Freie Wahlen und eine neue Verfassung: Die Menschen in Tunesien freuen sich über die Früchte der Jasmin-Revolution von 2011. Doch damit sind sie unter den Ländern des Arabischen Frühlings allein - in anderen Staaten herrschen nach wie vor politisches Chaos und Bürgerkrieg.

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Für Millionen Tunesier war der vergangene Sonntag ein Tag der Freude: Fast vier Jahre nach der Jasmin-Revolution stimmten sie erstmals bei einer demokratischen Direktwahl über einen neuen Präsidenten ab. Anfang 2011 hatte das Volk nach fast 25 Jahren den autoritären Herrscher Zine el-Abidine Ben Ali gestürzt. Auch in anderen Ländern erhoben sich die Menschen damals gegen Autokraten: Ägypten, Libyen, Syrien. Der Arabische Frühling begann.

Doch was ist aus den Revolutionen der Region geworden? Wie geht es den Menschen heute? Und waren die ersehnten Umbrüche erfolgreich - oder ist aus dem Frühling ein arabischer Winter geworden? Ein Überblick:

Ägypten

"Die Demokratisierung in Tunesien ist leider eine Ausnahme geblieben", sagt André Bank vom GIGA Institut für Nahost-Studien. Dabei war Ägypten auf einem guten Weg. Nach den Massenprotesten auf dem Tahrir-Platz tritt der langjährige Staatspräsident Husni Mubarak im Februar 2011 zurück. Bei Neuwahlen kommen die islamischen Muslimbrüder an die Macht, im Juni 2012 wird Mohammed Mursi zum Präsidenten gewählt.

Doch damit beginnt auch die politische Misere, in der Ägypten heute steckt. Denn Mursi regiert autokratisch und versucht die Justiz aushebeln. "Die Menschen fragten sich, ob hier eine islamische Ersatzdiktatur entsteht", sagt Rachid Ouaissa, Professor der Universität Marburg und Leiter des Centrums für Nah- und Mittelost-Studien. Als die Gesellschaft sich spaltet, putscht im Juli 2013 das Militär und übernimmt - wie nach Mubarak - erneut die Macht. Neuer Präsident wird schließlich der Militärchef Abdel Fattah al-Sisi.

Heute gehe es dem Land nicht besser als vor der Revolution, analysiert Ouaissa. Rede- und Versammlungsfreiheit seien eingeschränkt, Amnesty International kritisiert die willkürliche Justiz. Am schwersten aber wiegt laut Ouaissa: "Es gibt kein eigenes politisches Projekt, das vom Tahrir ausgeht." Ägypten fehlt die Perspektive.

Libyen

In Libyen wurde mit dem Tod Muammar al-Gaddafis im Oktober 2011 ein weiterer autokratischer Staatschef gestürzt. Über Monate herrschte in dem Land Bürgerkrieg, die NATO beteiligte sich mit Luftangriffen. Doch auch drei Jahre nach dem Ende der Gaddafi-Ära fehlt es an Ordnung. Die Angst vor Terrorismus bestimmt den Alltag vieler Bürger.

Es geht um Macht in Libyen, genauer: um die Verteilung von Macht. Neue Akteure, Reste des Militärs, rivalisierende Stämme - alle wollen mitbestimmen im neuen Libyen. Und sie wollen sich ihren Teil sichern an den Einnahmen durch Erdöl- und Erdgasverkäufe. Doch das hat seinen Preis. "Machtkämpfe treiben den Übergangsprozess in Richtung Scheitern", schreibt Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Analyse.

Libyen droht der Staatszerfall, das Land könnte in mehrere Teile zerbrechen. Das ist auch die Schuld des alten Regimes. "Gaddafi monopolisierte alles und regierte als Person, aber nicht als System. Das Land besitzt keine politische Kultur", sagt Rachid Ouaissa.

Jordanien

Auch Jordanien erfasste 2011 die Welle des Aufstands. Aber inzwischen ist es den Machthabern in der Hauptstadt Amman gelungen, die Protestbewegung zu spalten und zu schwächen. Noch immer sind viele Menschen unzufrieden mit dem Reformstau. Doch ein Blick in die Nachbarländer, wo gerade der Islamische Staat wütet, zeigt ihnen auch: die Monarchie regiert zwar autoritär, garantiert aber auch Stabilität. Viele Jordanier akzeptieren da das kleinere Übel.

"Die Monarchie verfolgt eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche", sagt Nahost-Forscher André Bank. Einerseits reformierte sie etwa das Wahlrecht, worüber in Jordanien seit Jahrzehnten diskutiert wird. Jedoch sei das nicht mehr als eine Scheinreform gewesen, erklärt Bank. Die Parlamentswahlen 2013 hätten fast das gleiche Ergebnis wie frühere Wahlen gebracht.

Syrien

Die Aufstände in Tunesien und Ägypten treiben auch in Syrien die Menschen auf die Straßen. Doch das Regime um Machthaber Baschar al-Assad geht von Anfang an brutal gegen die Demonstranten vor, lässt sogar Panzer auffahren. Die Proteste wachsen sich zu einem Bürgerkrieg aus, in dem auch Hunderte durch Giftgas sterben.

Rund 200.000 Menschen sollen in dem Krieg bereits ihr Leben verloren haben, nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind mehr als 6,5 Millionen Syrer auf der Flucht. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Experten rechnen damit, dass der Krieg noch Jahre weitergeht. Von der Hoffnung auf Revolution ist nur ein zerstörtes Land geblieben.

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