenhass und Gewalt sicher', dann ist das ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat und die politische Realität in Deutschland." Der Staat müsse gewährleisten, "dass Juden sich überall angstfrei zu erkennen geben können", sagte der frühere Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland.
"Ich empfehle allen, diese Aussagen sehr ernst zu nehmen", sagte Friedman zu dem Interview von Klein. "Dort, wo Juden nicht sicher und frei leben können, werden es bald auch andere nicht mehr können", warnte Friedman. "Ich fordere Herrn Klein und die Bundesregierung konkret auf, der Öffentlichkeit mitzuteilen, an welchen Orten Juden nicht sorgenfrei und von Gewalt bedroht leben können."
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2018 war die Zahl antisemitischer Straftaten bundesweit stark angestiegen. Der jüngste Jahresbericht zur politisch motivierten Kriminalität wies 1799 Fälle aus, 19,6 Prozent mehr als 2017.
Mehrere antisemitische Vorfälle hatten zuletzt bundesweite Aufmerksamkeit bekommen. So war im August in Chemnitz ein jüdisches Restaurant mit Flaschen und Steinen angegriffen worden.
In Berlin attackierte im April 2017 ein Syrer einen Kippa tragenden Israeli. Der nicht jüdische Israeli filmte dies und stellte die Aufnahme ins Netz. Der Angreifer wurde zu vier Wochen Arrest verurteilt. In Bonn war im vergangenen Jahr ein israelischer Professor, der eine Kippa trug, von einem jungen Deutschen mit palästinensischen Wurzeln attackiert worden. (dpa/hub)
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