Landwirte demonstrieren derzeit massiv gegen die Streichung von Steuervergünstigungen, gegen Auflagen und Bürokratie. Warum fühlt sich die Branche trotz Milliardensubventionen nicht wertgeschätzt? Sind die Proteste nicht längst aus dem Ruder gelaufen? Fragen an Joachim Rukwied, den Präsidenten des Deutschen Bauernverbands.
Joachim Rukwied führt einen Ackerbaubetrieb in der Nähe von Heilbronn und ist dazu noch Deutschlands oberster Agrarfunktionär. Der 62-Jährige ist Präsident des Deutschen Bauernverbands und stand an der Spitze der Bauernproteste zu Beginn dieses Jahres. Die Landwirtinnen und Landwirte wehren sich gegen Pläne der Bundesregierung. Bisher können sie sich die Energiesteuer für Diesel teilweise zurückerstatten lassen. Diese Ausnahme will der Bund jetzt schrittweise abbauen.
Die Diskussion um die Agrardiesel sei aber nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sagt Rukwied. Was meint er damit? Und kann es im Interesse seines Verbands sein, wenn wütende Bauern jetzt Straßen blockieren und Politiker bedrohen? Zeit für ein Gespräch.
Herr Rukwied, seit Wochen ist die Situation der Landwirtschaft Thema in Talkshows und an Stammtischen. In Brüssel haben die Agrarminister beraten, wie sie der Branche entgegenkommen können. Eigentlich hat das Jahr 2024 für die Bäuerinnen und Bauern doch gut begonnen.
Joachim Rukwied: Das kann man so leider nicht sagen. Wir Bauern arbeiten gerne im Stall, auf den Feldern oder in den Obst- und Weinanlagen. Diese Arbeit mussten wir liegenlassen, um der Politik in aller Deutlichkeit das Signal zu senden: So kann die Agrarpolitik nicht weitergehen. Es herrscht eine große Unzufriedenheit und Verärgerung über zunehmende Bürokratie und praxisferne Vorgaben. Die Steuererhöhungsvorschläge der Bundesregierung haben das Fass zum Überlaufen gebracht.
Bäuerinnen und Bauern beklagen immer wieder mangelnde Wertschätzung. Gleichzeitig wird die Landwirtschaft so stark gefördert wie wenige andere Wirtschaftszweige. Von der Europäischen Union und aus dem Bundeshaushalt fließen jährlich mehr als acht Milliarden Euro an die Höfe. Wie passt das zusammen?
Für mich ist eine andere Zahl entscheidend. Nämlich der Anteil der Mittel, der aus öffentlichen Haushalten in die Landwirtschaft fließt. Dieser Anteil liegt bei knapp einem Prozent – das ist weniger als der Anteil der Bäuerinnen und Bauern an der Bevölkerung. Deshalb sage ich: Landwirtschaft wird im Verhältnis zum Gesamthaushalt unterdurchschnittlich gefördert.
Und ohne diese Förderung geht es nicht?
Nein. Wir wirtschaften unter deutlich höheren Tierschutz- und Umweltstandards als das in vielen Ländern Europas und erst recht in anderen Teilen der Welt der Fall ist. Außerdem hängt Wertschätzung mit Wertschöpfung zusammen. Die Einkommen aus der Landwirtschaft liegen im Durchschnitt unter denen in anderen Branchen. Wenn man für seine hochwertigen Produkte am Markt nicht den notwendigen Preis erzielt, führt das zu Unzufriedenheit.
Die Preise, die Bauern für ihre Produkte erzielen, gelten seit Langem als großes Problem. Wie könnte Ihnen die Politik da helfen?
Die Politik kann uns schützen, indem sie Dumping-Importe aus Nicht-EU-Ländern erschwert, die unter deutlich niedrigeren Sozial-, Umwelt- und Tierwohlstandards hergestellt wurden. Stärkeren Einfluss haben hier die Verbraucherinnen und Verbraucher. Der gezielte Griff zur heimischen und hochwertigen Waren bis hin zu Bio-Produkten würde uns deutlich helfen. Wir haben im vergangenen Jahr aber feststellen müssen, dass beim Einkauf wieder verstärkt auf den Preis geschaut wird.
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Die Koalitionsparteien wollen jetzt einen Reformvorschlag aus der sogenannten Borchert-Kommission aufgreifen: einen Tierwohlcent. Das wäre ein geringer Aufpreis auf Fleisch- oder Milchprodukte. Die Einnahmen sollen an die Bäuerinnen und Bauern fließen, damit sie ihre Ställe tiergerechter umbauen können. Gehen Sie da mit?
Das ursprüngliche Konzept der Borchert-Kommission haben wir voll unterstützt. Dort waren vier Milliarden Euro pro Jahr für den Umbau des gesamten Tiersektors vorgesehen. Leider ist der Vorschlag aber weder von der Vorgängerregierung noch von der jetzigen Regierung umgesetzt worden. Die Politik steht vor den Trümmern ihres Nicht-Handelns und versucht jetzt, über den Tierwohlcent noch zu retten, was zu retten ist. Das wird schwierig.
Was missfällt Ihnen denn am Tierwohlcent?
Wir brauchen vor allem mehr Verlässlichkeit und feste finanzielle Zusagen, damit Investitionen im Stallumbau wirklich angegangen werden. Auch das Immissionsschutzrecht muss angepasst werden. Bis dato sind Steuern noch nie zweckgebunden verwendet worden. Deshalb stehen wir diesem Vorschlag kritisch gegenüber.
Die Ampel-Koalition will die Steuervergünstigung für Agrardiesel weiterhin streichen – verspricht der Landwirtschaft aber im Gegenzug, auch unnötige Bürokratie abzubauen.
Am Ende ist entscheidend, ob es wirklich zu einem Bürokratieabbau kommt. An der Umsetzung werden wir erkennen, ob es die Politik ernst meint.
Falls sie es ernst meint: Müssten Sie dann nicht den Wegfall der Steuervergünstigung beim Agrardiesel mittragen?
Eine Kürzung der Steuerrückerstattung können wir grundsätzlich nicht akzeptieren. Neben unseren Kollegen in den Niederlanden würde uns das beim Diesel an die europäische Spitze in Sachen Steuerbelastung katapultieren. Wir haben bis auf Weiteres keine Alternativtechniken zum Dieselantrieb. Wir können nicht einfach auf andere Antriebssysteme umrüsten. Diese zusätzliche Steuer würde unsere Wettbewerbsfähigkeit verschlechtern.
Weitere große Demonstrationen schließen Sie also nicht aus?
Wir werden unsere Forderungen zunächst über Plakate und in den digitalen Netzwerken sichtbar machen. Wir behalten uns natürlich vor, situationsbedingt wieder entsprechende Aktionen zu fahren. Momentan hat die Familie des Deutschen Bauernverbandes die Traktoren von der Straße genommen.
Trotzdem kommt es zu massiven Protestaktionen. In Biberach mussten die Grünen eine Veranstaltung absagen, dort lieferten sich Bauern Zusammenstöße mit der Polizei. Zeitungsredaktionen wurden blockiert, in Brüssel haben Landwirte am Montag teils gewaltsam demonstriert. Sind Ihnen die Proteste nicht längst entglitten?
Nein, das sehe ich so nicht. Der mit Abstand größte Verband ist der Deutsche Bauernverband, der auf freiwilliger Basis annähernd 90 Prozent der Landwirte repräsentiert. Wir haben bei unseren Demonstrationen deutlich gezeigt, dass wir Demokraten sind, haben Extremisten vom Platz verwiesen und Rettungsgassen freigehalten. Ich bin stolz auf das, was mein Berufsstand hier friedlich auf den Weg gebracht hat. Wenn jetzt einzelne Landwirte über die Stränge schlagen, darf das nicht auf den ganzen Berufsstand zurückfallen. Wir haben diese Demonstrationen weder durchgeführt noch unterstützt.
Reicht es wirklich, sich nur rhetorisch von Menschen zu distanzieren, die randalieren oder Politiker bedrohen? CDU-Chef Friedrich Merz hat gedroht, solche Landwirte setzen die Unterstützung seiner Partei für ihre Anliegen aufs Spiel.
Dem Bauernverband hat er damit nicht gedroht. Mit Herrn Merz bin ich wie übrigens mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im guten Austausch. Protest und Demonstrationen sind ein legitimes Recht. Sie sind aber friedlich durchzuführen. Dabei darf niemand bedroht werden. Nach meiner Überzeugung dürfen dabei auch keine martialischen Bilder entstehen. Brennende Reifen halte ich, diplomatisch gesagt, nicht für zielführend.
Über den Gesprächspartner
- Joachim Rukwied wurde 1961 in Heilbronn geboren. Nach dem Abitur und einer Ausbildung zum Landwirt studierte er Landwirtschaft an der Fachhochschule Nürtingen. 1994 übernahm er den elterlichen Betrieb in Eberstadt (Landkreis Heilbronn), zu dem 340 Hektar Ackerbau (Getreide, Zuckerrüben und Raps), Feldgemüse und 22 Hektar Weinberge gehören. Seit 2012 ist Rukwied Präsident des Deutschen Bauernverbands.
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