Die SPD befindet sich in einer angespannten Lage. Die Umfragewerte sind niedrig, die kontroverse Diskussion um die K-Frage bestimmte die Debatte. Dem Parteinachwuchs der SPD passt diese Performance gar nicht, wie Juso-Chef Türmer deutlich macht. Er nimmt sich Parteichefin Esken zur Brust.

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Der Applaus, mit dem SPD-Co-Chefin Saskia Esken in der Händel-Halle in Halle an der Saale begrüßt wird, fällt mäßig aus. Sollte das die Sozialdemokratin verunsichert haben, lässt sie es sich nicht anmerken. Sie ist zu Besuch beim Bundeskongress der SPD-Jugendorganisation Jusos. Und die sind sauer. "Ihr wart immer die fordernde Stimme in unserer Partei", kommt Esken schnell auf den Zwist zu sprechen. Die Jusos seien nicht immer bequem, aber das sei auch gut so. Es irritiere sie allerdings, dass der Jugendverband Führung statt Revolution bestelle.

Eine Irritation, die der Juso-Vorsitzende Türmer nicht nachvollziehen kann. Ihm habe der Plan und auch die Führung der Parteispitze in der Debatte um die K-Frage gefehlt. Es gehöre dazu, dass Diskussionen gelenkt und angeleitet würden – um so am Ende Einigkeit erreichen zu können. "Geschlossenheit, die aus Einigkeit resultiert, ist eine starke Geschlossenheit."

Geschlossenheit, die aus Alternativlosigkeit resultiere, sei das nicht, stellt Türmer klar. Einmal mehr wird an diesem Wochenende deutlich: Kanzler Olaf Scholz ist für die Jusos nicht der Kandidat der Herzen.

Esken räumt Fehler der Ampel ein

Und auch Esken, die Parteivorsitzende, die die Jusos bei ihrer ersten Kandidatur um den Posten unterstützt hatten, hat offenbar an Rückhalt innerhalb der Jugendorganisation verloren. Auch wenn der Parteinachwuchs ihr zugutehält, dass sie sich – anders als ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil – der Debatte stellt.

Drei Fehler räumt Esken mit Blick auf die Regierung der vergangenen drei Jahre ein: So habe man sich darauf eingelassen, die Ampel-Regierung von Beginn an völlig zu überhöhen. Zur Erinnerung: Zu Beginn der Sondierungen stand ein Selfie von Annalena Baerbock und Robert Habeck (beide Grüne) sowie Volker Wissing (mittlerweile parteilos) und Christian Lindner (FDP), seit dem Koalitionsvertrag hat sich die neue Regierung selbst als "Fortschrittskoalition" bezeichnet. Mit dieser Überhöhung habe man sich auch selbst darüber hinweggetäuscht, welche Probleme nicht geklärt werden konnten. Nicht alles lasse sich weglächeln.

Als weiteren Fehler nennt Esken das Vertrauen in die FDP und die Übertragung staatsmännischer Verantwortung an Christian Lindner und seine Partei. Das hätte man nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen 2017 besser wissen müssen, räumt Esken ein.

Als folgenreichsten Fehler nennt sie das Versäumnis, die Menschen bei den notwendigen Transformationsprozessen mitzunehmen und ihnen zu zeigen, wie die Sozialdemokratie diesen Wandel gestalten will. Auch während ihrer Rede bleibt es in der Halle auffällig still. Ein großer sozialpolitischer Wurf nach 16 Jahren konservativ geführter Regierung sei nicht möglich gewesen, räumt sie ein.

Esken will Fokus auf Inhalte legen – Jusos mit klarer Programmatik

Esken blickt nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch nach vorne. Was von Christian Lindner (FDP) und Friedrich Merz (CDU) für die Zukunft propagiert werde, würde aus ihrer Sicht die Ungleichheit in Deutschland weiter zementieren.

"Neoliberale Konzepte der 90er-Jahre würden unserem Land massiv schaden", sagt sie. Deshalb müsse die SPD um progressive Mehrheiten kämpfen – "die Union wird deshalb versuchen, Inhalte aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun."

Sie räumt allerdings auch ein: Bei der Nominierung ihres Kanzlerkandidaten hat die SPD kein gutes Bild abgegeben. Mit diesem Satz kommt Esken endlich in der Halle an. Die Jungsozialistinnen und -sozialisten klatschen so laut und so lange, dass die Parteichefin Schwierigkeiten hat, die Aufmerksamkeit zurück auf ihre Rede zu lenken.

Sie verteidigt die Entscheidung: Scholz, zeigt sie sich überzeugt, ist der Kandidat, der gegen Merz gewinnen kann. Denn anders als der CDU-Chef habe der SPD-Kanzler bereits Regierungserfahrung gesammelt und sei sturmerprobt.

Juso-Vorsitzender fordert 91 Tage vollen Fokus auf Themen

Juso-Chef Türmer hat in seiner Erwiderung einen anderen Vorschlag: Nach dem Scheitern der Ampel "muss aus Olaf dem Kanzler Olaf der Kanzlerkandidat der SPD werden". Was es dafür brauche, sei eine Veränderung der Tonalität und Programmatik. Und man müsse sich eingestehen, dass nicht alles so geklappt hat wie geplant.

Die Debatte um die K-Frage sei nun vorbei, jetzt erwarte er von der Parteispitze eine klare Strategie. "Ein bisschen Frieden war vielleicht mal ein Song, mit dem wir den Eurovision Songcontest gewonnen haben – aber das ist keine Wahlkampfstrategie."

Stattdessen müsse es darum gehen, die verbleibenden 91 Tage den Fokus voll auf die aktuellen Debatten zu legen. "Wir haben 91 Tage Zeit, das kann klappen, wenn ihr euch zusammenreißt", stellt Türmer klar. Die Nachwuchsorganisation hat auf ihrem Bundeskongress ein Jugendwahlprogramm beschlossen. Darin sind Punkte enthalten, die die Jusos auch im Wahlprogramm der SPD sehen wollen: ein Investitionsprogramm in Höhe von einer Billion Euro, die Abschaffung der Schuldenbremse, eine Vermögenssteuer und die Entlastung normaler Einkommen sowie eine WG-Zimmer-Garantie.

Verwendete Quellen

  • Besuch des Bundeskongresses der Jusos
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