160 ausgeloste Bürgerinnen und Bürger haben neun Empfehlungen für die Ernährung der Zukunft zusammengetragen – und übergeben sie heute an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Sie dürften gespannt sein, ob die Politik ihre Vorschläge umsetzt.

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Wenn nicht gerade gewählt wird, sind die Normalbürgerinnen und -bürger in der Politik eher zum Zuschauen verdammt. Für 160 Personen aus ganz Deutschland war das in den vergangenen Monaten anders. Sie waren Mitglieder im Bürgerrat des Bundestags – sozusagen ein Beratungsgremium aus dem Volk für die Volksvertretung.

Seit vergangenem September hatten sie die Aufgabe, sich über die Ernährung der Zukunft Gedanken zu machen. Sie haben Experten angehört und untereinander diskutiert. Am Dienstag übergibt die Runde ihre Empfehlungen offiziell an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD).

Die Empfehlungen des Bürgerrats "Ernährung im Wandel"

Seine insgesamt neun Vorschläge hat der Bürgerrat schon im Januar veröffentlicht.

  • Kostenloses Mittagessen an allen Kindergärten und Schulen in Deutschland.
  • Eine gesündere Verpflegung in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Reha-Einrichtungen.
  • Der Einzelhandel soll verpflichtet werden, abgelaufene aber noch genießbare Lebensmittel weiterzugeben an gemeinnützige Organisationen.
  • Ein staatliches Tierwohllabel soll Auskunft über Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren geben.
  • Auf tierische Produkte soll es eine Tierwohlabgabe geben (40 Cent pro Kilogramm Fleisch, 2 Cent pro Ei und Liter Milch, 15 Cent pro Kilogramm Käse und Butter). Die Einnahmen sollen an Bäuerinnen und Bauern fließen, damit diese ihre Tierhaltung verbessern können.
  • Ein staatliches Label soll bei allen in der EU verkauften Lebensmitteln Informationen über die Auswirkungen auf Klima, Tierwohl und Gesundheit geben.
  • Auf Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkorngetreide, Mineral- und Tafelwasser soll die Mehrwertsteuer entfallen.
  • Energydrinks und ähnliche Produkte sollen nur noch Personen ab einem Alter von 16 Jahren kaufen dürfen.
  • Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz.

Bärbel Bas: "Ein Spiegel der Gesellschaft"

Für den Bürgerrat hatten sich rund 2200 Menschen beworben. 160 davon wurden dann von der Bundestagspräsidentin ausgelost. Der Bürgerrat solle ein Spiegel der Gesellschaft sein, sagte Bärbel Bas vergangenes Jahr im Interview unserer Redaktion: "Er soll unterschiedliche Menschen aus allen Milieus zusammenbringen. Vor allem auch Menschen, deren Stimmen noch zu selten Gehör finden."

Die Idee dahinter: Menschen tauschen sich konstruktiv, ausgeruht und ohne aufgeheizte politische Debatten aus. Das Vorbild stammt aus dem Ausland. In Irland haben Bürgerräte über dort höchstumstrittene Fragen wie das Abtreibungsverbot und die gleichgeschlechtlichen Ehe beraten.

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Opposition bleibt skeptisch

Allerdings ist das Konzept im Bundestag umstritten. Die CDU/CSU-Fraktion hatte die Einsetzung abgelehnt und sieht den Bürgerrat weiter skeptisch. CDU-Politiker Philipp Amthor lobte vor kurzem zwar das Engagement der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Er teilte aber auch mit: Eine genauere Analyse der Empfehlungen müsse noch zeigen, ob das Instrument tatsächlich einen Mehrwert darstelle "oder ob es sich doch nur um ein teures Bundestagsplanspiel und Öffentlichkeitsarbeit mit Kosten in Millionenhöhe handelt".

Die Teilnehmer haben dem Bundestag zufolge 50 Euro für jede digitale Sitzung sowie 200 Euro für die Teilnahme an Präsenzsitzungen in Berlin erhalten. Hinzu kamen Reisekosten. Im Bundeshaushalt 2023 standen drei Millionen Euro für die Durchführung von Bürgerräten zur Verfügung.

Britta Haßelmann, Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, lobt dagegen das Konzept. Der Bürgerrat zur Ernährung habe erfolgreich getagt, sagte sie unserer Redaktion. "Die Debatten wurden mit großem demokratischen Engagement geführt und die vielfältigen Alltagserfahrungen sind in die Ergebnisse eingeflossen, das ist sehr gut."

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Britta Haßelmann: "Hohe Schnittmenge" zur Strategie der Regierung

Es handelt sich wie gesagt um Vorschläge. Die Entscheidung, ob und wie daraus Gesetze werden, liegt weiter bei den Bundestagsabgeordneten. Für die 160 Mitglieder des Bürgerrats dürfte die wichtigste Frage jetzt lauten: Hat man nur zusammengesessen, um ein Papier zu produzieren, das freundlich zur Kenntnis genommen und dann zu den Akten gelegt wird? Oder nimmt die Politik ihre Empfehlungen auf und setzt sie um?

Grünen-Politikerin Haßelmann hat jedenfalls eine "beachtlich hohe Schnittmenge" ausgemacht zwischen den Empfehlungen des Bürgerrates und der Ernährungsstrategie der Bundesregierung. "Vorankommen wollen wir zum Beispiel bei der besseren Verpflegung von der Kita bis zum Krankenhaus und Pflegeheim." Eine verpflichtende Kennzeichnung der Tierhaltung bei frischem Schweinefleisch hat die Ampel bereits umgesetzt.

Deutlich umstrittener dürften zum Beispiel höhere Preise für tierische Produkte sein – zumal die Lebensmittelpreise zuletzt ohnehin deutlich gestiegen sind. Auch der Wegfall der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse wird schon länger gefordert – ohne dass sich die Politik bisher darauf einigen konnte.

Die Empfehlungen des ersten Bürgerrats werde man im Bundestag nun debattieren, sagt Haßelmann. "Ich erwarte einen sehr intensiven Austausch über dieses so wichtige Thema einer gesunden und nachhaltigen Ernährung."

Vorschlag für den nächsten Bürgerrat

Auch wenn die Umsetzung der Ergebnisse also nicht sicher, auch wenn die Opposition skeptisch ist: Wahrscheinlich war es nicht der letzte Bürgerrat. An gesellschaftlich drängenden Themen mangelt es schließlich nicht.

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, hat in einem Gastbeitrag für "Table.Media" schon ein neues Thema für einen neuen Bürgerrat vorgeschlagen: Sie will über eine "Dienstpflicht" (also de facto die Wiedereinführung von Wehr- und Zivildienst) diskutieren lassen.

Verwendete Quellen

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