Mehr als die Hälfte der Regierungszeit der Ampel ist bereits rum. Hat sie geliefert, was sie versprochen hat? Und was kommt noch in den gut eineinhalb Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl?
Beinahe wäre es eine Bundestagswoche ohne einen einzigen Gesetzesbeschluss geworden. Quasi kurz vor Toresschluss setzte die Ampel-Koalition dann doch mehrere Themen zur finalen Abstimmung auf die Tagesordnung. Ist die selbsternannte Fortschritts-Koalition rund eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl zur Stillstands-Koalition geworden? Das zumindest wirft die oppositionelle Union der Ampel gerne vor. Oder haben SPD, Grüne und FDP die großen Brocken einfach schon abgearbeitet – und eher ein Kommunikations- als ein Fleißproblem?
Scholz glaubt an 90-Prozent-Zielerfüllung
Für Bundeskanzler
Es wäre eine verdammt gute Bilanz – jedenfalls verglichen mit den Vorgängerregierungen. Nach einer Auswertung der Bertelsmann-Stiftung setzte die große Koalition von
Die Ampel-Koalition hatte laut Bertelsmann-Stiftung schon zur Halbzeit knapp zwei Drittel (64 Prozent) ihrer Vereinbarungen umgesetzt oder auf den Weg gebracht. Läuft demnach alles super für SPD, Grüne und FDP? Das würde wohl kaum ein Beobachter des Berliner Politikbetriebs gerade mit Ja beantworten.
Große Ampel-Projekte hängen in der Pipeline
Stichwort Kindergrundsicherung, eines der Prestigeprojekte aus dem Ampel-Koalitionsvertrag. Schon vor dem Kabinettsbeschluss gab es viel Hin und Her – damals ging es ums Geld. Jetzt, Monate später, liegt ein Gesetzentwurf im Parlament, doch die Personalvorstellungen von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) sorgen für Zoff vor allem zwischen den Grünen und der FDP. Umsetzung zum 1. Januar 2025? Mehr als fragwürdig.
Zudem gibt es seit Monaten Verhandlungen über ein Solarpaket und eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Von der FDP blockiert sind Beschränkungen für an Kinder adressierte Werbung für ungesündere Lebensmittel. Die vorgesehenen Erleichterungen beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus stehen ebenfalls aus. Hinter den Kulissen ist zu hören, dass dieses Vorhaben erst einmal zurückgestellt wurde, weil die Kommunen mit der Versorgung und Integration der Ukraine-Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber schon alle Hände voll zu tun haben.
Grüne und SPD regt auf, dass Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lange keine Anstalten gemacht hat, das Mietrecht zu verschärfen. Seine Partei glaubt nicht, dass sich die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt mancher Ballungsgebiete damit beheben ließe. Jetzt hat er sich zwar bereiterklärt, die Mietpreisbremse, die sonst Ende 2025 auslaufen würde, bis 2029 zu verlängern. Ausreichend, um Mieter vor überhöhten Mieten zu schützen, ist das aus Sicht der Koalitionspartner aber nicht.
Nach wie vor auf sich warten lässt das vereinbarte Tariftreuegesetz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Laut einer Vorlage vom vergangenen Frühjahr sollten nur noch Arbeitgeber größere Aufträge vom Bund bekommen, die ihre Beschäftigten nach Tariflohn bezahlen. Die Arbeitgeber liefen dagegen Sturm.
Streit zwischen Bund und Ländern
Mit den Ländern verhakt hat sich die Ampel-Regierung etwa bei einer großen Reform zur Neuaufstellung der Krankenhäuser – und beim sogenannten Digitalpakt 2.0. Es geht um die Digitalisierung der Schulen. Ampel und Länder streiten darüber, wer wie viel Geld bereitstellt. Das Bafög hat die Koalition zwar einmal erhöht und auch eine Studienstarthilfe für Studenten aus ärmeren Familien auf den Weg gebracht. Die grundlegende Reform, wie im Koalitionsvertrag verabredet, gab es bisher aber nicht.
Ob das Straßenverkehrsgesetz in dieser Legislaturperiode noch reformiert wird, ist auch völlig offen. Es soll Städten und Gemeinden mehr Spielraum geben, zum Beispiel für die Einrichtung von Busspuren und Tempo-30-Zonen. Es wurde aber vom Bundesrat gestoppt.
Insgesamt hatten die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag am 8. Dezember 2021 auf 141 Seiten 453 Vorhaben aufgeschrieben. Damit nahm sie sich viel vor, deutlich mehr als die Vorgängerregierung mit nicht einmal 300 Projekten. Durch Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation wurde der Berg an Arbeit jedoch noch einmal größer.
Nun bleibt der Regierung nicht mehr allzu viel Zeit, neue Vorhaben in Gang zu bringen. Zwar könnten SPD, Grüne und FDP eigentlich bis zur Sommerpause 2025 noch Gesetze beschließen. Doch bis ein Entwurf durch die Abstimmung der Ressorts, durchs Kabinett, dann durch den Bundestag und den Bundesrat gegangen ist, vergehen mitunter Monate.
Bundesregierung im Wahlkampfmodus
Parallel sind die Ampel-Parteien eigentlich schon im Wahlkampf: erst für die Europawahl im Juni, dann für die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September. Bis zum Jahresende müssen auch die Weichen für die Bundestagswahl gestellt sein: Es gilt nicht nur Spitzenkandidaten zu nominieren, sondern auch Programme zu erarbeiten. Die heiße Wahlkampfphase beginnt dann üblicherweise schon im Frühsommer.
Bis dahin werden die Ampel-Parteien versuchen, ihren Ruf aufzupolieren. Schon zur Halbzeit der Koalition hieß es, eigentlich liefere die Regierung besser ab, als sie öffentlich wahrgenommen werde. Doch im Gedächtnis der Wähler bleibt häufig nicht, was reibungslos klappt, sondern wo sich die Partner verhaken – wo Kompromisse gemacht werden, die am Ende keiner als Erfolg verkaufen kann. Die Außendarstellung zu verbessern, scheint nun dringender als die letzten Prozentpunkte des Koalitionsvertrags zu erreichen. (dpa/the)
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