Der Völkermord an den Armeniern sorgt für diplomatische Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Türkei. 101 Jahre nach den Massakern hat Deutschland mit der Verabschiedung einer Resolution seine historische Mitverantwortung anerkannt.
Deutschland hat seine historische Mitschuld am Genozid von Armeniern anerkannt und dies aus gutem Grund: Das Deutsche Kaiserreich habe "die Verbrechen indirekt unterstützt", sagt die Historikern Christin Pschichholz.
Mitverantwortung öffentlich anerkannt
Waren die Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg ein Völkermord? Während sich die Türkei vehement gegen diesen Begriff wehrt, besteht daran für eine große Mehrheit von Historikern rund um den Globus seit Jahren kein Zweifel. Dutzende Staaten haben das Leid der Armenier ebenfalls als Genozid anerkannt.
Nun auch Deutschland. Mit der fast einstimmig verabschiedeten Armenier-Resolution will der Bundestag nicht nur der bis zu 1,5 Millionen Ermordeten gedenken, sondern auch die eigene Mitverantwortung öffentlich anerkennen. Welche Rolle spielte Deutschland eigentlich beim ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts?
"Sehr gut über die Verbrechen informiert"
Das Deutsche Kaiserreich und das Osmanische Reich, aus dem später die Türkei entstand, waren im Ersten Weltkrieg enge Verbündete. "Die Reichsregierung war sehr gut über die Verbrechen an den Armeniern informiert. Aber für sie stand im Mittelpunkt, das Osmanische Reich als Bündnispartner zu erhalten", sagt Dr. Christin Pschichholz.
Die Historikerin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam/Lepsiushaus Potsdam, wo zum Völkermord an den Armeniern geforscht wird. Neben Armeniern wurden auch Aramäer und Angehörige weiterer christlicher Minderheiten ermordet, hauptsächlich im Jahr 1915. Das Osmanische Reicht begründet die Maßnahmen damals als militärische Notwendigkeit, da die armenische Bevölkerung illoyal wäre und das Frontgebiet gefährde.
Kaiserreich hat Verbrechen indirekt unterstützt
Zwar seien die Verantwortlichen im Kaiserreich mit dem osmanischen Vorgehen nicht einverstanden gewesen und hätten mehrere Protestnoten abgesetzt, letztlich hätten sie durch ihr Nicht-Handeln "die Verbrechen indirekt unterstützt", erklärt Pschichholz. "Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten", befand Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg im Jahr 1915. "Gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht."
Die Historikerin beschreibt die deutsche Rolle als "unterlassene Hilfeleistung". Daraus lässt sich eine Mitverantwortung ableiten. Nach Ende des Ersten Weltkriegs habe es hierzulande zwar Stimmen gegeben, die eine Aufarbeitung der Verbrechen forderten. Diese seien in den Debatten um die deutsche Kriegsschuldfrage und den Versailler Vertrag aber "immer leiser geworden", so Pschichholz.
Den Holocaust nicht relativieren
Bis heute hat sich die Bundesrepublik mit der Benennung des Völkermords im Vergleich zu vielen anderen Staaten schwer getan. In der DDR konnte wegen der Anerkennung des Genozids durch die Sowjetunion darüber viel offener diskutiert werden. Woran liegt das?
Für die Zögerlichkeit in der BRD sieht Pschichholz verschiedene Ursachen. Zum einen habe es von jeher eine gewisse Rücksichtnahme auf den Nato-Bündnispartner Türkei gegeben. Zum anderen sei aufgrund der deutschen Fixierung auf den Zweiten Weltkrieg über die Verbrechen an den Armeniern in der breiten Öffentlichkeit sehr wenig bekannt gewesen.
In Schulbüchern gibt es bis heute kaum Informationen darüber. "Und schließlich war Deutschland in dieser Frage vorsichtiger, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass man die eigenen Verbrechen während des Holocausts relativieren möchte", fasst die Expertin zusammen. Diese Sicht hat sich inzwischen geändert.
Spannungen mit der Türkei "nicht überbewerten"
Oft ist in den letzten Wochen darüber diskutiert worden, ob sich Angela Merkel durch das EU-Türkei-Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen nicht abhängig von der Türkei gemacht habe. Die Verabschiedung der Armenier-Resolution - trotz heftiger türkischer Proteste und der Androhung von Konsequenzen - spricht eher dagegen. "Man sollte die derzeitigen Spannungen mit der Türkei daher nicht überbewerten", erklärt Pschichholz.
In Abwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Abstimmung - offiziell "aus Termingründen" - sieht die Potsdamer Forscherin womöglich den Versuch, "diplomatischen Spielraum" zu erhalten. Wahrscheinlich wollten Merkel & Co. den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht mehr als nötig verärgern.
Viel wichtiger war nun aber ohnehin die Frage: War das Massaker an Armeniern im Ersten Weltkrieg ein Völkermord? Der Bundestag hat dies nun bejaht. Eine längst überfällige Entscheidung.
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