"Bild"-Journalist Paul Ronzheimer hat eine Biografie über Sebastian Kurz geschrieben. Manche Stellen könnten von dessen Pressesprecher verfasst sein. Umso überraschender ist der Schluss, zu dem der Autor kommt.
Es lohnt sich, die neue Biografie über Sebastian Kurz zu Ende zu lesen. Das dürfte für viele, die keine großen Fans des jungen österreichischen Bundeskanzlers sind, eine Herausforderung darstellen.
Vor allem die ersten Kapitel könnten auch aus der Feder seines Pressesprechers stammen: Autor
Seine Schilderungen von Kindheit und Jugend des jüngsten Regierungschefs Europas dürften den meisten österreichischen Zeitungslesern bekannt sein.
Ein Anfang voller Wahlkampf-Anekdoten
Es sind jene Anekdoten, die das Wahlkampfteam von Kurz unter die Leute gebracht hat, um ein möglichst positives Bild des Kandidaten zu zeichnen: dass sein Vater einst seinen Job verloren hat (Kurz weiß, wie sich Arbeitslosigkeit anfühlt); dass sein Talent zum Organisieren und Delegieren bereits in der Schule aufgefallen sei (erneut kommt der Lehrer aus dem ÖVP-Werbespot zu Wort); dass Kurz schon in jungen Jahren viele durch seine Zielstrebigkeit verblüfft habe (einmal mehr erzählt der ÖVP-Chef, wie er bereits als 14-Jähriger der Partei beitreten wollte).
Nach inneren Widersprüchen, Jugendtorheiten oder Rissen in der Fassade des Ausnahmepolitikers sucht der Leser vergeblich. Ronzheimer kratzt an der Oberfläche.
Dass es früh Kurz-Kritiker gab, wird erwähnt. Namentlich nennt sie der Autor nicht, auch ihre Argumente bleiben im Ungefähren: Man habe Kurz "Schnöselhaftigkeit" vorgeworfen und zu viel politischen Ehrgeiz.
Das liest sich dann so: "
Nur in einem Nebensatz wird erwähnt, dass er hin und wieder auch die Schule schwänzte und Party machte.
Trotzdem auch kein Jubelbuch auf Sebastian Kurz
Wer sich freilich ein Jubelbuch erwartet hat, dürfte ab der Mitte des Buches enttäuscht werden. Da lässt der Autor – der als Journalist zahlreiche Krisenherde der Welt besucht hat und sich vom Leid der Flüchtlinge in Griechenland und Mazedonien persönlich ein Bild gemacht hat – seine persönlichen Vorbehalte gegen den harten Kurs des Politikers Kurz in Asyl- und Migrationsfragen durchscheinen.
Er schildert auch detailliert und ohne zu werten, wie der Jungpolitiker Kurz mit gezielten Provokationen Aufmerksamkeit erregte: Etwa als er im Wien-Wahlkampf auf Parteikosten mit einem kostspieligen "Geilomobil" durch die Stadt brauste. Oder als er Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) mit seiner Forderung nach mehr Orden für Jungpolitiker dazu brachte, eine Stellungnahme abzugeben: "Seine Parteigenossen jubeln. Häupl gilt als Urgestein. Von ihm überhaupt eine Reaktion zu bekommen, gilt aus ihrer Sicht als ein Erfolg."
Mit leichter Distanz schildert der Autor, wie Kurz sich nach seiner überraschenden Bestellung zum Staatssekretär nach oben gearbeitet hat. Doch auch hier kratzt Ronzheimer im Großen und Ganzen an der Oberfläche: Viele Neues enthüllt er nicht.
Einmal mehr schildert Kurz mit Hilfe des Biographen das mediale Stahlbad, durch das er nach seiner Angelobung gehen musste: etwa als ein Kommentator der linksliberalen Tageszeitung "Der Standard" seine Bestellung als "Verarschung" bezeichnete. Über diese Kränkungen hat Kurz bereits in zahlreichen Interviews gesprochen – und auch darüber, dass er daran gewachsen sei.
Die große Frage bleibt offen
Wenig konkret bleibt Ronzheimer auch, wenn er den Werdegang des Politikers zum Parteichef und Kanzler beschreibt. Man muss zwischen den Zeilen lesen um zu erahnen, wie Kurz seine "Machtübernahme" bewerkstelligt hat.
Umso bemerkenswerter ist das Resümee des Autors zum Schluss. "Wer ist Sebastian Kurz?", fragt er in einem der letzten Kapitel und räumt freimütig ein, es nicht zu wissen.
Der Bundeskanzler sei ein "Volkstribun", der Menschen zuhören könne und die Kunst der medialen Inszenierung perfekt beherrsche. "Das Geheimnis Kurz, das Geheimnis, das ihn im Wahlkampf 2017 so erfolgreich gemacht hat, ist auch, dass die Wähler immer noch nicht genau wissen, mit wem sie es da eigentlich zu tun haben."
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