- Sepp Müller ist stellvertretender Vorsitzender und Gesundheitsexperte der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
- Der 33-Jährige kritisiert die Corona-Politik der Ampel-Koalition: "Der Bundesgesundheitsminister erreicht die Menschen nicht mehr, und dadurch verhallen seine Aufrufe."
- Im Interview mit unserer Redaktion spricht Müller außerdem über seine Praktika im Wahlkreis und den Nachholbedarf der CDU bei Jüngeren und in Ostdeutschland.
Gut 100 der 736 Abgeordneten des Deutschen Bundestags sind unter 35. Bis zu dieser Altersgrenze darf man in der Regel Mitglied der jeweiligen politischen Jugendorganisation sein. In unserer Interview-Reihe sprechen wir mit jungen Politikerinnen und Politikern über ihre Ziele und ihren Blick auf ihre Partei. Dieses Mal mit Sepp Müller (CDU) aus Sachsen-Anhalt.
Herr Müller, lassen sich Politik und Vatersein vereinbaren?
Sepp Müller: Das ist schwierig als Berufspolitiker. Nicht nur im Bundestag, sondern auch bei Landtags- und Europaabgeordneten. Ich muss die Zeiten mit meinem neunjährigen Sohn planen und mir freihalten. Die Pandemie hat dazu beigetragen, dass jetzt mehr Hybridsitzungen möglich sind. Wenn man junge Väter und Mütter davon überzeugen will, Politik mitzugestalten, muss das in Zukunft grundsätzlich möglich sein.
Hätten Sie Ihren Sohn auch mit in eine Ausschusssitzung genommen, wie es gerade der Grünen-Politiker Anton Hofreiter gemacht hat?
Nein. Ich finde, dass die Familie in der Öffentlichkeit geschützt werden muss.
Sie sind als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion für die Gesundheitspolitik zuständig. Wie gut ist Deutschland für eine neue Corona-Welle vorbereitet?
Nicht gut. Wir steuern blind in eine neue Corona-Welle hinein. Wir haben kein Impfregister, also keine Datengrundlage. Wir greifen immer nur auf Daten aus anderen Ländern zurück, wissen somit nicht, wer hierzulande geimpft und wer genesen ist. Der Staat kann die Über-60-Jährigen, die nicht immunisiert sind, deshalb nicht anschreiben. Für mich ist ganz klar: Wir brauchen einen Immunitätsnachweis und eine Immunitätsstudie, um Maßnahmen zu ergreifen. Jetzt stehen wir komplett nackt da. Wenn das so bleibt, werden wir im Herbst wieder Maßnahmen sehen, die uns nicht erfreuen.
Werden denn neue Schutzmaßnahmen nötig sein?
Ich habe in den letzten zwei Jahren gelernt, nichts auszuschließen. Das werde ich auch nicht mehr tun. Wir müssen wirklich schauen, was hilft. Und die Virologen sagen ja, dass eine komplette Impfung mit einer Infektion der beste Immunitätsschutz ist. Also muss es unser Ziel sein, die Impflücke weiter zu schließen.
Eine allgemeine Impfpflicht hat die Unionsfraktion abgelehnt, aber die Impfquote wollen Sie erhöhen. Passt das zusammen?
Ich sehe für eine allgemeine Impfpflicht im Bundestag keine Mehrheit. Solange keine tödliche Variante auf uns zurollt, ist sie wahrscheinlich nicht verhältnismäßig. Wir fordern stattdessen eine gezielte Impfkampagne. Der Staat muss Ungeimpfte anschreiben: "Herr Max Mustermann, wir haben aufgrund unserer Datenlage festgestellt, dass Sie nicht immunisiert sind. Der Herbst kommt. Sie werden sich wahrscheinlich anstecken. Das hier wäre Ihr Impftermin." Aber dazu brauchen wir eben die Daten, wer geimpft und wer genesen ist.
Die Union hat während ihrer Regierungszeit auf strenge Schutzmaßnahmen gesetzt. Ist die aktuelle Ampel-Koalition bei der Corona-Bekämpfung zu zögerlich?
Ja.
Vielleicht aus gutem Grund: Viele Menschen haben unter den strengen Schutzmaßnahmen gelitten.
Ich mache die Zögerlichkeit an Kommunikationsfehlern fest. Wenn man tagsüber sagt, dass eine Corona-Quarantäne künftig entfällt, und diese Ankündigung am Abend wieder zurückruft, dann verunsichert das die Leute. Der Bundesgesundheitsminister erreicht die Menschen nicht mehr, und dadurch verhallen seine Aufrufe. Das ist in der jetzigen Zeit katastrophal.
Jedes Vierteljahr ein Praktikum – auch bei der Müllentsorgung
Sie haben bei der Bundestagswahl 2021 in Ihrem Wahlkreis Dessau-Wittenberg das beste Erststimmen-Ergebnis der CDU in Ostdeutschland geholt. Wie haben Sie das geschafft?
Das waren vier Jahre harter Arbeit von meinem Team und mir. Ich habe mich mit "Fridays for Future" getroffen, als andere auf Parteiveranstaltungen waren. Ich habe mich mit der muslimischen und der jüdischen Gemeinde getroffen. Die Menschen möchten gehört werden. Sie möchten Politiker, die ansprechbar und nicht überheblich sind. Ich mache jedes Vierteljahr ein Praktikum in meinem Wahlkreis. Ich war Fährmann, ich war im Gesundheitsamt, im Pflegeheim und bei der Müllentsorgung. Ich habe mich da nicht nur anderthalb Stunden mit der Geschäftsführung zusammengesetzt, sondern acht Stunden lang mit dem Fahrer Biomüll abgeholt.
Ihre Partei hat bei der Bundestagswahl in den östlichen Ländern trotzdem insgesamt Zuspruch verloren: gerade mal 17,1 Prozent. Damit kann die selbsternannte Partei der deutschen Einheit nicht zufrieden sein.
Nein, das stellt mich überhaupt nicht zufrieden. Es ist auch mein Anspruch, den Osten im Fraktionsvorstand in den Fokus zu rücken. Dass SPD und AfD bei der letzten Bundestagswahl im Osten stärker waren, liegt auch daran, dass wir soziale Themen zu wenig transportiert haben. Die Union muss gerade im sozialen Bereich mehr Profil gewinnen und das nach außen tragen. Dazu brauchen wir die passenden Gesichter.
Ist Friedrich Merz der richtige Partei- und Fraktionschef für diese Aufgabe? Er gilt eher als Mann der Wirtschaft.
Er hat die Partei geeint. Ich finde, er macht seine Aufgabe sehr gut und deswegen: Ja.
Sepp Müller: "Die SPD hinterlässt mit dem Kohleausstieg eine soziale Lücke"
Sie selbst sind Mitglied des Arbeitnehmerflügels CDA. Wie kann die Partei ihr soziales Profil schärfen?
Ich nenne ein Beispiel: Wir haben den gesamtgesellschaftlichen Kompromiss getroffen, bis 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Die Ampel-Parteien schreiben aber in ihren Koalitionsvertrag, dass das idealerweise bis 2030 passieren soll. Jetzt haben Sie zum Beispiel eine junge Familie mit einem zweijährigen Kind, sie arbeitet in der Verwaltung, er auf dem Tagebaugerät. Für ihr Haus haben sie eine Finanzierung bis 2038 gestrickt. Und nun hören die, dass acht Jahre früher Feierabend ist beim Tagebau? Gerade die SPD hinterlässt mit dem früheren Kohleausstieg eine soziale Lücke. Da müssen wir rein. Da müssen wir als Partei der Mitte ein Angebot machen.
Die SPD hat immerhin eine Erhöhung des Mindestlohns durchgesetzt. Da hat sich die Union nur zu einer Enthaltung durchgerungen.
Wir haben uns diese Entscheidung nicht leichtgemacht. Ich selbst hätte mir auch eine Zustimmung vorstellen können. Gleichzeitig ist es problematisch, wenn der Mindestlohn von der Politik festgelegt wird. Die Enthaltung war deswegen ein Kompromiss in der Fraktion. Die Schwächsten in der Gesellschaft werden zurzeit aber vor allem von der hohen Inflation getroffen.
Merz wirft Scholz "doppeltes Spiel" bei Waffenlieferungen vor
Die Regierung hat deswegen Entlastungspakete geschnürt. Was hätten die Unionsparteien anders gemacht, wenn sie noch an der Macht wären?
Wir müssen erst mal die Ursachen bekämpfen. Und dazu gehört die Geldschwemme. Wenn der Staat Schulden noch und nöcher aufnimmt, ist das kein Weg, um die Inflation zu bekämpfen. Die Staatsverschuldung wird uns noch jahrelang schwer im Magen liegen und dazu führen, dass die Inflation weiter angetrieben wird.
Die Verschuldung steigt ja nicht aus böser Absicht. Es gibt einfach einen großen Bedarf an staatlichen Investitionen.
Dann muss die Ampel-Regierung aber Prioritäten setzen. Wir müssen Unternehmerinnen und Unternehmer befähigen, gut bezahlte Menschen einzustellen. Wir brauchen eine gute Infrastruktur mit Straßenbau und erneuerten Bahnstrecken. Wenn die Regierung richtigerweise sagt, dass auch Klimaschutz-Maßnahmen Priorität haben, dann muss an anderer Stelle gespart werden.
"Es muss uns gelingen, auf Augenhöhe mit jungen Menschen zu reden"
Überall ist in der CDU derzeit der Wunsch nach einem schärferen Profil zu hören. Wie dieses Profil aussehen kann, bleibt häufig vage. Eine Corona-Impfkampagne, aber keine Impfpflicht. Klimaschutz Ja, aber nicht zu viel. Überzeugt man so die Wählerinnen und Wähler?
Eine Volkspartei hat immer die Aufgabe, das Land zusammenzuhalten: Nord, Süd, Ost und West, Stadt und Land, Jung und Alt. Ich muss zugeben: Am Anfang war ich gehässig beim Niedergang der SPD. Mittlerweile bin ich dankbar, dass wir weiterhin zwei Volksparteien haben. Die anderen Parteien sind in meinen Augen Klientelparteien. Eine Volkspartei kann nie besonders laut oder sogar populistisch sein. Man kann natürlich sagen: Das ist weder Fisch noch Fleisch. Man kann aber auch sagen: Es gehört zur DNA von Volksparteien, immer wieder Kompromisse zu finden und die Gesellschaft zu vereinen.
Sie sind 33 und gehören damit in Ihrer Fraktion zu den Jüngeren. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen haben bei der Bundestagswahl 2021 gerade mal 10 Prozent die Unionsparteien gewählt.
Auch damit können wir als Volkspartei nicht zufrieden sein. Die Gesellschaft ändert sich, sie wird diverser. Deswegen spielen Themen wie Homosexualität, Lebensgemeinschaften oder Cannabis-Legalisierung für junge Menschen eine Rolle. Wir müssen mit ihnen über unsere Positionen zu diesen Themen diskutieren. Wir reden häufig über junge Menschen – aber zu wenig mit ihnen. Ich bin bewusst zu "Fridays for Future" gegangen, obwohl das für mich nicht vergnügungssteuerpflichtig war. Die erste Baumpflanzaktion mit denen ist auch ein bisschen in die Hose gegangen. Aber am Ende haben wir zusammen 50.000 Bäume gepflanzt. Die rufen trotzdem nicht alle Hurra und wählen die Union. Aber es muss uns gelingen, auf Augenhöhe mit jungen Menschen zu reden und um die besten Ideen zu ringen.
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