Am Montag ist in Frankreich die Premierministerin zurückgetreten. Zuvor gab es bereits seit Längerem Spekulationen darüber. Auch der Präsident schien unglücklich über seine Regirungschefin.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist gute Tradition in einer Demokratie, dass bei Rücktritten der Anschein erweckt wird, dass es sich um eine einvernehmliche Entscheidung handelt. So dankte auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf X seiner Regierungschefin Élisabeth Borne für ihre Leistungen im Dienst der Nation. Was er dabei verschweigt, ist, dass dieser Rücktritt wohl keineswegs einvernehmlich war.

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Borne selbst schreibt in ihrem erzwungenen Rücktrittsgesuch an Präsident Macron: "Sie haben mir Ihren Willen mitgeteilt, einen neuen Premierminister zu ernennen. (…) Ich musste meinen Rücktritt erklären." Die weiteren verwendeten Höflichkeitsfloskeln in dem Schriftstück bezeugen lediglich die Fähigkeit der französischen Sprache Unschönes besonders nett klingen zu lassen. Zwischen den Zeilen lässt sich erkennen, wie unzufrieden Borne mit der Entscheidung ist. Gegenüber Journalisten soll sie erklärt haben, dass sie "gefeuert" wurde.

Keine überraschende Entscheidung

Jacob Ross, Frankreich-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, ist wenig verwundert über die Entscheidung des französischen Staatschefs, seine ranghöchste Mitarbeiterin zu entlassen. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Überraschend kam der Rücktritt nicht. Spätestens seit der Neujahrsansprache von Macron wurde viel spekuliert, da er ausdrücklich Frau Borne dankte und es nach einem Abschluss klang."

Spekulationen gab es bereits seit den Verwerfungen um das neue Zuwanderungsgesetz im Dezember vergangenen Jahres. Das Gesetz wurde mit den Stimmen der Rechtspopulisten des Rassemblement National verabschiedet, da es keinen anderen Weg gab, es durch das Parlament zu bekommen. Macrons eigene Fraktion haderte mit dem Gesetzentwurf, der eine Benachteiligung von Zugewanderten vorsah. 59 Abgeordnete des eigenen Lagers stimmten gegen ihren Präsidenten. Ab hier wurde bereits gemutmaßt, dass dieser Vorgang Borne das Amt kosten würde.

Ist Frankreich noch ein stabiler Partner für Deutschland?

Aber auch an anderen Stellen fremdelt Macron mit seinen Leuten: Der französische Präsident verfügt seit den Parlamentswahlen 2022 über keine eigene Mehrheit mehr im Parlament und regiert seither mit wechselnden Partnern – oder auch ohne Zustimmung der Legislative. Mithilfe des Paragrafen 49.3 der französischen Verfassung, der es in Ausnahmefällen erlaubt, ohne demokratische Abstimmung Gesetze zu erlassen, boxten der Präsident und seine Premierministerin unter anderem eine Rentenreform durch, die eine Anhebung des Renteneinstiegsalters vorsieht.

Ganze 23 Mal nutzte die Premierministerin den Paragrafen. "Es musste oft am Parlament vorbei regiert werden. Das führt zu viel Unmut und ergibt eine gewisse Instabilität was das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System angeht", so Frankreich-Experte Ross. "Während des Parlamentswahlkampfes gab es bereits Stimmen, die erklärten, dass es eine Erneuerung des Systems der Fünften Republik bedarf und dass das aktuelle System nicht mehr funktioniert." Der aktuelle Wechsel an der Regierungsspitze sei ein Ausdruck dieser Instabilität.

Was bedeutet die Entlassung von Borne für Macron?

Mit der Entlassung von Borne könnte nun der Versuch gestartet werden, die Politik des Präsidenten etwas aufzumöbeln, so Ross: "Es ist in der französischen Politik recht üblich, dass der Staatschef über den Wechsel des Regierungschefs einen Schnitt macht und sein Mandat erneuert. Das hat Macron bereits in seiner ersten Amtszeit getan." Die Regierungschefin müsse nun ihren Kopf hinhalten. "Sie ist ausgebrannt und Macron braucht frisches Blut um ein Zeichen zu setzen, dass nun frischer Wind in die Regierung kommt."

Mit dem Rücktritt der Premierministerin steht auch ein Wechsel des Kabinetts an. Der Präsident entscheidet nun wer weiter im Kabinett bleibt und wer nicht. "Das ist ein Versuch, einen neuen Impuls zu setzen – auch in Hinblick auf die Europa-Wahl", so Ross. Aktuell liegt Macrons Parteienbündnis in Umfragen acht bis zehn Punkte hinter der Rechtsaußenpartei Rassemblement National. "Es könnte der Job des neuen Premierministers werden, hier neue Akzente zu setzen." Der Nachfolger soll am Dienstag bestimmt werden. Es wird erwartet, dass Bildungsminister Gabriel Attal Élisabeth Borne nachfolgt.

Über den Gesprächspartner:

  • Jacob Ross ist Research Fellow im Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen, mit Fokus auf deutsch-französische Beziehungen. Er ist Frankreich-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Verwendete Quellen:

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