Der frühere CDU-Vorsitzende Armin Laschet leitet im Deutschen Bundestag den Unterausschuss für Abrüstung. Im Interview auf der Münchner Sicherheitskonferenz spricht er über rote Linien in Kriegen – und die Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten.
Der frühere CDU-Kanzlerkandidat
Das Institut setzt sich für die Umsetzung der Abraham-Abkommen ein. Israel hat sie 2020 und 2021 mit vier muslimischen Staaten geschlossen. Die Hoffnung lautete: Zusammenarbeit in der Region eröffnet einen Weg zu dauerhaftem Frieden. Doch dann kamen der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und als Reaktion Israels Bodenoffensive im Gazastreifen.
Beim Interview auf der Münchner Sicherheitskonferenz will Laschet die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben. "Es wird eine Zeit nach dem Gaza-Krieg geben", sagt er.
Herr Laschet, Sie leiten im Bundestag den Unterausschuss für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung. Bei der aktuellen Weltlage klingt das fast aus der Zeit gefallen. Ist Abrüstung noch ein politisches Ziel?
Armin Laschet: Als ich den Ausschuss übernommen habe, habe ich in der Tat gesagt: Wir sind hier antizyklisch. Der Ausschuss soll sich um Abrüstung bemühen, aber alle Welt rüstet auf. Auch Deutschland. Sondervermögen, mehr Waffen, mehr Munition für die Bundeswehr. Nichtsdestotrotz ist das Thema höchst bedeutsam. Die Nichtverbreitung von Atomwaffen ist im Hinblick auf den Iran sehr wichtig. Wir beschäftigen uns auch mit der Kontrolle biologischer und chemischer Waffen, mit autonomen Waffensystemen und künstlicher Intelligenz in Kriegen.
Der technologische Fortschritt rast in der Rüstung voran. Gibt es überhaupt noch rote Linien?
Ja. Das gilt vor allem für autonome Waffensysteme, also Waffen, die ohne menschliches Zutun arbeiten. Wir wollen keine Roboter-Armee. Wir wollen keine Waffen, die blind nach einem Algorithmus töten. Das ist eine Horrorvorstellung. Auch bei biologischen und chemischen Waffen muss die Kontrolle verbessert werden. Und das Gleiche gilt natürlich für Atomwaffen. Wenn immer mehr Staaten wie der Iran Zugriff auf Atomwaffen haben, wird die Welt unsicherer.
Allerdings wird inzwischen auch in Europa über neue Atomwaffen diskutiert. Sogar über eine "europäische Bombe".
Mich wundert manchmal, wie leichtfertig manche daherreden. Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl hat die europäische Bombe gefordert. Das ist so plump formuliert, leichtfertig und unbedacht. Man muss das doch durchdenken, bevor man so etwas fordert. Wer soll den Einsatzbefehl geben? Die EU-Kommissionspräsidentin? Und wer kontrolliert das eigentlich und welche Rolle spielen die Mitgliedstaaten? Im Moment ist mir das zu viel Dahergerede. Außerdem ist die SPD hier inkonsequent.
Warum?
Die Ampel ist gegen die zivile Nutzung der Kernenergie in Deutschland und diskutiert jetzt über ihre militärische Nutzung? Das ist alles etwas aus dem Ärmel geschüttelt. Wir haben in Europa die französischen und die britischen Atomwaffen. Über europäische Lösungen unter der Federführung dieser Staaten kann man sicher nachdenken, aber nicht der nächsten Schlagzeile hinterherjagen.
Armin Laschet zum Nahen Osten: "Würde mir viel mehr deutsch-französische Initiativen wünschen"
Europa sucht auch eine gemeinsame Haltung zum Nahostkonflikt. Sie engagieren sich als Vorsitzender des "Abraham Accords Institute" für das Thema. Haben Sie noch Zuversicht, dass im Nahen Osten irgendwann Frieden herrscht?
Im Moment besteht wenig Grund zur Zuversicht. Wir waren aber seit dem Jahr 2020 schon auf einem sehr guten Weg. Mit den Abraham-Abkommen haben vier arabische Länder Israel erstmals nach 50 Jahren der Feindschaft als Staat anerkannt. Sie haben eine Freihandelszone geschaffen, Tourismus ermöglicht, in den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden eine Synagoge und eine Kirche gebaut. Das hat Menschen zusammengebracht. Auch Saudi-Arabien hat sich auf diesen Weg gemacht. Der Iran wollte diesen Prozess stören. Aus meiner Sicht ist das einer der Gründe für den Anschlag der Hamas am 7. Oktober. Aber es wird eine Zeit nach dem Gaza-Krieg geben.
Wie soll das aussehen?
Ich setze darauf, dass die vier Länder der Abraham-Abkommen – Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko und Sudan – einen Friedensprozess begleiten. Sie können der Palästinensischen Autonomiebehörde dabei helfen, Gaza wieder aufzubauen, und eine neue Phase der Beziehungen in der Region beginnen. Das erfordert allerdings auch auf israelischer Seite Schritte in Richtung der Palästinenser. Ansonsten werden sich die arabischen Länder nicht bewegen.
Die Abraham-Abkommen haben die Palästinenser allerdings nicht einbezogen. Das ist doch eine Schwachstelle.
Das ist keine Schwachstelle, denn das war nicht die Absicht der Abkommen. Es ging darum, eine regionale Zusammenarbeit im Nahen Osten zu ermöglichen. Auch ich habe den israelischen Freunden oft gesagt: Frieden mit Abu Dhabi ist wichtig, aber ihr müsst auch das Problem im Westjordanland, in Nablus, Ramallah und Bethlehem lösen. Die Palästinenser sind eure direkten Nachbarn und dieser Prozess muss parallel laufen. Wenn die arabischen Länder, die Israel anerkennen, dabei helfen, dann hilft das auch den Palästinensern.
Der Hamas-Angriff auf Israel und die israelische Gegenreaktion im Gaza-Streifen haben auf beiden Seiten viel Zwietracht gesät. Gibt es in den Gesellschaften überhaupt noch Unterstützung für eine Aussöhnung?
Das ist sehr unterschiedlich. In den Emiraten ist die Gesellschaft weiterhin bereit, diesen Weg zu gehen. Die Emirate haben ihre Schulbücher geändert und erstmals den Holocaust in die Lehrpläne aufgenommen. In Bahrain ist die Lage angespannter und der Friedensprozess mühevoller. Dennoch ist Bahrain nicht abgesprungen. Marokko hat eine große arabische Gesellschaft. Sie ist Israel gegenüber zwar kritisch, aber sie hat auch eine alte jüdische Tradition.
Welche Rolle kann Deutschland bei der Lösungssuche im Nahen Osten spielen? In den 90er Jahren war die Bundesrepublik noch ein Vermittler in der Region, inzwischen ist der Einfluss deutlich gesunken.
Die Abraham Accords sind ein amerikanisches Projekt. Deutschland könnte aber im europäischen Kontext einen Beitrag leisten. Die Europäische Union ist bei dem Thema leider zerstritten. Ich würde mir viel mehr deutsch-französische Initiativen wünschen. Frankreich hat traditionell gute Kontakte in die arabische Welt, Deutschland hat besondere Beziehungen zu Israel und keine koloniale Vergangenheit in der Region. Ich bedauere, dass der Bundeskanzler das deutsch-französische Verhältnis nicht so nutzt, wie es nötig und möglich wäre.
Über den Gesprächspartner
- Der Aachener Armin Laschet ist seit mehr als 35 Jahren politisch aktiv. Er war unter anderem Mitglied des Europäischen Parlaments, der erste Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen sowie Ministerpräsident des Bundeslandes. Als Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat der CDU führte er die Partei 2021 in den Bundestagswahlkampf, verlor allerdings gegen die SPD. Seitdem ist Laschet Mitglied des Bundestags, dort Mitglied im Auswärtigen Ausschusses sowie Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung.
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