19 der 100 Milliarden Euro des Sondervermögens der Bundeswehr sind ausgegeben. Knapp 80 Prozent sind verplant. Von der Kriegstüchtigkeit ist Deutschland noch weit entfernt.
Deutschland ist weit entfernt von Kriegstüchtig- oder Wehrfähigkeit. Es fehlt an Munition, Panzern, persönlicher Ausrüstung, Kampfflugzeugen, Waffen, Soldaten und an allem, was es für eine wehrfähige Armee braucht. Doch die Regierung tut einiges dafür, um die Mängel zu beheben.
"Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind", das hatte
100 Milliarden Euro Sondervermögen, um die Unterfinanzierung des Militärs aufzufangen. Mittlerweile sind knapp 80 Prozent des Sondervermögens verplant, heißt es aus dem Verteidigungsministerium, 19 Milliarden bereits ausgegeben. Und trotzdem ist es unklar, wann die Bundeswehr in der Lage sein wird, im Kriegsfall zu kämpfen.
Wehrfähig frühestens in einigen Jahren
Denn es dauert in den meisten Fällen noch Jahre, bis die Panzer, Waffen, Schiffe und Flugzeuge bei der Truppe ankommen. Ein Beispiel: Die 35 hochmodernen F-35-Mehrzweckkampfflugzeuge, für die im Sondervermögen 8,3 Milliarden Euro vorgesehen und die schon bestellt sind, kommen, so heißt es aus Kreisen des Koblenzer Beschaffungsamtes, frühstens im Jahr 2026. Sie ersetzen dann zum Teil das Kampfflugzeug Tornado, das ab 2030 nicht mehr genutzt wird. Zusammen mit 138 Eurofightern sollen sie das Rückgrat der deutschen Kampfflugzeugflotte bilden.
Betrachtet man das im europäischen Vergleich, fällt auf, dass Deutschland deutlich weniger F-35-Maschinen bestellt als andere europäische Verbündete. So orderten Großbritannien 138, Italien 90, Finnland 64, die Niederlande 58 und Norwegen 52 Stück. Wenn die Bundeswehr nicht riskieren will, erhebliche Fähigkeiten bei der Fliegerei einzubüßen, benötige sie mindestens weitere 35 Exemplare, schreibt Zeit Online.
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Mit dem Sondervermögen sollen sogenannte "Fähigkeitslücken" der Bundeswehr geschlossen werden. So werden Ausstattungsmängel genannt. Ausstattungsmängel wie es sie beispielsweise auch bei Kampfhubschraubern gibt, weshalb 82 Kampfhubschrauber des Typs H145M mit entsprechenden Fähigkeiten geordert worden sind. Elf Monate nach der Vertragsunterzeichnung zwischen der Bundeswehr und Airbus Helicopters ist das erste Modell im November 2024 geliefert worden. Am Standort Donauwörth wird es zur Ausbildung der Piloten genutzt. Die erste Auslieferung von Kampfhubschraubern, die auch für den Verteidigungsfall und den Kampf vorgesehen sind, ist vertragsgemäß für 2025 vorgesehen. Insgesamt sind dafür 2,6 Milliarden Euro vorgesehen.
Mit Beispielen wie diesen kann man lange weiter machen: Vier Patriot-Feuereinheiten für 1,4 Milliarden Euro sollen bis 2029 geliefert werden; 400 Patriot-Lenkflugkörper für 2,4 Milliarden Euro sollen zwischen den Jahren 2027 und 2033 ankommen; 50 Puma-Schützenpanzer für 1,5 Milliarden Euro sollen 2027 kommen. Es geht weiter mit Überschneefahrzeugen der neuen Generation, Nebelhandgranaten, digitalen Funkgeräten oder zwei neuen Satelliten für 4,7 Milliarden Euro, die spätestens 2029 im All sein sollen.
Zwei Jahre, bis man starten kann
Allen Projekten ist eins gemeinsam: Sie sind mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Koblenzer Beschaffungsamtes erklärt es so: "Man braucht mindestens zwei Jahre, bis die formalen Voraussetzungen für haushaltsreife Rüstungsprojekte erfüllt sind." Denn erstmal müssten die Soldaten das Anforderungsprofil der neuen Ausrüstung definieren. Erst wenn klar ist, welche Fähigkeiten die Geräte haben müssen, kann man sich auf dem Markt umschauen, das Projekt in den Haushalt einbringen, das Ausschreibungsverfahren durchlaufen, Verträge verhandeln und die Entwicklung und Beschaffung beauftragen.
Um der Bürokratie Herr zu werden, hat man sich in den vergangenen zwei Jahren um vereinfachte Verfahren bemüht. Während vor der "Zeitenwende" sämtliche Verfahren, die mehr als 25 Millionen Euro gekostet haben, bis zur Genehmigung durch den Bundestag viel Zeit gefressen haben, hat man sich mittlerweile, etwa bei Folgebestellungen von Munition, auf ein vereinfachtes Verfahren geeinigt. Das spare sehr viel Zeit, sagt der ehemalige Mitarbeiter. Und die Rüstung nimmt Fahrt auf: Erst kürzlich wurden 38 dieser 25-Millionen-Vorlagen im Wert von 21 Milliarden Euro beschlossen.
Doch Geld fehlt trotzdem. Da etwa 70 Prozent des Kernhaushaltes im Jahr schon für überjährige Projekte verplant sein, habe man nur noch einen geringen Handlungsspielraum für neue Rüstungsprojekte. In dem Sinne habe das Sondervermögen der Bundeswehr sehr geholfen.
Während Deutschland in diesem Jahr das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllt, könnte das vorbei sein, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist. Wenn Deutschland seine Nato-Zusagen weiter einhalten will, fehlen in wenigen Jahren fast 30 Milliarden Euro im Haushalt. Woher das Geld kommen soll, weiß bisher kein Mensch. Derzeit umfasst der Verteidigungsetat knapp 52 Milliarden Euro. 80 Milliarden müssten es aber sein.
Keine Munition, keine Erfahrung, keine Soldaten
Um die Bundeswehr "wehrfähig" zu machen, brauche es für die Waffensysteme auch ausreichend Munition. Wehrfähig bedeute nämlich, dass man sich über einen längeren Zeitraum wehren kann, nicht bloß für eine kurze Dauer. Wenn man nach einer Woche keine Munition mehr habe, sei man trotz Waffen und solider Ausbildung nicht mehr wehrfähig. Das Verteidigungsministerium teilt mit, dass man mit dem Sondervermögen auch begonnen habe, die Munitionsvorräte aufzustocken. Ein Großteil der Munition der Bundeswehr geht derzeit an die Ukraine. Mit der Aufstockung möchte man das kompensieren.
Apropos Ukraine: Deutschland lernt viel von den Einsätzen in der Ukraine. Die Bundeswehr sei als "Friedensarmee für den scharfen Schuss lediglich auf Übungsplätzen" unterwegs, sagt der ehemalige Mitarbeiter. "Was bei uns in einem Jahr aus den Haubitzen rausgeht, das verschießt die Ukraine in einer Woche." Um die Bundeswehr wehrfähig zu machen, müssten die Übungen realistischer gestaltet werden. Von den intensiven Kampfeinsätzen in der Ukraine wisse man beispielsweise, dass die Rechencomputer der Panzerhaubitze 2000 im Dauereinsatz zu heiß werden. Die Ukraine hätte deswegen provisorisch zusätzliche Lüfter eingebaut. Solche Erkenntnisse gilt es zu sammeln, auszuwerten und vom deutschen Hersteller in zukünftigen Konstruktionsständen einfließen zu lassen.
Ein weiterer Punkt, an dem gearbeitet werden müsse, ist die Anzahl an Soldaten. Wehrfähigkeit bedeutet auch, genügend Soldaten zu haben. Dieser Tage hat die Bundeswehr gut 180.000 aktive Soldaten und 34.000 Reservisten. Zum Vergleich: In der Ukraine stehen 2,1 Millionen ukrainische Soldaten gut 3,3 Millionen russischen Soldaten gegenüber. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 ist man nicht in der Lage eine kampffähige Reserve aufzubauen. Im Falle eines Krieges ist man dementsprechend stark auf die Nato-Partner angewiesen.
Verwendete Quellen
- bundesfinanzministerium.de: Haushaltsrechnung des Bundes 2023 Band 2
- Bundesministerium der Verteidigung: IRIS-T, Meteor und Patriot: Parlament genehmigt Lenkflugkörper-Beschaffung
- Bundesministerium der Verteidigung: Bundestag bewilligt weitere 38 Beschaffungsvorhaben für die Bundeswehr
- Bundesministerium der Verteidigung: Luftverteidigung: Beschaffung von Patriot-Systemen und Lenkflugkörpern
- mdr.de: Union will steigende Verteidigungsausgaben durch Bürgergeldreform finanzieren
- merkur.de: Verschleiß statt Feindbeschuss: Deutsche Haubitze macht Ukraine-Armee viel Ärger
- militaeraktuell.at: Airbus & Lockheed: Italien will mehr F-35 & Eurofighter
- militaeraktuell.at: Lockheed Martin: Niederlande stockt F-35A-Bestellung auf
- flugrevue.de: Erste H145M an die Bundeswehr ausgeliefert
- flugrevue.de: F-35 übernimmt QRA-Dienst in Norwegen
- reuters.com: Finland orders 64 Lockheed F-35 fighter jets for $9.4 bln
- truppendienst.com: Großbritannien: Doppelt so viele F-35
- zeit.de: Was für die Bundeswehr bestellt wurde – und was ihr noch fehlt
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