Das Rennen um die Nachfolge von Andrea Nahles ist noch immer nicht entschieden. Der Ausgang der ersten Runde im Kampf um die neue SPD-Spitze war doch knapper, als manche erwartet haben. Jetzt müssen zwei Bewerber-Teams in die Stichwahl.

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Die Entscheidung ist vorerst, wenn auch nicht endgültig, gefallen. Kurz nach 18 Uhr wurde auf einer Pressekonferenz das Ergebnis der Mitgliederbefragung zum neuen Parteivorsitz der SPD bekanntgegeben. Wie erwartet gab es keine absolute Mehrheit. Daher kommt es nun zu einer Stichwahl zwischen dem erstplatzierten Kandidatenduo, Klara Geywitz & Olaf Scholz, das 22,68 % der Stimmen auf sich vereinen konnte, und dem zweitplatzieren Duo Saskia Esken & Norbert Walter-Borjans, das mit 21,04 % der Stimmen nur knapp dahinter lag. Die anderen Kandidatenduos erlangten jeweils zwischen 9,63 % und 16,28 % der Stimmen.

Der lange Weg zum Mitgliedervotum

Die Neuwahl für den Parteivorsitz wurde durch den Rücktritt der bisherigen SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles im Juni 2019 notwendig.

Nach Nahles' Rücktritt legte der Parteivorstand im Juni das Procedere der Wahl fest und empfahl anstelle eines Einzelkandidaten die Einführung einer Doppelspitze, idealerweise bestehend aus einer Frau und einem Mann. Allerdings waren auch Einzelbewerbungen möglich. Die Bewerbungsfrist für die möglichen Kandidaten erstreckte sich über zwei Monate vom 1. Juli bis 1. September 2019.

Um kandidieren zu können, benötigten die Bewerber die Unterstützung von mindestens einem Landesverband, einem Bezirk oder fünf Unterbezirken der Partei. Von den ursprünglich 17 Kandidatinnen und Kandidaten zogen einige ihre Bewerbungen zurück. Letztlich standen sechs Duos zur Wahl, jeweils bestehend aus einer Frau und einem Mann. Die formelle Wahl wird dann auf dem Parteitag im Dezember erfolgen.

Hat sich das Vorgehen mit 23 Regionalkonferenzen bewährt?

Von Anfang September bis Mitte Oktober konnten sich 17 Kandidatinnen und Kandidaten deutschlandweit auf 23 Regionalkonferenzen parteiintern vorstellen und ihr Wahlprogramm sowie ihre politischen Inhalte präsentieren. Die anfängliche Skepsis ob des großen Aufwands erwies sich als unbegründet, wie die kommissarische Parteivorsitzende Malu Dreyer in der Pressekonferenz zum Mitgliedervotum am 26. Oktober betonte: Das Interesse der Mitglieder war riesengroß; in den 23 Städten hätten rund 20.000 Menschen teilgenommen, viele weitere verfolgten die Konferenzen im Livestream.

Mitgliedervotum und Wahlbeteiligung

Im Anschluss an die Regionalkonferenzen folgte vom 14. bis 25. Oktober die Mitgliederbefragung, online oder per Briefwahl, deren Ergebnis nun veröffentlicht wurde, nachdem die Stimmen in der Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus in Berlin von 250 Freiwilligen ausgezählt wurden. Stimmberechtigt waren alle rund 430.000 SPD-Mitglieder. Die Wahlbeteiligung lag bei 53,28 %.

Das Mitgliedervotum geht in die zweite Runde - Bedeutung der Stichwahl

Unsicher war von Beginn an, ob eines der Kandidatenpaare mehr als 50 Prozent der Stimmen für sich gewinnen kann, es also eine absolute Mehrheit geben wird - oder ob eine Stichwahl notwendig wird.

In einer zweiten Mitgliederbefragung zwischen dem 19. und 29. November folgt nun die Stichwahl zwischen dem Erst- und dem Zweitplatzierten, deren Ergebnis am 30. November veröffentlicht wird. Sollte der Zweitplatzierte nicht mehr antreten, ist der Erstplatzierte automatisch der Vorschlag der SPD-Mitglieder, und eine Stichwahl wäre obsolet.

Stichwahlen sind generell aus zwei Gründen problembehaftet: Zum einen zeigt die Erfahrung, dass die Wahlbeteiligung beim zweiten Wahlgang geringer ist als beim ersten. Außerdem kann es passieren, nicht zuletzt auch durch die geringere Wahlbeteiligung, dass der im ersten Wahlgang Führende weniger Stimmen bekommt als der Zweitplatzierte. Es kann also zu einer Verzerrung des Wahlergebnisses kommen: "Es sei [...] zweifelhaft, ob dem Stichwahlsieger stets eine höhere demokratische Legitimation zukomme", so Wilko Zicht.

Wahl des Parteivorsitzes beim Parteitag im Dezember

Beim Parteitag vom 6. bis 8. Dezember in Berlin erfolgt dann die formelle Wahl des Parteivorsitzes sowie die Implementierung einer Doppelspitze. Gemäß der Statuten der SPD müssen die Delegierten auf einem Bundesparteitag den Vorstand wählen - und nicht die Parteimitglieder: "Die Wahl des Parteivorstandes erfolgt durch den Parteitag" (§ 23 Abs. 3 Organisationsstatut der SPD). Insofern könnte es rein theoretisch im Dezember noch eine Kehrtwende geben, denn die Delegierten sind in ihrer Entscheidung frei, haben aber angekündigt, sie wollten sich an das Ergebnis des Votums halten.

Neuerung des Wahlrechts: Aktives und passives Wahlrecht für alle Mitglieder

Es hat schon beinahe revolutionären Charakter, dass erstmals jedes SPD-Mitglied kandidieren konnte. Bislang musste man sich jahrelang an die Parteispitze hochdienen, um als Kandidat in Frage zu kommen. Bei dieser Wahl konnte man theoretisch auch ohne lange Parteikarriere für den Vorsitz kandidieren. Also auch Außenseiter innerhalb der Partei und Parteimitglieder, die eher unangepasst sind und gegen den Strom schwimmen. Ob sie letztendlich gewählt werden, steht auf einem anderen Blatt.

Für die SPD bedeutet dieses Verfahren die Chance, dass Kandidaten an die Spitze kommen, die Veränderungen bewirken wollen und diese auch in die Wege leiten. Die Tatsache, dass alle Parteimitglieder kandidieren konnten und alle befragt werden, ist zutiefst demokratisch und spricht für eine Modernisierung innerhalb der SPD. Ob das allein reichen wird, um die Partei wieder auf Kurs zu bringen und für den Wähler attraktiv zu machen, ist mehr als fraglich. Die neue Spitze wird mit Inhalten überzeugen und Taten folgen lassen müssen.

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz der SPD am 26. Oktober 2019
  • Organisationsstatut der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Stand: 09.12.2017 https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Parteiorganisation/SPD_OrgaStatut_2018.pdf
  • Simon Bujanowski: Mitgliederbefragung für den Parteivorsitz: Eine Revolution in der SPD, Vorwärts https://www.vorwaerts.de/blog/mitgliederbefragung-parteivorsitz-revolution-spd
  • SPD-Mitgliederentscheid über Parteivorsitz beendet, Spiegel Online, 26.10.2019 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-entscheid-ueber-parteivorsitz-beendet-rolf-muetzenich-wirbt-fuer-groko-a-1293471.html
  • Wilko Zicht: Integrierte Stichwahl, Positionspapier Nr. 14, Mehr Demokratie https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/Positionen14_Integrierte_Stichwahl.pdf
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