- Mit Autobahn-Blockaden und anderen Aktionen zivilen Ungehorsams sorgt die Gruppe "Aufstand der letzten Generation" für Aufsehen.
- Die Aktivistinnen und Aktivisten fordern radikalen Klimaschutz und ein Gesetz gegen Lebensmittel-Verschwendung - und drohen mit weiteren Störungen der Infrastruktur.
- In der Politik stoßen die Aktionen auf Unverständnis. Auch die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang wendet sich davon ab.
Sie haben sich mitten auf Autobahnen in Berlin und bei Freiburg gesetzt. Sie haben sogar ihre Hände mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn geklebt, damit die Polizei sie nicht wegtragen kann. Am Dienstag haben sie Pferdemist ins Foyer des Bundeslandwirtschaftsministeriums gekippt und entsorgte Lebensmittel vor dem Bundesjustizministerium abgeladen.
Die Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe "Aufstand der letzten Generation" sind nicht zimperlich, wenn sie Aufmerksamkeit erregen wollen.
Unter den zahlreichen Klimaschutz-Bewegungen, die sich in den vergangenen Jahren gegründet haben, setzt die "Letzte Generation" auf besonders drastische Mittel. Im vergangenen Jahr gingen mehrere junge Menschen in einem Protestcamp unweit des Berliner Hauptbahnhofs in den Hungerstreik. Jetzt sorgen die Störaktionen auf den Autobahnen für Aufmerksamkeit – und viel Ärger bei denjenigen, denen der Weg versperrt wird.
Forderung nach "Essen-Retten-Gesetz"
Übergeordnetes Ziel der Gruppe ist entschiedener Klimaschutz. Ohne ihn sieht sie die Zukunft der eigenen Generation in Gefahr. Als ersten Schritt fordern die Aktivistinnen und Aktivisten ein "Essen-Retten-Gesetz": Sie prangern an, dass das "Containern" in Deutschland verboten ist. Wer Lebensmittel, die abgelaufen und entsorgt, aber noch genießbar sind, aus den Müllbehältern der Supermärkte holt, macht sich strafbar. "Große Supermärkte sollten verpflichtet werden, noch genießbares Essen zu spenden – und so gegen den Welthunger vorzugehen und deutlich ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren", fordert die "Letzte Generation" auf ihrer Webseite.
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"Vielleicht endet unsere Spezies Mensch"
Mittwochnachmittag, die Wiese vor dem Reichstag in Berlin: Rund zwei Dutzend Mitglieder der "Letzten Generation" haben drei Abgeordnete der Ampel-Koalition zum Gespräch gebeten, um ihnen ihren Entwurf für ein "Essen-Retten-Gesetz" zu übergeben. Falls die Politik zusagt, es umzusetzen, wollen sie ihre Störaktionen beenden. Falls nicht, wollen sie weitermachen.
Die Abgeordneten tauchen nicht auf, deshalb lesen zwei Mitglieder der Gruppe einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Bundesregierung vor. "Wir wollen ein Alarmsignal aussenden, weil wir uns alle in großer Gefahr befinden", liest die Aktivistin Sonja vor. Mit der Klimakrise steuert die Menschheit aus ihrer Sicht auf den Untergang zu. "Vielleicht endet unsere Spezies Mensch."
Die Aktivistinnen und Aktivisten setzen am Mittwoch ein neues Ultimatum: Bis Sonntag erwarten sie von der Bundesregierung eine Stellungnahme zu ihrem "Essen-Retten-Gesetz". Wenn die nicht komme, werde man die Aktionen fortführen und intensivieren. Man werde zusätzlich auch die "anfällige Infrastruktur" wie Häfen und Flughäfen stören.
Grünen-Chefin distanziert sich: "Ich halte davon nichts"
Die radikalen Aktionen sollen die Politik zu entschiedenen Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung und Klimawandel bewegen. Sie stoßen dort aber eher auf Unverständnis. Bundesjustizminister
Seine Kabinettskollegin, Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen, zeigte dagegen auf der Konferenz Europe 2022 Verständnis für die Proteste: Es sei "absolut legitim", für die eigenen Anliegen zu demonstrieren und dabei zivilen Ungehorsam zu nutzen. Wichtig sei aber, dass keine Menschen zu Schaden kommen.
Allerdings stößt die "Letzte Generation" auch auf Kritik. "Mit solchen dämlichen Aktionen überzeugt man niemanden für mehr Klimaschutz, ganz im Gegenteil", schrieb zum Beispiel ein Nutzer auf Twitter. "Hier trifft man diejenigen, die sich keine Loft in der City oder Häuschen mit toller Anbindung leisten können und deshalb Auto fahren müssen!"
Die neue Grünen-Vorsitzende
Fragen nicht zugelassen: "Wir haben schon alles gesagt"
Schon länger erwarten Experten und Beobachter, dass sich Teile der Klimaschutz-Bewegung radikalisieren. Die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" könnten ein Beispiel dafür sein. Selbst eine Zwölfjährige hat am Montag an der Autobahn-Blockade in Berlin teilgenommen.
Die Gruppe will von ihrem Kurs nicht abrücken - sie nimmt auch in Kauf, dass einzelne Mitglieder nach den Blockaden vorübergehend in Haft kommen. Sie nimmt aber offenbar wahr, dass die Aktionen bei vielen Menschen auf Unverständnis stoßen. Man achte bei den Autobahn-Blockaden immer darauf, Rettungswege für Einsatzkräfte offenzulassen, sagt die Aktivistin Sonja am Mittwoch vor dem Reichstag. Sie wendet sich auch an die Menschen, die diese Aktionen maßgeblich ausbaden müssen: zum Beispiel die Berliner, die morgens im Stau stehen. "Wir entschuldigen uns bei allen Bürgerinnen und Bürgern und alle Mitmenschen für die Störungen", heißt es in ihrem verlesenen Brief.
Gerne hätte man den Aktivistinnen und Aktivisten weitere Fragen gestellt. Zum Beispiel, ob sie wirklich glauben, dass sie mit ihren Aktionen eine Mehrheit der Gesellschaft hinter sich bringen. Doch die Pressesprecherin weist die Bitte zurück. Man habe bereits alles gesagt.
Verwendete Quellen:
- Vor Ort bei der Protestaktion "Aufstand der letzten Generation" am 16. Februar
- Webseite "Aufstand der letzten Generation"
- "Der Tagesspiegel" auf YouTube: Europe2022 - Tag 3
- Twitter-Accounts von Marco Buschmann und Tjark Melchert
- ZDF.de: Markus Lanz vom 9. Februar 2022
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