Mit einem Familienpflegegeld könnte der Staat Menschen finanziell entlasten, die einen Angehörigen pflegen und dafür den Job ganz oder teilweise aufgeben müssen. Ob der Bundeshaushalt die Einführung dieser Lohnersatzleistung noch zulässt, ist offen. Doch Bundesfamilienministerin Lisa Paus hält an dem Plan fest.
Ist in der eigenen Familie ein Pflegefall zu versorgen, stehen Angehörige häufig vor schwierigen Entscheidungen. Wer zum Beispiel den dementen Vater oder die Mutter nicht in ein Heim geben kann oder will, muss die Pflege zu Hause stemmen. Das kann ein Vollzeitjob sein, bei dem keine Zeit mehr für den eigentlichen Job bleibt.
Vier von fünf Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Die Situation ihrer Angehörigen zu verbessern, versprechen Politikerinnen und Politiker immer wieder. Eine Reform der Pflegeversicherung soll zusätzliches Geld ins System bringen. Bundesfamilienministerin
Paus geht es dabei besonders um Frauen. "Viele Frauen haben in ihren 30ern Kinder bekommen, danach vielleicht zehn bis 15 Jahre gearbeitet, häufig nur in Teilzeit. Wenn sie dann einen Angehörigen pflegen und dafür vorzeitig wieder aus dem Beruf gehen müssen, ist Altersarmut programmiert", sagt die Ministerin unserer Redaktion.
Familienpflegezeit soll reformiert werden
Bisher gibt es die Familienpflegezeit: Dem Bundesfamilienministerium zufolge können sich pflegende Angehörige von der Arbeit freistellen lassen: bis zu sechs Monate vollständig und bis zu 24 Monate teilweise. Um das fehlende Gehalt aufzufangen, haben sie Anspruch auf ein zinsloses Darlehen des Staates. Allerdings deckt es nur einen Teil des Verlusts ab und muss zudem in Raten zurückgezahlt werden.
In ihrem Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP deshalb auf die Einführung einer "Lohnersatzleistung" geeinigt. Das würde bedeuten: Wer für die Pflege eines Angehörigen zeitweise aus dem Beruf aussteigen muss, bekommt vom Staat einen Ersatz für den fehlenden Lohn ausgezahlt. Das entspricht in etwa dem Konzept des Elterngelds.
Konkreter wurde der Koalitionsvertrag nicht. Ein unabhängiger Expertenrat hat dem Bundesfamilienministerium im August 2022 Vorschläge dazu übergeben, wie diese Lohnersatzleistung genau aussehen könnte: Dieses "Familienpflegegeld" könnte demnach für höchstens anderthalb Jahre gezahlt werden. Die Höhe soll sich an den Berechnungen des Elterngelds orientieren: Es umfasst je nach Verdienst 65 bis 100 Prozent des Voreinkommens und muss nicht zurückgezahlt werden.
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Lisa Paus: "Wir haben einen Pflegenotstand"
"Eine Lohnersatzleistung für einen gewissen Zeitraum wäre sinnvoll, um beides zu ermöglichen: dass Menschen berufstätig sind und sich um einen Angehörigen kümmern können", sagt Familienministerin Paus. Notwendig ist das ihrer Meinung nach nicht nur aus Sicht der Pflegenden, sondern auch mit Blick auf die ganze Gesellschaft: "Wir haben einen Pflegenotstand. Deswegen sind die Leistungen von Angehörigen besonders zu würdigen. Es ist nicht in Ordnung, diese wirtschaftliche und soziale Herausforderung auf ihren Rücken auszutragen."
Auch die oppositionellen Unionsparteien fordern ein Pflegegeld als Lohnersatzleistung. Darin einzusteigen, sei "wichtig und richtig", sagt der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Sepp Müller zu unserer Redaktion. "Wir müssen die pflegenden Angehörigen bei allen Debatten, die wir um die Pflege führen, deutlich mehr in den Fokus nehmen", so Müller. Der Einstieg ins Pflegegeld werde für viele Menschen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern und zudem die Pflegeeinrichtungen entlasten. "Es wird Zeit, dass die Ampel endlich den Koalitionsvertrag umsetzt", so Müller.
Ein Urteil und ein Fragezeichen
Im Grunde finden die Idee also sowohl Regierung als auch Opposition gut. Allerdings muss man trotzdem ein großes Fragezeichen hinter die Pläne machen. Das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung vor rund einer Woche die Verwendung von alten Krediten für Klimaschutz und Wirtschaftsförderung untersagt.
Das könnte Auswirkungen auf alle Politikbereiche haben, denn die Ampel-Koalition muss nun noch mehr sparen als ohnehin schon. Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat schon vor einigen Monaten gesagt: Spielräume für weitere Sozialleistungen sieht er vorerst nicht.
Generell steht auch die FDP hinter dem Ziel, pflegende Angehörige zu entlasten. "Diese zusätzliche Aufgabe ist viel zu oft mit Einschnitten in die eigene Erwerbstätigkeit verbunden. Wer neben einem Vollzeitjob vielleicht auch noch ein Elternteil pflegt und seinen eigenen Familienalltag managen muss, ist einer enormen Belastung ausgesetzt", sagt der pflegepolitische Sprecher Jens Teutrine unserer Redaktion.
Die Liberalen wollen den Pflegenden mehr Entscheidungsfreiheit über ihre Zeit verschaffen. "Auf Grundlage dessen muss die Familienministerin Paus einen Vorschlag erarbeiten. Für bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf braucht es aber mehr als nur die Weiterentwicklung der Familienpflegezeit und eine mögliche Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige", findet er. Teutrine fordert zum Beispiel flexiblere Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle und mehr Plätze für die Kurzzeitpflege.
Lisa Paus will sich von der Haushaltsdiskussion offenbar nicht von ihrem Plan abbringen lassen. "Das Thema begegnet mir in sehr vielen Gesprächen: mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Gewerkschaften, auch mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Die Wirtschaft ruft nach Lösungen für das Thema Pflege, weil Unternehmen darauf angewiesen sind, Fachkräfte zu halten", sagt sie. Deswegen arbeite sie weiter an der Familienpflegezeit. "Wir sind da schon sehr weit. Ich bin zuversichtlich, dass ich schon bald die Grundsätze vorstellen kann."
Verwendete Quellen
- Stellungnahmen von Lisa Paus, Sepp Müller und Jens Teutrine
- Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend: Die Familienpflegezeit
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