Das Oberste Verwaltungsgericht in Frankreich hat am Freitagnachmittag das Burkini-Verbot an französischen Stränden vorerst gestoppt. In der Begründung hieß es, es stelle eine ernsthafte und illegale Verletzung der Grundfreiheiten dar. Zuvor hatte der Einsatz von vier Polizisten am Badestrand von Nizza internationale Wellen geschlagen. Eine Frau musste vor Ort ihre Verschleierung ablegen. Auch in Deutschland wird über ein Verbot der Verschleierung debattiert. Doch worum geht es dabei eigentlich? Eine Zusammenfassung.
Welche Arten der Verschleierungen gibt es?
Zunächst einmal muss zwischen den unterschiedlichen Verschleierungen unterschieden werden, die in der Diskussion stehen. Der Hidschab ist ein Kopftuch, das mal locker, mal eng um den Kopf gebunden wird. Viele gläubige Muslima sehen es als ihre religiöse Pflicht an, dieses Tuch zu tragen. Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen, je nach Auslegung der entsprechenden Suren im Koran. Der Al-Amira ist ein Zweiteiler und besteht aus Kopf- und Schultertuch. Der Chimar ist ein langer Schleier. Er reicht bis zur Taille und wird in verschiedenen Farben getragen.
Der Tschador ist ein bodenlanger, dunkler Umhang, der vor allem im Iran getragen wird. Er verhüllt Körper und Kopf, das Gesicht bleibt frei. Der Niqab, der oft mit der Burka verwechselt wird, bedeckt auch das Gesicht, es bleibt jedoch ein kleiner Sehschlitz frei.
Die Burka ist eine Art Überwurf mit engmaschigem Augengitter, der den Körper vollständig bedeckt. Die Burka ist keine traditionell islamische Bekleidung. Das umstrittene Gewand ist in Afghanistan und Pakistan weit verbreitet.
Was ist ein Burkini und wofür wurde er entworfen?
Der Burkini ist eine Wortkreuzung aus "Burka" und "Bikini" und wurde 2004 als Badeanzug für Musliminnen erfunden. Er hat eine integrierte Kopfbedeckung und erfüllt die Anforderungen eines Hidschab. Entworfen hat ihn Aheda Zanetti, eine Australierin libanesischer Abstammung. Der Burkini soll muslimischen Frauen unter anderem eine leichtere Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen.
Was haben Kritiker gegen die Verschleierung?
Gegner in Deutschland argumentieren: Verschleierung gehöre nicht zur deutschen Kultur, die Musliminnen sollten sich also anpassen. Die Burka sei zudem ein Symbol der Unterdrückung der Frau und raube der Trägerin ihre Menschenwürde. Schuld sei angeblich die Religion, also der Islam.
Juliane Hammer, Professorin und Islamwissenschaftlerin an der University of North Carolina, erklärte dagegen in einem Interview mit "ZEIT Campus": "Die Unterdrückung der Frau ist fast immer ökonomisch begründet. Ein weiterer Grund ist die Kontrolle der Sexualität, die es im Westen in anderen Formen auch gibt. Religion ist nie der einzige und auch nicht der bestimmende Faktor für Gender-Rollen."
Wo dürfen sich Musliminnen in Deutschland nicht verschleiern?
Das wird im Einzelfall entschieden, so wie jüngst geschehen am vergangenen Dienstag. Da hatte das Verwaltungsgericht Osnabrück einer 18-jährigen Schülerin verboten, mit einem Niqab am Unterricht im Abendgymnasium teilzunehmen. Da der Beschluss noch nicht rechtskräftig ist, kann die junge Frau nun Beschwerde bei der nächsthöheren Instanz, dem Oberverwaltungsgericht, einlegen. Meistens geht es bei der Diskussion jedoch um Jobs im öffentlichen Dienst.
Geht es nach dem Willen der Unions-Innenminister, sollen sich Musliminnen in Gerichten, Ämtern, Schulen oder im Straßenverkehr grundsätzlich nicht mehr voll verschleiern dürfen. Die Burka passe nicht zu Deutschlands freiheitlicher Rechtsordnung und widerspreche demonstrativ der Gleichberechtigung von Mann und Frau, wird CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt in den "Westfälischen Nachrichten" zitiert.
Wer sieht keine Rechtfertigung für ein generelles Verschleierungsverbot?
Neben vielen Musliminnen zum Beispiel die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Gegenüber der "Neue Osnabrücker Zeitung" erklärte Ilka Hoffmann aus dem GEW-Hauptvorstand, ein Verbot sei der "vollkommen falsche Weg". Frauen dürften nicht von Bildung ausgeschlossen werden, weil sie Burka oder Niqab tragen. Schule sei für vollverschleierte Mädchen aus streng konservativen islamischen Haushalten oft die einzige Möglichkeit, Kontakt zu Gleichaltrigen aufzunehmen.
Dr. Stephan Millich, Islamwissenschaftler am Orientalischen Seminar der Uni Köln, erklärte im Gespräch mit unserer Redaktion: "Aus meiner Sicht gibt es keine Rechtfertigungen für restriktive Kleiderverbote für muslimische Frauen, da dadurch noch mehr der medial und diskursiv konstruierte Besonderheitsstatus des Islams weiter verstärkt wird." Den Kampf um den Schleier hätten europäische Kolonialmächte im 19. und 20. Jahrhundert begonnen, als sie gewaltvoll in fremde Gesellschaften wie Ägypten oder Syrien eingriffen, um dortige soziale Strukturen für ihre Interessen zu verändern.
"Jeder, der heute Gesetze fordert, die die Bekleidung von Frauen restriktiv ändern sollen, muss sich darüber bewusst sein, dass er in einer kolonialen Tradition steht. Diese zählt zu den größten Menschheitsverbrechen, wirkt nachhaltig und fällt gerade, wie es aussieht, auf die ehemaligen Kolonialmächte in Europa zurück", sagt Millich.
Das Grundgesetz schützt Religionsfreiheit
Generell gilt: In Deutschland ist die Religionsfreiheit per Grundgesetz geschützt. Darunter fällt auch das Tragen einer Burka oder eines Niqab. In Artikel 4 des Grundgesetzes heißt es: "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Christian Kirchberg ist daher ein generelles Verschleierungsverbot nicht machbar, äußerte er sich kürzlich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen in einigen Bundesländern hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im vergangenen Jahr gekippt (Az.: 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10).
Die jüngste Bekanntgabe des höchsten französischen Verwaltungsgerichts dürfte nun eine Veränderung in der Diskussion um Verschleierungsverbote nach sich ziehen – auch in Deutschland.
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