• Ukraine-Krieg, weltweiter Hunger, Schuldenkrise: Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze ist an vielen Stellen der Welt gefragt.
  • Im Interview mit unserer Redaktion spricht die SPD-Politikerin über schnelle Hilfen in der Ukraine, Spekulationen mit Lebensmittelpreisen und den Haushalt ihres Ministeriums.
  • "Ich kann mir nicht aussuchen, welche Krise ich gerade lösen möchte", sagt Schulze. "Wir müssen alle Probleme parallel angehen."
Ein Interview

Frau Schulze, die Bundesregierung hat ein Sofortprogramm für den Wiederaufbau in der Ukraine aufgelegt. Sind diese Hilfen jetzt bereits sinnvoll? Der Krieg tobt ja noch.

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Svenja Schulze: Es ist enorm wichtig, jetzt schon zu helfen. Das Sofortprogramm, mit dem mein Ministerium schnell auf den russischen Angriffskrieg reagiert hat, umfasst bisher rund 185 Millionen Euro. Damit unterstützen wir vor allem Binnenvertriebene und aufnehmende Gemeinden. Man vergisst ja oft, dass die meisten Menschen innerhalb der Ukraine geflohen sind – von einer Region in die andere. Unser Ziel ist, staatliche Strukturen so zu unterstützen, dass sie weiter wichtige Dienstleistungen für die Bevölkerung erbringen können, etwa in der Energie-, Gesundheits- oder Wasserversorgung. Wir schaffen auch Wohnraum, damit Menschen auf der Flucht eine beheizbare Bleibe haben, wenn der Winter kommt.

Sie waren selbst in der Ukraine und haben die Folgen des Krieges gesehen. Lässt sich da schon an Wiederaufbau denken?

Dieses furchtbare Ausmaß an Zerstörung wird man nicht in kurzer Zeit beheben können. Der Wiederaufbau wird eine langwierige internationale Aufgabe. Je länger diese grausamen Angriffe dauern, desto schlimmer die Schäden. Auch deshalb muss Putin diesen Krieg, den er angezettelt hat, sofort beenden.

Wäre es dann nicht doch sinnvoll, eine Verhandlungslösung zu suchen?

Das kann nur die Ukraine entscheiden, nicht wir.

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze beim Interview mit Redakteur Fabian Busch. © Hannes Jung

Die EU hat der Ukraine, Moldau und mit Abstrichen Georgien den Status von Beitrittskandidaten eingeräumt. Sind die Länder wirklich schon reif dafür?

Es war ein sehr starkes politisches Signal, zu sagen, dass diese Staaten zu Europa gehören. Aber natürlich gibt es noch einiges für die Länder mit Kandidatenstatus zu tun: Aufbau der Verwaltung, Transparenz, Bekämpfung der Korruption. Mein Ministerium unterstützt die Ukraine schon lange dabei, zum Beispiel kommunale Strukturen zu schaffen. Man sieht gerade jetzt im Krieg, dass die Kommunen für die Versorgung der Menschen vor Ort sehr wichtig sind.

"Wir müssen alles gleichzeitig schaffen"

Verschiebt sich damit der Fokus der Entwicklungszusammenarbeit? Schauen Sie mehr nach Osteuropa und weniger in den globalen Süden?

Nein, wir müssen alles gleichzeitig schaffen. Wir unterstützen die Ukraine und andere Staaten in der östlichen Partnerschaft. Mir ist aber gleichzeitig ganz wichtig, den globalen Süden nicht zu vergessen. Die Klimakrise, der Verlust der Artenvielfalt, die Folgen der Covid-19-Pandemie: Diese Krisen sind alle noch da, und sie betreffen vor allem den globalen Süden, wie wir deutlich im Sahel und am Horn von Afrika sehen.

Das gilt auch für die Hungerkrise. Die Zahl der Hungernden weltweit ist seit Anfang des Jahrhunderts zunächst leicht gesunken. Inzwischen steigt sie wieder. Im vergangenen Jahr litten den Vereinten Nationen zufolge rund 828 Millionen Menschen weltweit an Hunger.

Wir sehen hier Folgen des Klimawandels und auch der Corona-Pandemie. Und jetzt führt noch der Krieg in der Ukraine dazu, dass die Getreidepreise steigen. Das macht es noch schwieriger für die Menschen, an bezahlbare Lebensmittel zu kommen. Das ist wirklich eine dramatische Situation. Deswegen habe ich direkt nach Beginn des Krieges das Bündnis für globale Ernährungssicherheit initiiert. Es geht darum, die Hilfen besser zu koordinieren – damit diejenigen erreicht werden, die sie am nötigsten brauchen. Wir müssen aber nicht nur akut helfen, indem wir Lebensmittel liefern. Die Staaten des Südens müssen auch unabhängiger werden.

Inwiefern?

Sie müssen ihre eigene Landwirtschaft stärken, indem sie vor Ort mit angepassten Sorten nachhaltig mehr produzieren. Das lässt sich vergleichen mit der Gas-Diskussion bei uns: Wir müssen unabhängiger von Gas-Importen aus Russland werden. Und für viele afrikanische Länder ist es ganz wichtig, unabhängiger von Getreide-Importen aus einzelnen Ländern zu werden. Einige dieser Länder sind zu mehr als 90 Prozent von Importen abhängig. Das erzeugt gefährliche einseitige Abhängigkeiten. Afrika hat enormes Potenzial in der Landwirtschaft. Auf dem Kontinent könnten genügend Lebensmittel für alle erzeugt werden. Deswegen helfen wir nicht nur akut mit Lebensmitteln, sondern auch langfristig, um Strukturen zu verändern.

Hungerkrisen werden nicht nur durch den mangelnden Zugang zu Lebensmitteln ausgelöst. Sondern vor allem, weil sich Menschen die Lebensmittel wegen hoher Preise nicht mehr leisten können. Und Lebensmittel sind auch ein Spekulationsobjekt.

Die Preise sind jedenfalls ganz entscheidend. Die Weltbank hat ausgerechnet, dass für jedes Prozent Preissteigerung zehn Millionen Menschen mehr in Hunger und Armut fallen. Reine Spekulationen mit Nahrungsmitteln dürfen da keinen Platz haben. In der EU haben wir dazu bereits Regeln, aber wir brauchen sie auch auf internationaler Ebene.

Wie könnten solche Regeln denn aussehen?

Man kann den Welthandel mit Getreide nicht verbieten, aber man kann Regeln dafür schaffen. Deutschland kann darüber nicht allein entscheiden. Aber das Bewusstsein dafür steigt international enorm.

"Das Geld ist eben nie genug, weil die Probleme einfach riesig sind"

Der Internationale Währungsfonds warnt auch vor einer Schuldenkrise. Viele Schwellen- und Entwicklungsländer stehen kurz vor der Überschuldung. Was unternimmt Deutschland in dieser Situation?

Wir müssen in der Schuldenkrise helfen. Die Länder des globalen Südens dürfen nicht immer weiter in die Verschuldung geraten, bis sie sich nicht mehr bewegen können. Über einen Schuldenschnitt wie vor 20 Jahren können wir aber nicht mehr diskutieren, weil die heutige Gläubigerstruktur wesentlich komplexer ist: China oder auch private Gläubiger haben massiv an Bedeutung gewonnen. Mit ihnen muss man Lösungen finden.

Was lässt sich denn konkret unternehmen, wenn die Schulden zum Teil bei privaten Banken aufgenommen wurden?

Auch die privaten Gläubiger müssen in Schuldenrestrukturierungen einbezogen werden und anders damit umgehen. Darüber hinaus müssen staatliche Hilfsgelder effizient genutzt werden, damit die Länder wieder mehr Bewegungsfreiheit haben.

Deutschland hat im vergangenen Jahr 0,74 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe ausgegeben. Zwei Prozent der Wirtschaftsleistung sollen in Zukunft in die Verteidigung fließen. Ist das ein gutes Verhältnis?

Wir brauchen dieses Geld für die Verteidigung. Man kann nicht darauf setzen, dass sich Russland an die internationalen Regeln hält. Putin hat die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen und versucht, dieses Land zu übernehmen. Deswegen müssen auch wir in unsere Sicherheit investieren. Aber gleichzeitig braucht es auch Geld für die Entwicklungszusammenarbeit. Wir machen aus Deutschland heraus eine ganze Menge. Ich bin auch sehr froh, dass wir im neuen Bundeshaushalt eine zusätzliche Reserve von fünf Milliarden Euro haben, um auf Krisen zu reagieren.

Im Haushalt 2023 ist für das Bundesentwicklungsministerium trotzdem weniger Geld vorgesehen als im laufenden Jahr. Damit können Sie kaum zufrieden sein.

Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir mehr Geld ausgeben können. Aber dafür müsste auch mehr Geld in der Kasse sein. Wenn der gesamte Bundeshaushalt schrumpft, dann wird natürlich auch der Haushalt meines Ministeriums kleiner. Der Anteil des BMZ am Gesamthaushalt bleibt aber gleich groß.

Im Januar haben Sie Ihrem Vorgänger Gerd Müller von der CSU vorgeworfen, er habe das Ministerium in keinem guten Zustand übergeben. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sei "dramatisch unterfinanziert". Haben Sie daran etwas geändert?

Es ist sehr schwierig, das kurzfristig zu ändern. Zumindest in nur acht Monaten. Deutschland ist insgesamt an ganz vielen Stellen der Welt einer der größten Geldgeber. Aber das Geld ist eben nie genug, weil die Probleme einfach riesig sind.

"Es hilft nichts, den Kopf in den Sand zu stecken"

Wird es schwieriger für die Entwicklungszusammenarbeit zu werben, wenn sich gleichzeitig auch hierzulande viele Menschen mehr staatliche Unterstützung wünschen – etwa wegen der drohenden Energiekrise?

Man muss beides tun. Wir haben etwa in der Corona-Krise gelernt, wie groß die Vernetzung in der Welt ist. Das Verständnis für Entwicklungspolitik in der Bevölkerung ist eher noch gestiegen. Ich erlebe hierzulande unglaublich viele Menschen in wichtigen Organisationen, die sich engagieren, damit es Menschen anderswo auf der Welt besser geht. Darüber bin ich sehr froh.

Vielen Menschen scheint es, als sei die Welt aus den Fugen geraten. Wir haben die Klimakrise, die Folgen der Coronakrise, die Hungerkrise, jetzt noch den Krieg in der Ukraine und seine weitreichenden Folgen...

… und die Sorge um die Demokratie. Immer mehr Menschen leben in Autokratien. Deswegen müssen wir auch für die Demokratie werben.

Woher nehmen Sie als Politikerin noch den Optimismus, den Menschen zu sagen: Wir werden all diese Probleme lösen?

Es hilft ja nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Ich kann mir nicht aussuchen, welche Krise ich gerade lösen möchte. Wir müssen alle Probleme parallel angehen. Mir ist dabei ganz wichtig, dass wir mit der Lösung der einen Krise nicht die andere verschärfen. Wenn wir jetzt zum Beispiel sagen würden, dass wir überall nur noch Weizen anbauen und dafür dauerhaft die letzten natürlichen Flächen nehmen, dann steuern wir bei der Artenvielfalt in die nächste Katastrophe.

Zur Person: Svenja Schulze wurde in Düsseldorf geboren und hat Germanistik und Politikwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum studiert. 2010 bis 2017 war die SPD-Politikerin Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. 2018 bis 2021 führte sie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. In der aktuellen Ampel-Koalition übernahm die Münsteranerin das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
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