• Moskau hat Gespräche im Rahmen eines wichtigen Abrüstungsvertrags zwischen Russland und den USA kurz vor dem Treffen auf Eis gelegt.
  • Als Begründung gab der Kreml unter anderem den Ukraine-Krieg an.
  • Was das bedeutet und wie die USA nun reagieren könnten, analysiert Militärexperte Gustav Gressel.

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Die Weltgemeinschaft hatte das Treffen der zwei größten Atommächte im Rahmen des „New Start“-Vertrags mit Spannung erwartet. Doch unmittelbar vor den geplanten Abrüstungsgesprächen zwischen Moskau und Washington hat Russland das Treffen auf Eis gelegt. Russland habe das Treffen einseitig verschoben, hieß es aus dem US-Außenministerium.

Die Beratungen sollten eigentlich vom 29. November bis zum 6. Dezember in Kairo stattfinden und die Zukunft des Vertrags zum Thema haben. Beide Seiten hatten angekündigt, die jeweiligen Vorwürfe der Gegenseite anzuhören. Streitpunkt sind vor allem die gegenseitigen Inspektionen von strategischen Waffen, die im sogenannten "New Start"-Vertrag vereinbart sind.

Inspektionen ausgesetzt

Bereits im August hatte Moskau verkündet, die vertraglich festgelegten Kontrollen seines Atomwaffenarsenals durch die USA nicht wieder zuzulassen. Die Inspektionen waren ursprünglich wegen der Corona-Pandemie im März 2020 ausgesetzt worden.

Im August behauptete Russland dann, die westlichen Sanktionen würden Überprüfungen durch russische Inspekteure in den USA behindern, weil es Strafmaßnahmen gegen russische Flüge, Visabeschränkungen und andere Hürden gäbe. Wenn nur die USA Inspekteure schicke, hätte sie "unilaterale Vorteile", weshalb man die Inspektionen ganz aussetze.

Reduzierung von Sprengköpfen und Trägerraketen

Der „New Start“-Vertrag, 2010 von Obama und dem damaligen russischen Staatschef Dmitri Medwedew unterzeichnet, war zuletzt im Februar 2021 um fünf Jahre verlängert worden. Er ist das Nachfolgeabkommen des Vertrags zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen ("Start"-Vertrag), der wiederum 1991 zwischen den USA und der Sowjetunion vereinbart worden war.

Damals hatte man sich darauf geeinigt, dass beide Seiten jeweils 6.000 Kernsprengköpfe und 1.600 Trägerraketen besitzen dürfen. Das Nachfolgeabkommen sah dann eine weitere Reduzierung einsatzbereiter nuklearer Sprengköpfe auf 1.550 vor sowie auf bis zu 800 Trägersysteme. Auf die Deaktivierung aller landgestützten Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen ließ sich Russland bislang nicht ein.

Ukraine-Krieg als Begründung genannt

Zunächst hatte es nun von John Kirby, dem Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA geheißen, es gebe keine "solide Antwort" von den Russen, warum das Treffen abgesagt haben. Später nannte Moskau unter anderem den Ukraine-Krieg als Begründung. Man habe "keine andere Wahl" gehabt, als die Abrüstungsgespräche zu vertagen, so der russische Vize-Außenminister Sergej Ryabkow. Moskau habe andere Prioritäten.

Kirby hatte in Bezug auf die Gespräche erinnert: "Es ist wichtig - nicht nur wichtig für unsere beiden Nationen. Es ist wichtig für den Rest der Welt". Das Abkommen gilt als der letzte große Vertrag zur Rüstungskontrolle seiner Art zwischen Moskau und Washington. Ausgesetzt hatte Moskau die vertraglich festgelegten Inspektionen bis im vergangenen Jahr nie.

Experte vermutet Taktik

Kirby erklärte, die USA seien zum schnellstmöglichen Termin zu Gesprächen bereit. Nur mit der Wiederaufnahme von Inspektionen könne das Abkommen als ein Instrument der Stabilität erhalten bleiben. Das letzte Treffen in diesem Rahmen hatte im Oktober 2021 stattgefunden. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann Ende Februar 2022.

Militärexperte Gustav Gressel ist sich sicher, dass die derzeitigen Entwicklungen Taktik sind. "Die Russen nutzen die atomare Drohung als wesentliches Mittel, um den Westen zu verunsichern", erinnert er. Moskau wisse genau, dass US-Präsident Joe Biden und sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan befürchteten, dass es zu einem Atomwaffeneinsatz durch Russland kommt.

Vorgeschobenes Argument

"Wenn die Russen aber amerikanische Inspektoren bei ihren Nuklearstreitkräften dulden, würden die Amerikaner schnell merken, dass bei dem russischen Gerede viel Bluff dabei ist – die Wirkung ginge verloren", sagt Gressel. Die Aufmerksamkeit um die abgesagten Gespräche und die ausgesetzten Inspektionen spielen dem Kreml also in die Karten.

"Solange der Krieg andauert, wird es deshalb kaum zu einer Wiederaufnahme der Inspektionstätigkeiten kommen", schätzt Gressel. Er hält das Argument Russlands, dass die Sanktionen eine Rolle spielten, für vorgeschoben. "Außerdem stellen die Russen die Komponenten für ihre Nuklearwaffen selbst her, hier sind sie von westlichen Sanktionen nicht betroffen", kommentiert er.

Was die USA tun sollten

Gressel meint, Washington müsse Moskau eventuell aufzeigen, was geschehe, wenn es keine Inspektionen gibt. "Dass die Amerikaner dann Vorkehrungen treffen werden, um möglichen russischen Vertragsverletzungen vorbeugen zu können – sprich Gegenrüstung", führt er aus.

Dann würde der Kreml vermutlich hellhörig und lasse Inspektionen wieder zu. "Ich bezweifele aber, dass sich die Biden-Administration dazu durchringen kann", meint Gressel. Sie sei in der Tradition von Obama eher vorsichtig und zurückhaltend.

Über den Experten:
Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
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