Ines Schwerdtner und Jan van Aken sind die neuen Vorsitzenden der Linken. Im Interview erklären sie, wie sie ihre kriselnde Partei wieder aufrichten wollen.
Sie wollen der Neuanfang sein: Ines Schwerdtner und
Die Lage ist düster: Bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg konnte die Linke, die früher einmal als Ostpartei galt, nicht punkten. Stattdessen sind AfD und BSW an ihr vorbeigezogen – für die Genossen nur schwer zu ertragen, ist doch das BSW von abtrünnigen Parteimitgliedern gegründet worden.
Auf dem Parteitag wurde viel Selbstkritik geübt. Und klargemacht: In Zukunft muss sich einiges ändern. Die Neuausrichtung wird die maßgebliche Aufgabe von Ines Schwerdtner und Jan van Aken sein.
Jede Person, die in der aktuellen Lage ihren Hut in den Ring um den Parteivorsitz wirft, ist entweder bekloppt oder meint es ernst, meinte Heidi Reichinnek auf Ihrem Parteitag. Was trifft auf Sie zu, Frau Schwerdtner und Herr van Aken?
Jan van Aken: Sie meint es ernst, ich bin bekloppt.
Ines Schwerdtner: Ich hätte ja gesagt, beide ein bisschen von beidem.
Die Linke steht am Abgrund, wieso denken Sie, dass Sie die Partei retten können?
Schwerdtner: Weil wir eine richtig aktive Basis haben, die bereit ist, für die Partei und die Menschen, für die wir Politik machen wollen, zu kämpfen. Und weil wir die einzige Partei sind, die sich mit den Reichen und Mächtigen anlegt und die wirklich für die Menschen einsteht. Das werden wir in den nächsten Monaten beweisen und wir fangen Montag direkt an: Wir werden ab Montag an über 100.000 Haustüren in Deutschland klopfen und die Menschen fragen, was sie beschäftigt und was sie sich von der Linken wünschen. Die Menschen werden merken: Die Linke ist da, sie ist bei mir zu Hause und sie hört mir zu.
Sie sind für den Parteivorsitz angetreten, weil Sie davon überzeugt sind, dass es eine linke Stimme im Bundestag braucht. Mit SPD und Grüne sitzen zwei linke Parteien aktuell in der Regierung. Wofür braucht es dann noch die Linke?
Schwerdtner: Die würde ich nicht als linke Parteien bezeichnen.
Van Aken: Die SPD holt immer rechtzeitig zum Wahlkampf ihre sozialen Forderungen heraus und stampft sie hinterher wieder ein. Wir wollen ans Eingemachte: Wir fordern einen Mietendeckel, das bedeutet Mieten sollen nicht mehr steigen. Ich würde noch weitergehen und sagen: Grund und Boden gehört nicht in private Hand, sondern in die der Gesellschaft. Schluss mit dem Ausverkauf von Grund und Boden in den Kommunen. Das ist eine sozialistische Idee, sowas finden Sie bei den beiden nicht.
Viele Wähler dürften offen sozialistische Ideen abschrecken.
Van Aken: Es kommt immer drauf an, wie man es benennt. Wenn ich es Nächstenliebe nenne, finden es die Leute total richtig. Wenn ich Sozialismus sage, wird die Schwelle erstmal höher. Aber: In Berlin gab es eine Mehrheit für Enteignungen. Ich hätte davor gedacht, Enteignung schreckt ab, aber den Entscheid haben wir gewonnen.
Schwerdtner: Vieles klingt super radikal, weil wir in den Markt eingreifen wollen. Dabei ist es das Normalste der Welt, dass wir Kontrolle über unsere Energie- und unsere Gesundheitsversorgung haben wollen. Gerade in Zeiten von großen Krisen ist das notwendig.
Wir leben auch in einer Zeit von großen Kriegen. Die Linke ist seit ihrer Gründung eine Friedenspartei. Trotzdem konnten mit AfD und BSW zwei jüngere Parteien Ihnen dieses Thema wegnehmen. Wie ist das passiert?
Van Aken: Die Positionen zum Ukrainekrieg von BSW und AfD sind keine Friedenspositionen, das sind Kreml-Positionen. Das ist ein großer Unterschied. Es reicht nicht zu rufen, dass die Waffen niedergelegt werden sollen. Dann gibt es einen Diktatfrieden. Wir sind die Partei des Friedens und des Völkerrechts, das heißt: Diktatfrieden muss man verhindern.
Und wie?
Van Aken: Wir müssen alle nicht-militärischen Möglichkeiten ausschöpfen. Das ist nicht versucht worden und deswegen bin ich gegen Waffenlieferungen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie dafür?
Van Aken: Direkt zu Ausbruch des Krieges hätten wir sämtliche russische Öllieferungen stoppen müssen, statt dem Kreml die Kriegskassen zu füllen. Das hätte uns zunächst viel Geld gekostet, auf der anderen Seite aber die Kosten-Nutzen-Rechnung im Kreml verschoben. Dann hätten die wahrscheinlich verhandelt. Und dann, im November 2022, war die Ukraine militärisch in der Vorhand. Aus der Friedensforschung wissen wir: Länder verhandeln nur, wenn sie gerade in der Defensive sind. Das wäre also eine Chance gewesen, mit Russland zu verhandeln, und das hätte Deutschland einfordern müssen.
Sie meinen die Offensiven in Cherson und Charkiw. Mittlerweile ist die Situation eine andere – wo sehen Sie jetzt Möglichkeiten abseits der Waffen?
Van Aken: China und Brasilien haben diesen Sommer eine sehr direkte Ansprache an den Westen gemacht: Wir sind bereit, die Verhandlungen zu unterstützen, wenn ihr bereit seid. Aber da kommt gar nichts zurück. Dabei kennen wir auch das aus der Friedensforschung: Wenn der große Verbündete einer Kriegspartei öffentlich für Verhandlungen einsteht, kann man sich dem nicht entziehen. Wenn Xi Jinping sagt, jetzt wird verhandelt, dann wird sich auch Wladimir Putin dem nicht entziehen.
Auch im Nahen Osten herrscht Krieg. Innerhalb der gesellschaftlichen Linken sorgt dieser Konflikt schon immer für Diskussionen und Spaltung. Sie haben auf Ihrem Parteitag einen Antrag zur Position der Linkspartei in diesem Konflikt mit großer Mehrheit beschlossen. Wie bekommt man all die Positionen unter einen Hut?
Schwerdtner: Wir haben es geschafft, eine breite Mehrheit hinter unserem Antrag zu vereinigen. Wir stellen uns sowohl gegen jeden Antisemitismus und fordern die Freilassung aller Geiseln – als auch gegen jeden Völkerrechtsbruch der israelischen Armee. Emotionale Debatten wird es zu diesem Thema trotzdem immer geben.
Ihre Mission ist es, dass die Linke mit einer Stimme spricht und niemand ausschert. Wie wollen Sie das schaffen?
Van Aken: Vertrauen. Wir haben verstanden, dass wir nur eine Chance haben, wenn wir zusammenstehen. Und für den Fall, dass das nicht reicht, habe ich heute gesagt, dass ich sehr klare Ansagen machen werde.
Sie wollen in Ihrem Wahlkampf auch auf Direktmandate setzen: Gregor Gysi hat auf Ihrem Parteitag die "Aktion Silberlocke" angekündigt. Gemeinsam mit Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch will er entscheiden, ob sie einen richtigen Erneuerungsprozess in der Partei erkennen können. Wenn ja, wollen sie für jeweils ein Direktmandat kandidieren. Würde es auch ohne die drei gehen?
Schwerdtner: Die drei haben die große Aufgabe ins Auge gefasst, drei Direktmandate zu holen und damit eine Absicherung für die Partei zu sein. Wir haben aber noch mehr aussichtsreiche Kandidatinnen.
Van Aken: Wir haben systematisch alle Wahlkreise ausgewertet. In sechs Wahlkreisen haben wir gute Chancen, also drei Silberlocken und drei Nicht-Silberlocken.
Im Bundestag soll bald ein AfD-Verbotsverfahren diskutiert werden. Wie stehen Sie dazu?
Van Aken: Ich war immer dagegen, weil das den Rechtsextremismus in den Köpfen nicht bekämpft. Mittlerweile habe ich meine Meinung geändert. Die AfD hat in Thüringen deutlich gemacht: Sie will die Demokratie mit den Mitteln der Demokratie kaputt machen. Sie nutzen die Ämter, die Parteienfinanzierung und all das, um unsere Demokratie anzugreifen. Deswegen müssen wir alle demokratischen Mittel nutzen, um sie zu stoppen.
Geben Sie der Gruppe der Linken im Bundestag diese Position für die Abstimmung mit?
Schwerdtner: Es gibt gute Argumente für und gegen das AfD-Verbot. Es ist total wichtig, dass die rechtliche Prüfung eines Verbotes gemacht wird. Gleichzeitig sagen wir immer, wir müssen die AfD politisch bekämpfen. Wir müssen eine eigene soziale Alternative sein. Wir brauchen eine praktische Politik des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die dem Faschismus den Nährboden entzieht.
Über die Gesprächspartner
- Ines Schwerdtner ist Publizistin und im August 2023 der Linken beigetreten. Sie kandidierte auf Listenplatz fünf für die Europawahl. Weil die Partei aber nur drei Sitze gewann, zog sie nicht ins EU-Parlament ein. Zuvor leitete Schwerdtner das sozialistische Magazin Jacobin und war engagierte sich bei den Initiativen "Deutsche Wohnen und Co enteignen" und "Genug ist genug". Seit dem 19. Oktober ist sie Co-Vorsitzende der Linkspartei.
- Jan van Aken saß bis 2017 für die Linke im Bundestag. Nach zwei Wahlperioden trat van Aken nicht erneut an, weil er sich für eine generelle Begrenzung der Mandatszeit von Abgeordneten ausspricht. Vorher arbeitete der Biologe als Biowaffeninspekteur für die UN. Nach seiner Zeit im Bundestag hat van Aken mehrere Bücher zum Thema Frieden veröffentlicht. Wie Schwerdtner wurde er am 19. Oktober zum Co-Vorsitzenden der Linken gewählt.
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