Russland und die Ukraine stehen kurz vor einem Krieg. Im klassischen Sinne gewinnen könnte die Ukraine eine solche Auseinandersetzung kaum. Das Militär der ehemaligen Sowjetrepublik ist nicht nur auf dem Papier unterlegen. Ein Spaziergang wäre ein solcher Konflikt aber auch für Russland nicht.
Der bislang letzte Krim-Krieg kostete hunderttausende Menschenleben. Als das Russische Reich in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegen eine Allianz aus Osmanen, Briten, Franzosen und Sardiniern kämpfte, starben die Soldaten auf der Halbinsel nicht nur massenhaft an Schussverletzungen, sondern auch an grassierenden Krankheiten. Kann sich ein solches massenhaftes Töten und Sterben wiederholen, nun, da der russische Präsident
Die Streitkräfte der Ukraine sind deutlich unterlegen
Sollte es wirklich zu einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine kommen, stehen die Chancen der ehemaligen Sowjetrepublik allerdings ziemlich schlecht – jedenfalls im klassische Sinne, nachdem sich ein Krieg nur gewinnen oder verlieren lässt. Und das nicht nur, weil Russland auf dem Papier deutlich mehr Soldaten, mehr Panzer, mehr Flugzeuge, mehr Schiffe einsatzbereit hat. Vor allem, weil die Ukraine vor dem Staatsbankrott steht und – noch wichtiger – innerlich tief zerrissen ist, dürfte zur zahlenmäßigen Unterlegenheit der ukrainischen Streitkräfte auch noch eine militär-organisatorische Schwäche hinzukommen.
Nach Schätzungen des renommierten International Institute for Strategic Studies (IISS) in London verfügt Russland derzeit über etwa 850.000 Soldaten, die Ukraine über etwa 130.000. Bei Kampfpanzern liegt das Verhältnis demnach bei etwa 2.800 zu 1.100 zugunsten Russlands, bei Artilleriegeschützen bei circa 5.500 zu 3.400, bei Kampfflugzeugen bei ungefähr 1.500 zu 200.
Ähnlich deutlich ist der Unterschied bei den einsatzbereiten Kriegsschiffen – und zwar selbst dann, wenn man nicht die gesamte russische Flotte gegen die ukrainische Marine aufrechnet, sondern nur die russische Schwarzmeerflotte den ukrainischen Kriegsschiffen gegenüberstellt. So verfügt allein die Schwarzmeerflotte nach IISS-Zahlen über 25 Schiffe, darunter einen Zerstörer, zwei Kreuzer sowie zehn Korvetten. Die Marine der Ukraine kommt den Angaben nach dagegen derzeit überhaupt nur auf eine einsatzbereite Fregatte und ein einsatzfähiges U-Boot.
Ukraine am Rande eines Bürgerkriegs
Noch problematischer als dieses reine Zahlenspiel ist jedoch, dass die Ukraine ja nicht nur am Rande eines Krieges mit Russland steht, sondern auch am Rande eines Bürgerkrieges. Erst die sich immer weiter verschärfenden Spannungen zwischen pro-russischen und pro-westlichen Kräften innerhalb des Landes haben in den vergangenen Wochen und Monaten zu der Eskalation geführt, in deren Folge sich Russland nun genötigt sieht, seine Interessen im Ostteil des Landes und eben besonders auf der Krim nötigenfalls mit Gewalt durchzusetzen.
Vor diesem Hintergrund ist es deshalb mehr als zweifelhaft, ob wirklich alle auf dem Papier zur Verfügung stehenden ukrainischen Soldaten auch wirklich bereit wären, für die Übergangsregierung in Kiew in einen kleineren oder größeren Krieg gegen Moskau zu ziehen. Zwar scheint der Großteil des Militärs noch immer unter der Kontrolle der neuen Machthaber zu stehen. Doch zum Beispiel der gerade erst von Kiew eingesetzte Kommandeur der ukrainischen Marine war am Sonntag nur Stunden nach der Übernahme seines Kommandos bereits zu den pro-russischen Kräften übergelaufen.
Für schmerzhafte Nadelstiche würde es reichen
Die militärischer Unterlegenheit der Ukraine meint aber zwingend nicht, dass eine russische Invasion des Landes oder auch nur einiger seiner Teile für Putin ein Spaziergang werden könnte, sollten russische und ukrainische Soldaten wirklich anfangen, aufeinander zu schießen. Denn auch kleine, unterlegene Streitkräfte können durchaus in der Lage sein, einem übermächtigen Gegner schmerzhafte Nadelstiche zuzufügen – wenn sie sich dazu entschließen, derartige Taktiken anzuwenden. Zuletzt mussten die russischen Streitkräfte im Kaukasuskrieg 2008 erfahren, dass sie eine rein mathematische und strategische Überlegenheit in vielen Kampfsituationen nicht vor teilweise hohen Verlusten schützt. Die westlichen Truppen in Afghanistan haben in den vergangenen Jahren im Krieg gegen die Taliban immer wieder die gleiche Erfahrung gemacht.
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