Deutschland will auch in den kommenden Jahren in Afghanistan militärisch aktiv bleiben. Die Bundesregierung begründet die Entscheidung mit der instabilen Sicherheitslage am Hindukusch.
Mit einer Truppenstärke von ungefähr 5.300 Mann war die Bundeswehr im Rahmen des NATO-geführten ISAF-Einsatzes in Afghanistan. Dieser ist seit Dezember 2014 beendet.
Doch Bundeskanzlerin
So sollen über das Jahr 2016 hinaus bis zu 980 Bundeswehrsoldaten im Norden Afghanistans für Sicherheit sorgen.
Paradoxerweise wurde innerhalb von SPD und Union auch offen darüber diskutiert, Flüchtlinge wieder nach Afghanistan zurückzuschicken.
Das Land habe viel Entwicklungshilfe erhalten, meinte etwa Bundesinnenminister Thomas de Maizière: "Da kann man auch erwarten, dass die Menschen dort bleiben."
Warum aber die afghanische Führung noch immer dringend Hilfe bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben braucht und wie sicher das Land wirklich ist, erklärt Conrad Schetter, Politikprofessor und wissenschaftlicher Direktor des Bonn International Center for Conversion.
Herr Schetter, wie sicher ist Afghanistan heute?
Conrad Schetter: Sichere Zonen per se gibt es nicht. In Afghanistan überschneiden sich viele Konfliktlinien. Je nachdem, welche kulturelle, politische und religiöse Identität ich habe, bin ich an einem Ort sicher, an dem anderen hingegen nicht.
Das ist eines der grundlegenden Probleme dort. Es gibt trotzdem Regionen wie Zentralafghanistan, das etwa die Bundeswehr als sicher bezeichnet. Das gilt aber nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung. Als Paschtune oder Usbeke bin ich dort eher gefährdet.
Welche politischen Kräfte destabilisieren das Land?
Die Taliban sind immer noch sehr stark. Der Name IS tauchte hingegen in Afghanistan etwa vor einem halben Jahr zum ersten Mal auf. Dafür gibt es zwei unterschiedliche Erklärungen.
Die eine lautet, der IS versucht, bewusst in verschiedenen Regionen der islamischen Welt an Macht zu gewinnen. Die andere lautet, dass sich afghanische Kriegsfürsten einen Nutzen davon versprechen, wenn sie sich dem IS zugehörig darstellen, um so ihre Ansprüche eher durchzusetzen.
Sicher ist, der IS tritt vor allem im Grenzgebiet zu Pakistan verstärkt auf und liefert sich nicht wenige Kämpfe mit den Taliban, die dadurch auf einmal fast gemäßigt erscheinen. Aber noch ist der IS in Afghanistan ein Randphänomen.
Was sind die größten Probleme?
Staatliche Strukturen sind in Afghanistan gegenwärtig in vielen Landesteilen kaum noch vorhanden. Staatliche Akteure können also keine Sicherheit gewährleisten. Insbesondere außerhalb von Kabul halten die Taliban und Kriegsfürsten das Land unter ihrer Kontrolle.
Dagegen spielt das Thema Demokratie gegenwärtig in Afghanistan nur eine untergeordnete Rolle. Man ist froh, dass man die Präsidentschaftswahlen hinter sich hat.
Der Glaube an die Demokratie ist auf ein Minimum geschrumpft. Auch weil man gesehen hat, dass selbst im Beisein von internationalen Akteuren demokratische Prinzipien immer wieder ausgehöhlt wurden.
Außerdem stellt Korruption in Afghanistan ein großes Problem dar, das sich nicht so einfach bekämpfen lässt.
Wie lautet Ihre Prognose: Droht eine Eskalation wie in Syrien?
Man kann sicherlich sagen, dass Afghanistan ähnlich instabil ist wie Syrien, wobei der Vergleich mit dem Irak besser trägt. Dort gab es einen sehr schnellen Abzug der amerikanischen Truppen, woraufhin alles implodierte.
Diese Gefahr besteht auch für Afghanistan, obwohl es dort mit Blick auf die vergleichsweise starken Taliban andere politische Konstellationen gibt.
Generell gilt: Bei einem militärischen Einsatz muss man sehr genau hinschauen, welche Auswirkungen sich aus dem ergeben, was man macht – beziehungsweise, was man nicht macht.
In meinen Augen ist es von großer Bedeutung, dass die internationale Gemeinschaft Afghanistan zeigt, dass sie langfristig – damit meine ich 20, 30 oder 40 Jahre – an einem Wiederaufbau Afghanistans interessiert ist.
Man kann nicht hoffen, dass sich die Situation dort in zwei bis drei Jahren ändert.
Und was bedeutet das alles für die aktuelle Flüchtlingskrise?
In Afghanistan herrscht eine enorme Perspektivlosigkeit. Mit den Militärs sind auch die Entwicklungsgelder abgezogen worden. Das hatte zur Folge, dass die Wirtschaft vielfach zusammengebrochen ist.
In der Bevölkerung hat sich dadurch der Eindruck verstärkt, dass es dort für sie nichts mehr gibt. Auch eben keine Sicherheit. Deshalb verlassen so viele das Land.
Es braucht eine Perspektive für das Land und die Leute, um die Lage zu verbessern. Die Bundesregierung hat als eines der wenigen Länder deutlich gemacht, dass sie bereit ist, dafür einen langen Atem zu haben.
Wichtig ist aber, dass auch die transatlantischen Partner dafür gewonnen werden, sich langfristig einzubringen. Vor allem im Bereich der zivilen Zusammenarbeit und in der Entwicklungszusammenarbeit.
Der militärische Aspekt kann allenfalls flankierend sein, aber nicht im Vordergrund stehen.
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