Demonstranten und Abgeordnete wollen die Demokratie schützen, die sie durch die AfD und Akteure der sogenannten Neuen Rechten bedroht sehen. Correctiv enthüllt weitere Details zu dem Treffen in Potsdam. Die Bundesinnenministerin fühlt sich an die NS-Ideologie erinnert.
Eine Woche nach ersten Berichten über ein Treffen von rechten Aktivisten mit Politikern von AfD und CDU in Potsdam formiert sich im Bundestag und auf der Straße breiter Widerstand gegen die dort vorgetragenen Pläne zur Migrationspolitik. Das Medienhaus Correctiv enthüllte unterdessen weitere Details zu der Zusammenkunft am 25. November.
"Die AfD will Millionen Menschen aus der Mitte unseres Landes, aus Deutschland, vertreiben", warnte SPD-Chef
Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, sagte
Anlass der Aktuellen Stunde war das Treffen am 25. November in einer Potsdamer Villa, über das das Medienhaus Correctiv berichtet hat. Daran hatten mehrere AfD-Politiker teilgenommen sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte dort nach eigenen Angaben über "Remigration" gesprochen. Wenn Rechtsextremisten diesen Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.
Kuhle: "Es geht doch längst nicht mehr um die Koalition"
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, nannte die Zusammenkunft einen kleinen, privaten "Debattierklub". Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), sagte, dass die AfD in bundesweiten Wählerumfragen aktuell den zweiten Platz belege, sei auch das Ergebnis der schlechten Regierungsarbeit der Koalition von SPD, Grünen und FDP. Er warf den Ampel-Partnern vor, dass sie "an den Bedürfnissen der Menschen vorbeiregieren".
Kuhle hielt ihm entgegen: "Es geht doch längst nicht mehr um die Koalition." Es gehe vielmehr darum, ob alle demokratischen Kräfte bereit seien, die aktuellen Gefahren für die Demokratie gemeinsam zu bekämpfen. Er appellierte an die Politikerinnen und Politiker der Union: "Wir alle sitzen in einem Boot als demokratische Parteien."
Demos gegen Rechtsextremismus in vielen deutschen Städten
In Hamburg, Stuttgart, Halle, Erfurt, Dortmund, Karlsruhe und weiteren deutschen Städten sind in den kommenden Tagen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus geplant.
Laut Correctiv soll der früher in der rechtsextremistischen Identitären Bewegung aktive Mario Müller bei dem Treffen in Potsdam über seinen "Kampf gegen die Linke" gesprochen haben. Müller ist Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt. Müller bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass er bei dem Potsdamer Treffen "Düsseldorfer Forum" anwesend war und dort "über journalistische Recherchen zum Thema Linksextremismus gesprochen" habe. Mehrere konkrete Vorwürfe aus der Correctiv-Recherche wies er auf Anfrage zurück. AfD-Partei- und Fraktionschef
Am Mittwochabend präsentierte Correctiv das Material aus der investigativen Recherche im Rahmen einer szenischen Lesung im Berliner Ensemble. Dabei ging es vor allem um Müller, der laut Correctiv bei dem Treffen von etwa 20 bis 30 Personen in Potsdam über eine Strategie gegen linke Aktivisten gesprochen haben soll.
Müller erklärte dazu der dpa: "Gewalt lehne ich aus Überzeugung ab." Er habe "an besagtem Tag in meiner Tätigkeit als freier Journalist gesprochen und lediglich am Rande erwähnt, Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten zu sein." Er sei nicht als Vertreter der Identitären Bewegung bei dem Treffen gewesen. "Ich schätze die gewaltfreien und kreativen Aktionen der Identitären Bewegung zwar nach wie vor sehr, aber übe dort keine Funktion mehr aus."
Chrupalla: "Wir lehnen politische Gewalt in jeder Form ab"
Auch AfD-Chef Chrupalla betonte: "Wir lehnen politische Gewalt in jeder Form ab. Herr Müller ist kein Mitarbeiter der Bundestagsfraktion oder Bundespartei und auch kein Parteimitglied." Der Abgeordnete Schmidt kritisierte Correctiv und deren Art und Weise, "ein privates Treffen von einer Handvoll Oppositioneller auszuspionieren". Er überwache nicht die Freizeitaktivitäten seiner Mitarbeiter. "Herr Müller ist kein Mitglied der AfD und wird auch keins werden", erklärte Schmidt. "Er hat keinen Zugang zu Verschlusssachen oder dergleichen."
Die AfD hatte nach den ersten Veröffentlichungen zu dem Potsdamer Treffen vergangene Woche entschieden, einen Vertrag mit Roland Hartwig aufzulösen, der daran teilgenommen hatte. Hartwig ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter der AfD. Der Jurist war zuletzt Berater Weidels. Zweck des Treffens soll auch gewesen sein, Spenden für rechte Aktivitäten zu sammeln.
Im Berliner Ensemble lasen Schauspieler die Ergebnisse der Recherche mit verteilten Rollen. Dabei wurde etwas klarer, wie Correctiv an die Informationen gelangte. Unter anderem mietete das Medienhaus nach eigenen Angaben ein Saunaboot und fotografierte von dort aus mit einem Teleobjektiv die Villa. Zudem filmte eine Person mit einer Uhr im Inneren des Gebäudes. Die Journalisten bezogen sich ferner auf "Gedächtnisprotokolle" von Teilnehmerinnen oder Teilnehmern.
Wagenknecht kennt den Organisator des Potsdamer Treffens
Während in Berlin die Vorstellung lief, machte die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" bekannt: Sie hatte nach eigenen Angaben mehrmals Kontakt zum Veranstalter des Treffens, ohne dessen politischen Hintergrund zu kennen. "Der hat mir vor Jahren mal ein Abendessen mit einem linken deutschen Kabarettisten vermittelt", erläuterte Wagenknecht. "Also das heißt, ich war überhaupt nicht bösgläubig, dass der aus der rechten Szene kommt." Es geht um einen ehemaligen Zahnarzt aus Düsseldorf, der Correctiv bestätigt hatte, er sei "alleiniger Veranstalter" des Treffens in einer Potsdamer Villa gewesen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte in Bezug auf das Treffen in Potsdam: "Was wir hier sehen, ist nicht geschichtsvergessen, sondern verfolgt bewusst NS-Ideologie." Wer dafür sorgen wolle, dass Menschen wegen ihrer Herkunft oder politischen Einstellung Deutschland verlassen, verstoße gegen die Verfassung, betonte Faeser. Dass AfD-Vertreter an dem Treffen teilgenommen hätten, zeige, wie sehr diese Partei mit so einer Denkweise verbunden sei. (Verena Schmitt-Roschmann und Anne-Béatrice Clasmann, dpa/tas)
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