• Von einem Tag auf den anderen steht Nordirland ohne funktionierende Regierung da.
  • Die Konsequenzen des Brexits sorgen für massiven Unmut in der britischen Provinz.
  • Der mühsam erarbeitete Frieden in der einstigen Krisenregion hängt am seidenen Faden.

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Der Streit um Brexit-Kontrollen in Nordirland sowie ein plötzliches Aus für die Regionalregierung haben die britische Provinz in eine tiefe Krise gestürzt. "Das bringt unmittelbare Probleme für die Bürger mit sich", sagte die Konfliktforscherin Katy Hayward von der Queen's University Belfast der Deutschen Presse-Agentur. So sei etwa völlig unklar, wie es ohne Regierung mit der Aufhebung von Corona-Maßnahmen weitergehe, über die eigentlich nächste Woche entschieden werden sollte. Womöglich müssten die Nordiren noch im Herbst überall Masken tragen, weil niemand die Befugnis habe, Regeln aufzuheben, sagte die Expertin.

Das in Nordirland geltende, besondere System der Machtteilung bedeutet, dass mit dem Rücktritt von Regierungschef Paul Givan von der protestantisch-unionistischen DUP auch seine gleichberechtigte Stellvertreterin Michelle O'Neill von der katholisch-republikanischen Partei Sinn Fein ihr Amt niederlegen musste. Die Provinz steht so de facto ohne regionale Regierung da, die etwa für Gesundheit zuständig ist. Die anderen Minister sollen jedoch zunächst im Amt bleiben.

Givan protestiert gegen vereinbarte Brexit-Regeln

Givan war aus Protest gegen das sogenannte Nordirland-Protokoll zurückgetreten, das Teil des Brexit-Abkommens zwischen London und Brüssel ist und nordirischen Anhängern einer möglichst engen Union mit Großbritannien ein Dorn im Auge. Der irische Premierminister Micheál Martin sagte dazu am Freitag: "Ich glaube, dass diese Entscheidung Schaden in der Politik anrichtet und an dem Vertrauen der Menschen in Politik." Die DUP hätte die laufenden Verhandlungen zwischen London und Brüssel abwarten sollen, so der Politiker.

Das Nordirland-Protokoll sieht vor, dass Nordirland im Gegensatz zum Rest des Vereinigten Königreichs weiter Mitglied der EU-Zollunion und des Binnenmarkts ist. Damit soll eine harte Grenze zum EU-Mitglied Irland vermieden werden, um neue Spannungen sowie Gewalt der meist katholischen Befürworter einer Wiedervereinigung zu vermeiden. Entstanden ist damit aber eine innerbritische Zollgrenze, Lebensmittel aus Großbritannien unterliegen Kontrollen. Die meist protestantischen Loyalisten befürchten, dass die Beziehungen mit London dadurch geschwächt werden.

Der nordirische Agrarminister Edwin Poots von der DUP hatte am Mittwoch überraschend angekündigt, die Kontrollen für Güter aus Großbritannien auszusetzen. London gab dafür Rückendeckung, aus Irland und Brüssel kam Kritik. Die EU rief die Briten auf, sich an ihre internationalen Verpflichtungen zu halten.

Am Freitag gab jedoch ein Gericht in Belfast diesem Vorstoß einen heftigen Dämpfer und stoppte die Aussetzung - zumindest vorerst. Der High Court in Belfast erließ eine entsprechende Anordnung. Diese soll gelten, bis eine umfassendere juristische Prüfung erfolgt ist, wie die britische Nachrichtenagentur PA und der irische Sender RTÉ meldeten. Am Donnerstag wurden die Kontrollen laut EU-Kommission und britischer Regierung zunächst ohnehin weiter durchgeführt.

Frieden in Bürgerkriegsregion gefährdet

Beobachter fürchten um Stabilität und den fragilen Frieden in der ehemaligen Bürgerkriegsregion Nordirland. Wie es politisch weitergeht, ist völlig unklar. Regionalwahlen sind bislang für den 5. Mai angesetzt. Sinn Fein spricht sich nun für vorgezogene Wahlen aus. Umfragen zufolge kann die Partei, die eine Wiedervereinigung von Irland und Nordirland anstrebt, erstmals auf eine Mehrheit hoffen.

"Es deutet alles auf eine frühere Wahl hin", sagte auch Expertin Hayward. Einen langen Schwebezustand könne sich die Region nicht erlauben. Die Regierungsbildung nach einer Wahl dürfte jedoch lang und beschwerlich werden. (ash/dpa)


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