Wer darf nach Deutschland einwandern? Bei dieser Frage soll in Zukunft ein Punktesystem helfen, das bewertet, ob ausländische Fachkräfte die Voraussetzungen für einen Job in Deutschland erfüllen. Wird Deutschland damit ein attraktiveres Einwanderungsland?
Ein neues Einwanderungsgesetz soll Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiver machen. Das ist angesichts des demografischen Wandels und des sich verschärfenden Fachkräftemangels dringend nötig.
Laut Institut der deutschen Wirtschaft bedroht der Fachkräftemangel den deutschen Wohlstand. Fachkräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Vor allem in technischen und IT-Berufen sind Fachkräfte knapp, aber auch Bildungsgewerkschaften schlagen Alarm, dass die Bildungsqualität durch den Fachkräftemangel massiv bedroht sei.
Deshalb soll das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz die Einwanderung erleichtern - etwa beim Familiennachzug und der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Es enthält auch die Einführung einer sogenannten "Chancenkarte" auf Basis eines Punktesystems. Zu den Kriterien, die bei der Errechnung der Punktzahl berücksichtigt werden, zählen Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug.
Wer genug Punkte hat, bekommt eine Chance
Wer genug Punkte sammelt, darf einreisen und bekommt ein Jahr Zeit, um in Deutschland einen festen Arbeitsplatz zu finden. Damit sich die Jobsuchenden in dieser Zeit finanziell über Wasser halten können, bietet die Chancenkarte in dieser Zeit zudem Möglichkeiten für Probearbeit oder Nebenbeschäftigung.
Kanada hat mit der Chancenkarte gute Erfahrungen gemacht. Allerdings hat Kanada den großen Vorteil, dass dort Englisch und Französisch gesprochen wird, was es für viele Einwanderer einfacher macht, da sie eine dieser Sprachen bereits sprechen. Trotzdem sieht Arbeitsminister Hubertus Heil in Kanada eine Art Vorbild: "Kanada zeigt, wie erfolgreiche Einwanderungspolitik ein Gewinn für Gesellschaft, Wirtschaft und Zugewanderte sein kann."
Neben den Sprachen bietet Kanada weitere Vorteile für Einwanderer. Die Angehörigen erhalten unkompliziert Visa und bereits nach dreijährigem Aufenthalt besteht die Möglichkeit, die kanadische Staatsangehörigkeit zu beantragen.
FDP bremst bei Erleichterung für Einbürgerung
Erleichterungen beim Erwerb der Staatsbürgerschaft sind auch im Einwanderungsgesetz von Arbeitsminister
Die Liberalen sind zwar nicht dagegen, die doppelte Staatsbürgerschaft auch für Nicht-EU-Bürger grundsätzlich zu ermöglichen. Auch die Verkürzung der Mindestaufenthaltszeit im Regelfall von acht Jahren auf fünf Jahre findet ihre Zustimmung.
Bei anderen Voraussetzungen für die Einbürgerung - Sprache und Sicherung des eigenen Lebensunterhalts - wollen die Liberalen jedoch keine Abstriche machen und weniger Ausnahmen zulassen.
Faeser: Deutschland braucht "Willkommenskultur"
Innenministerin Faeser machte klar, dass sie den Zugang zur Staatsbürgerschaft deutlich erleichtern will und dass es an ihr nicht scheitern werde. Fachkräfteeinwanderung und der Erwerb der Staatsbürgerschaft, "das gehört zusammen", betonte sie bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs. An die Adresse der Union sagte die Ministerin, ohne eine "Willkommenskultur", werde Deutschland im Wettbewerb um die klügsten Köpfe das Nachsehen haben.
Experten haben Zweifel, ob das Einwanderungsgesetz mit Chancenkarte Deutschland wirklich attraktiver macht. Holger Bonin, Forschungsdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit, hält die Chancenkarte für zu kompliziert und abschreckend für potenzielle Einwanderer.
Er sagte gegenüber heise.de: "Ich glaube nicht, dass sich unter diesen Bedingungen viele Fachkräfte dafür interessieren. Ich denke eher, dass die Bundesregierung nur unbedingt den Begriff Punktesystem unterbringen wollte, weil er aus Einwanderungsländern wie Kanada oder Australien bekannt ist." Bonin schlägt vor, ganz unbürokratisch ein auf wenige Monate befristetes Visum zur Arbeitssuche einführen, verbunden mit der Möglichkeit zu einer Probearbeit bei potenziellen Arbeitgebern.
Experten: Reform reicht nicht aus
Enzo Weber vom Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, hält eine stärkere Förderung eingewanderter Arbeitskräfte für nötig. Der Staat müsste die Unternehmen dabei unterstützen. "Qualifikation und Sprache sind für die Entwicklung im Arbeitsmarkt sehr wichtig." Wer die nicht erhalte, werde in Deutschland langfristig unter seinen Möglichkeiten arbeiten.
Gemeinsam mit dem Einwanderungsgesetz stellte Arbeitsminister Heil ein Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung vor, das ebenso dem Fachkräftemangel entgegenwirken soll. Eine gesetzlich verankerte Garantie soll möglichst allen jungen Menschen in Deutschland, die das wollen, zu einem Ausbildungsplatz verhelfen - notfalls auch in außerbetrieblichen Einrichtungen.
Fahrkosten und ggf. auch Unterkunftskosten können für Auszubildende übernommen werden. Damit junge Menschen ihr bisheriges Wohnumfeld für eine Ausbildung in einer anderen Region verlassen, können sie einen Mobilitätszuschuss erhalten. Diese Erleichterung bei der Ausbildung gilt allerdings nur für deutsche Staatsbürger.
Verwendete Quellen:
- Material der dpa
- heise.de: Ausländische Fachkräfte: Ist die Chancenkarte eine Chance?
- Institut der deutschen Wirtschaft: MINT-Mangel: Fachkräftemangel bedroht deutschen Wohlstand
- dbb Beamtenbund: Fachkräftemangel bedroht Bildungsqualität massiv
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