In vielen EU-Staaten sind die Europa-Kritiker in den vergangenen Jahren stärker geworden. Donald Trump, der am Freitag als neuer Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird, unterstützt diese Bewegung und bricht damit mit einer außenpolitischen Leitlinie der USA. Doch was sind seine Beweggründe?
Der künftige US-Präsident
Schon im Wahlkampf outete sich Trump als Fan europaskeptischer Kräfte: Er ließ den britischen Nationalisten Nigel Farage auf einer Wahlkampfveranstaltung auftreten. Farage war auch einer der ersten, den Trump nach seinem Wahlsieg empfangen hat.
Nach Trumps wellenschlagendem Interview mit der "Bild" und der englischen "Times" dürften sich solche Strömungen von den Niederlanden über Frankreich bis Polen und Ungarn gestärkt fühlen - zumal er mit weiteren EU-Austritten rechnet. Warum unterstützt Trump diese Bewegung? Was verspricht er sich davon? Und was für Konsequenzen ergeben sich daraus für die EU?
Donald Trump hat nationale Interessen im Mittelpunkt
Frei nach Trumps Wahlkampf-Motto "America first" stelle er "nationale Interessen in den Mittelpunkt", sagt Prof. Thomas Jäger von der Universität Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. "Und das ist genau die Denkweise, mit der er die Europäische Union betrachtet."
Trump habe das Selbstverständnis der EU als Integrationsgemeinschaft nicht verstanden. Er sehe in ihr ein Gebilde, in dem jeder Staat versuche, seine Interessen durchzusetzen, so Jäger. Aus Trumps Sicht sind das vor allem wirtschaftliche. "Wenn ein Staat das außerhalb der EU besser kann - wie es die Briten behaupten - dann unterstützt Trump das", erklärt der Lehrstuhlinhaber für Internationale Politik und Außenpolitik.
Der Historiker Prof. Dirk van Laak von der Universität Leipzig sieht in Trumps Unterstützung nationalstaatlicher Tendenzen eine Einlösung von Wahlversprechen. "Alle, die etwas von den globalen Verflechtungen verstehen, fröstelt es dabei natürlich", sagt der Lehrstuhlinhaber für Deutsche und Europäische Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts unserer Redaktion. Ob dahinter tatsächlich eine Strategie stecke, sei vor seinem eigentlichen Amtsantritt und den ersten politischen Handlungen allerdings noch offen.
Einige Tendenzen lassen sich aus Trumps bisherigen Aussagen trotzdem erkennen. So drängt sich im aktuellen Interview der Eindruck auf, Trump wolle jeden gegen jeden ausspielen: die EU gegen die USA, Deutschland gegen den Rest der EU ("Im Grunde genommen ist die Europäische Union ein Mittel zum Zweck für Deutschland"), Deutschland gegen Merkel, Großbritannien gegen die EU und die Nato-Staaten untereinander (nicht alle Nato-Mitglieder würden das zahlen, "was sie zahlen müssen").
"Die naheliegende Schlussfolgerung ist für EU und Nato äußerst beunruhigend", analysiert Markus Becker auf "Spiegel Online". "Verbündete scheint es in der Welt des Donald Trump nicht zu geben, sondern lediglich Konkurrenten." Demnach setzt er wohl darauf, mit schwächeren Einzelstaaten "bessere Deals" für die USA auszuhandeln. Und genau das sei ja seine Stärke.
Zangengriff durch USA und Russland
Thomas Jäger erklärt zudem: "Wenn hinter Trumps jetzigen Aussagen tatsächlich eine ideologische Ausrichtung steckt, würde das die EU in einen Zangengriff durch die USA und Russland nehmen." Die Zeiten einer stabilen und verlässlichen transatlantischen Partnerschaft könnten vorerst der Vergangenheit angehören.
Auch die russische Regierung, der Trump offen seine Sympathien bekundete, hat ein Interesse an einer Schwächung der EU und unterstützt eurokritische Kräfte wie den Front National in Frankreich.
Nach wie vor ist aber unklar, wie wörtlich und ernst man Trumps Worte nehmen muss, ob seine Minister so eine Politik mittragen, ob daraus tatsächlich eine dauerhafte politische Haltung erwächst.
Experte: Europa soll sich auf Stärken besinnen
Wie könnten die EU und die pro-europäischen Kräfte nun auf Trumps Worte reagieren? "Vielleicht sollte man ihm mit klaren Aussagen entgegentreten. Aber wer in Europa sollte das tun?", fragt Historiker Dirk van Laaken. "EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker?
Die EU sollte sich vielmehr selbstbewusst auf ihre Stärken besinnen. "Sie ist ökonomisch stärker als die USA, der Euro liegt höher im Kurs. Es gibt viele handfeste Argumente, sich jetzt nicht erschüttern zu lassen."
Thomas Jäger ist sicher, dass Trump trotz seines noch nicht vorhandenen Regierungsprogramms um seine Ziele gegenüber den Europäern wisse. "Er will mehr Unterstützung, mehr Geld, mehr Gefolgschaft - für das, was er gibt. Da müssen sich die Europäer fragen, welche Hebel sie ansetzen können, um Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik zu nehmen", sagt Jäger. Die Möglichkeiten seien allerdings begrenzt.
Hebel werden die Europäer aber nur ansetzen können, wenn sie mit einer Stimme sprechen. In einer EU der 28 ist das freilich schwierig, das zeigen Vergangenheit und Gegenwart. Und mit einem US-Präsidenten, der nationale Tendenzen in der EU fördert, könnte das noch schwieriger werden.
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