Viel wird über den abnehmenden gesellschaftlichen Zusammenhalt geklagt. Folgen seien Polarisierung und abnehmende Empathie für andere. Kann eine allgemeine Dienstpflicht für junge Leute helfen? CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer meint: ja.

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Annegret Kramp-Karrenbauer hat ihre Überlegungen zu einem allgemeinen Dienstjahr für Schulabgänger am Donnerstag verteidigt. Zum Auftakt eines sogenannten Werkstattgesprächs ließ die CDU-Chefin in Berlin allerdings offen, ob diese Dienstzeit verpflichtend oder freiwillig sein sollte.

Wenn es freiwillig sein sollte, müsse man auch darüber nachdenken, mit welchen Anreizen diese Freiwilligkeit gefördert werden könne, und was das kosten würde, machte sie deutlich.

Die Idee hat durchaus viele Sympathisanten. Doch sie lässt sich nicht leicht umsetzen. Wollte man für Jugendliche - Jungen wie Mädchen - nach ihrer Schulzeit ein Jahr allgemeiner Dienstpflicht für gemeinnützige Tätigkeiten einführen, wäre sicherlich eine Grundgesetzänderung nötig.

Denn die Verfassung schließt nach leidvoller historischer Erfahrung aus, dass irgendjemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden kann. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:

Was ist die Idee hinter einem verpflichtenden sozialen Jahr?

Nach dem Aus der Wehrpflichtarmee, die als bürgernah galt (Stichwort: Bürger in Uniform), und damit des Zivildienstes im Jahr 2011 wurde der Bundesfreiwilligendienst eingeführt.

Der zählt nach Angaben des Bundesjugendministeriums zur Zeit jährlich mehr als 40.000 Absolventen, darunter nicht nur Jugendliche. Grundidee ist ein freiwilliges Engagement für die Gesellschaft, eine Stärkung der Bürgergesellschaft und damit eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes.

Junge Menschen müssen also nach ihrer Schulzeit keinen Wehrdienst und damit auch keinen Zivildienst mehr machen, alles ist freiwillig. Immer mal wieder kommt die Frage hoch: Kann man den durchaus lobenswerten freiwilligen Einsatz für die Gesellschaft zur Pflicht machen?

Dadurch könnten alle jungen Menschen nach der Schule zur gemeinnützigen Arbeit, sei es im sozialen, im ökologischen oder im kulturellen Bereich, für die Gesellschaft herangezogen werden.

Was spricht gegen eine allgemeine Dienstpflicht?

Das Grundgesetz. Nach den Erfahrungen von Zwangsarbeit in der Nazizeit haben die Verfasser in Artikel 12 festgeschrieben: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht."

Gestritten wird nach einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung vom September 2018 über die Deutung von "herkömmlich".

Kann das Grundgesetz entsprechend geändert werden?

Ja, kann es. Dazu wäre in Bundestag und Bundesrat jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Diese ist derzeit nicht absehbar. Die Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung schlägt als Optionen vor, die Einschränkung "herkömmlich" in Artikel 12 zu streichen oder den Artikel entsprechend zu erweitern oder - angesichts der Bedeutung für das Gemeinwesen - einen eigenen Grundgesetz-Artikel für die allgemeine Dienstpflicht einzuführen.

"Die Dienstpflichten dürften die betroffenen Männer und Frauen nicht unverhältnismäßig belasten, ihren unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit nicht verletzen", so die Analyse.

Gibt es allgemeine Dienstpflichten in anderen EU-Staaten?

Im Sinne der von der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer anvisierten Form eher nicht. Alle Staaten tun sich schwer mit einer solch umfassenden Verpflichtung jenseits der Wehrdienste. Denn ein Verbot von Zwangs- oder Pflichtarbeit ist auch europa- und völkerrechtlich geregelt.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt 2016 zu dem Schluss: "Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in Deutschland - sei es durch einfaches (Bundes-)Gesetz oder durch eine Verfassungsänderung ... - würde ... gegen das Verbot der Zwangsarbeit" nach der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verstoßen.

Kramp-Karrenbauer lobte aber vor einigen Monaten den geplanten Pflichtdienst für junge Franzosen als "spannendes Modell". Die Einführung des "Service National Universel" sollte Ansporn sein, auch in Deutschland weiter über einen Dienst für die Gesellschaft zu sprechen, sagte sie damals dem Nachrichtenportal t-online.de.

Junge Franzosen sollen künftig einen insgesamt einmonatigen Pflichtdienst ableisten, mit dem die Regierung den sozialen Zusammenhalt stärken will. Der "Universelle Nationaldienst" soll im Alter von etwa 16 Jahren anstehen und den Angaben zufolge den Kontakt zwischen Franzosen aus unterschiedlichen Regionen und Schichten fördern. (dpa/fte)

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