- Das Bundeswehr-Sondervermögen, die Folgen der Inflation, die Zukunft von Hartz IV: Viele aktuelle Debatten bieten linken Parteien Anknüpfungspunkte.
- In Umfragen kommen SPD, Grüne und Linke aber nicht einmal mehr auf 50 Prozent, in der Bundesregierung scheint bisweilen die FDP zu dominieren.
- Vier Vertreterinnen und Vertreter der politischen und gesellschaftlichen Linken erklären, wie sie sich die Zukunft vorstellen.
Die neue Bundesregierung ist seit einem halben Jahr im Amt. Seitdem haben sich bereits mehrere Konfliktthemen sowohl innerhalb der Ampelkoalition als auch mit Blick auf die Gesellschaft als Ganzes aufgetan. Umstrittene Punkte sind beispielsweise die sogenannte Schuldenbremse, die Aufrüstung der Bundeswehr, die Zukunft von Hartz IV und Maßnahmen für Menschen mit wenig Geld angesichts steigender Preise.
Das sind alles Themen, die klassischerweise als links geltenden Parteien wie der SPD, den Grünen und der Linken viele Anknüpfungspunkte bieten. In aktuellen Umfragen kommen sie zusammen aber auf nur unter 50 Prozent, die chronisch zerstrittene Linkspartei nicht einmal mehr auf fünf. In der Bundesregierung scheint in der öffentlichen Wahrnehmung bisweilen die FDP zu dominieren. Wohin wird sich die gesellschaftliche und politische Linke in der kommenden Zeit weiterentwickeln? Vier Stimmen zur Zukunft:
Sarah-Lee Heinrich, Co-Vorsitzende der Grünen Jugend
Um über die Zukunft sprechen zu können, muss man sich die jetzige Lage der politischen Linken anschauen. Blickt man ins Parteiensystem, hat man zwei Mitte-Links Parteien in einer Regierung, die eine große soziale Schieflage hat und eine Partei in der Opposition, die Linkspartei, die gerade nicht handlungsfähig ist. Die außerparlamentarische Linke hat ihren Umgang mit einer Regierung, die irgendwie besser als eine GroKo ist, in der Breite noch nicht gefunden.
Währenddessen macht sich Resignation unter vielen Menschen breit, die zurecht das Gefühl haben, dass die aktuelle Politik in Land und Bund an ihren Interessen vorbei agiert. Das hat man am Nichtwähler*innen Anteil in NRW gesehen. Die Streiks an den Unikliniken in NRW und die Berliner Krankenhausbewegung sind Beispiele dafür, wie die Linke es schaffen kann, wieder zu sich zu finden. Sie hat nur dann eine Zukunft, wenn sie in der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung verwurzelt ist.
"Die politische Linke hat nur eine Zukunft, wenn sie in der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung verwurzelt ist."
Ein krasser Moment für mich war der Abend der Bundestagswahl, als feststand, dass es keine linke Mehrheit im Bundestag geben wird, und später aber noch klar wurde, dass wir als politische Linke den Berliner Volksentscheid zu „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gewonnen haben. Das war für mich der Beweis, dass es eine starke Organisierung von unten braucht, um wieder in die Offensive zu kommen. Natürlich sind die Beharrungskräfte stark in einem Wirtschaftssystem, in dem Profite per se über den Bedürfnissen der Bevölkerung stehen.
Aber die Herausforderung ist eben die Frage, wie man genug Macht aufbaut, um es trotzdem zu übertrumpfen. Neben einer starken Bewegung braucht es eine gewisse Verankerung im Parteiensystem. Beim Bundeswehr-Sondervermögen etwa hat es die politische Linke als Ganzes nicht geschafft, ausreichend Widerspruch zu organisieren. Denn natürlich werden Parlament und Regierung oft das machen, was im Rahmen der gesellschaftlichen Stimmung möglich ist.
Der politischen Linken und der Gesellschaft allgemein fehlen ein Klassenbewusstsein und gemeinsame Bezugspunkte. Es muss klar sein, dass es bei Antidiskriminierung auch um soziale Fragen geht. Meiner Mutter bringt ein gegenderter Hartz-IV-Bescheid nichts. Das ist auch ein Problem der Ampel: Wir kommen bei gesellschaftspolitischen Themen voran, aber bei der Frage, wie die Menschen gut durch den Monat kommen, nicht so sehr. Daran muss die gesellschaftliche Linke als Ganzes anknüpfen.
Sönke Rix, Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Parlamentarischen Linken innerhalb der SPD-Fraktion
Die politische Linke steht im internationalen Vergleich gut da: Sie regiert. Die SPD als linke Volkspartei wirkt in die progressive Mitte der Gesellschaft. Sie stellt die regierende Fraktion. Die Grünen, die für sich beanspruchen, auch in die linke politische Szene hineinzuwirken, sind ebenfalls Regierungspartei. Daher ist für mich klar: Die politische Linke wird gebraucht und ist handlungsfähig!
Mit der Kindergrundsicherung und dem Bürgergeld hat das Ampelbündnis zwei der größten sozialpolitischen Reformen der letzten Jahre im Koalitionsvertrag festgelegt. Von daher sehe ich nicht, dass diese Regierung nur gesellschaftlich linke Reformen voranbringen würde. Die Zeitenwende verlangt auch sozialpolitische und gesellschaftliche Reformen.
Was die Kritik am Bundeswehr-Sondervermögen angeht: Gerade in der Friedens- und Sicherheitspolitik sollte man vorsichtig sein mit Bewertungen, was linke Politik bedeutet. Wir müssen erkennen, dass es immer ein letztes Mittel sein kann, auch militärisch in einen Konflikt einzugreifen, um sich in einem brutalen Angriffskrieg zu verteidigen.
"Ein Bündnis ohne die FDP hätte sozialpolitisch ein größeres Potenzial."
Bei sozialpolitischen Themen wiederum können wir froh sein, dass in der Bundesregierung auch linke Parteien dabei sind. Denn Entlastungsmaßnahmen einer FDP sehen schon anders aus als die, die zum Beispiel die SPD durchgesetzt hat. Die Kompromissfindung wird mit jedem zusätzlichen Partner schwieriger. Mit Blick auf die Zukunft hätte ein Bündnis ohne FDP sozialpolitisch ein größeres Potenzial.
Allerdings glaube ich nicht, dass die Linkspartei so schnell in der Lage sein wird, Teil einer Regierung zu werden. Sie ist im Moment sehr schwach und mit sich selbst beschäftigt. Insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik hat die Linkspartei viel aufzuarbeiten. Und sie sollte auch nicht denken, dass ihre bisherige Haltung da besonders links sei, sondern vielmehr schauen, dass sie die Realität anerkennt.
Eine Volkspartei wie die SPD ist ohnehin gut beraten, lieber eigene Mehrheiten zu finden und ihre Ziele umzusetzen. Eine Regierungsbeteiligung richtet sich an der Programmatik aus: Hauptsache, die SPD setzt die meisten ihrer Punkte durch. "
Vanessa Müller, Co-Chefin der Linken Mecklenburg-Vorpommern und jüngste Landesvorsitzende der im Bundestag vertretenen Parteien
Ich finde, dass die politische Linke gerade viel Präsenz zeigt – vor dem Bundestag hat zum Beispiel eine Demonstration gegen das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr stattgefunden. Die Abstimmung über das Sondervermögen hat aber gezeigt, dass sich viele Menschen beim Thema Krieg gerade sehr von Emotionen leiten lassen und nicht unbedingt von Rationalität.
Wir als Die Linke – und das geht sicher auch linken Parteien in anderen Ländern so – haben es in solchen Zeiten sehr schwer mit deutlichen Antikriegshaltungen.
Man merkt immer wieder, dass das teilweise dann ein einsamer Kampf ist. Was die Zukunft angeht: Dass wir als Partei gerade in einer Krise stecken, ist kein Geheimnis. Da gilt es erst mal, unsere eigenen Probleme zu lösen, um dann stärker weiterzumachen und uns auf Inhalte fokussieren zu können. Ich sehe die politische Linke in den nächsten Jahren natürlich stärker - und gerne auch noch lauter – werden.
"Beim Thema Mieten ist eine überparteiliche Zusammenarbeit möglich."
Was eventuelle Regierungsbeteiligungen unserer Partei angeht, wird sich zeigen. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir uns jedenfalls dafür entschieden. Auf jeden Fall stellt sich die Frage erst dann wieder, wenn auch wirklich Wahlen anstehen.
Ein Thema, bei dem linke Kräfte sehr gut zusammenkommen könnten, ist meiner Meinung nach Wohnen und Mieten. Es sieht aktuell ja nicht so aus, als ob sich die Lage diesbezüglich wirklich verbessert. Wir haben in der Vergangenheit zum Beispiel in Berlin gesehen, dass bei diesem Problem eine überparteiliche Zusammenarbeit möglich ist.
Da könnte man sich innerhalb Deutschlands gut austauschen zu linken Ansätzen etwa aus Denkfabriken. Durch die rot-rote Koalition haben wir in unserem Bundesland allgemein viel Austausch mit der SPD. Die Antwort auf die Frage, wie man für vernünftige Mietpreise und genügend Wohnraum sorgt, ist jedenfalls komplizierter als einfach nur zu sagen: Wir bauen da jetzt einen Block hin.
Ines Schwerdtner, Chefredakteurin des sozialistischen Magazins "Jacobin" und früher Mitarbeiterin des Ex-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow (SPD/Die Partei)
Die politische Linke ist aktuell in einer strategischen Sackgasse. Sie beschäftigt sich zu sehr mit sich selbst und nicht mehr damit, wofür sie eigentlich da ist: die Gesellschaft zu verändern und die Menschen, die vom Kapitalismus unterdrückt werden, anzusprechen. Die letzten zehn bis zwanzig Jahre hat sich eine Art Aktivistenkaste herausgebildet, die sich um die großen Fragen wie Klimaschutz kümmert – aber eigentlich nichts mehr mit der arbeitenden Klasse zu tun hat.
Die deutsche Linke kann viel von Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders lernen – indem sie etwa überhaupt mal akzeptiert, dass solche Figuren sinnvoll für eine Bewegung sein können. Die beiden haben gezeigt, dass man Erfolg damit haben kann, keine Rücksicht auf den politischen Gegner zu nehmen und die Konzerne anzugreifen. Auch wenn sie bei Wahlen am Ende gescheitert sind, heißt das nicht, dass ihr Ansatz falsch ist.
Man sollte sich nicht vor Macht sowie rhetorischer und politischer Zuspitzung drücken. So ein Linkspopulismus lernt aus Niederlagen: In Frankreich hat es Mélenchon nach der Präsidentschaftswahl 2017 geschafft, die Linke für die Parlamentswahl in diesem Jahr zu vereinen. In Deutschland fehlt außerdem eine starke Kultur- und Medienlandschaft, die politische Bewegungen von links begleitet.
"Die deutsche Linke kann viel von Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders lernen."
Es existieren zwar linksliberale Zeitungen und linke Verlage, aber kein lebendiges kulturelles Umfeld wie zum Beispiel in den USA in sozialen Netzwerken und auf Youtube. Es gibt zu wenige Medien, die sich klar politisch äußern und nicht versuchen, hinter einer Pseudoneutralität zu verdecken, wofür sie eigentlich stehen. So etwas würde helfen, eine politische Bewegung, die die Menschen wirklich erreicht, überhaupt erst möglich und denkbar zu machen.
Dass das bisher nicht passiert, liegt zum einen auch daran, dass ein großer Teil der Linken nach dem Erfolg der 68er-Bewegung ein bisschen gesättigt von sich selbst war. Man wurde Teil des Mainstream-Diskurses und da kam dann nicht mehr so viel Widerständiges. Zum anderen gab und gibt es aber auch große Konzerne, die linke Alternativmedien eher verdrängen. Da ist es dann schwierig, andere Akzente zu setzen.
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