"Verantwortung für Deutschland" lautet die Überschrift des Koalitionsvertrags. Doch wie sieht es mit der Verantwortung für andere Länder aus? Die Entwicklungsexpertin Anna Katharina Hornidge erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum die Koalition dort die falschen Prioritäten setzt.

Ein Interview

Nach dem Rückzug der USA aus der Entwicklungszusammenarbeit ist vieles in Bewegung. Mit Spannung wurde deshalb das Kapitel zur Entwicklungspolitik im deutschen Koalitionsvertrag erwartet.

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Anna-Katharina Hornidge hat verschiedene Parteien zur Entwicklungspolitik beraten und bewertet im Gespräch mit unserer Redaktion, ob der Koalitionsvertrag den Herausforderungen gerecht wird.

Frau Hornidge, die Entwicklungspolitik der neuen Regierung soll laut Koalitionsvertrag werte- und interessengeleitet sein. Steht sich das nicht gegenseitig im Weg?

Anna-Katharina Hornidge ist Wissens- und Entwicklungssoziologin und Direktorin des deutschen Instituts für Entwicklung und Nachhaltigkeit. (Archivbild 2023) © dpa/Annette Riedl

Anna-Katharina Hornidge: Beides zusammen zu denken, ist der einzige realistische Weg. Wichtig ist, die Interessen und Werte der Partner im Blick zu haben. Mit China teilen wir zum Beispiel klimapolitische Interessen. In Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte ist der Austausch aber immer wieder von Differenzen geprägt.

Sehen Sie im Koalitionsvertrag eine Tendenz, was der nächsten Regierung wichtiger ist: Werte oder Interessen?

Ablesen lässt sich eine thematische Einengung der Entwicklungspolitik. Das ist sehr stark an den deutschen Eigeninteressen orientiert und dadurch nicht mittel- und langfristig gedacht.

Was meinen Sie damit?

Im Koalitionsvertrag finden sich sehr transaktionale Teile. Also: Ich gebe dir was, wenn du mir was gibst. Viele Länder brauchen aber Unterstützung, ohne dass immer gleich eine Gegenleistung erwartet werden kann. Deutschland muss anerkennen, dass wir beispielsweise sehr viel mehr zum Klimawandel beigetragen haben als viele Länder, die jetzt stark darunter leiden. Auch geht der Wohlstand Europas auf eine koloniale Vergangenheit zurück, der wir weiterhin gerecht werden müssen. Da sollten in den Partnerschaften gegenseitige Bedürfnisse und Perspektiven anerkannt werden. Diese Logik der Solidarität kommt mir im Koalitionsvertrag zu kurz.

"Sonst werden unsere Werte und Interessen gerade in Afrika nicht geteilt, und die Länder dort wenden sich anderen Mächten wie Russland oder China zu."

Anna-Katharina Hornidge

Wäre so eine Solidarität in deutschem Interesse?

Wir sind auf Partnerschaften mit Ländern auf allen Kontinenten und aller Einkommensgruppen, also reich und arm, angewiesen. Sonst werden unsere Werte und Interessen gerade in Afrika nicht geteilt, und die Länder dort wenden sich anderen Mächten wie Russland oder China zu.

Steht dafür genug Geld zur Verfügung? Im Vertrag steht, dass die ODA-Quote, die die öffentlichen Entwicklungsleistungen gemessen am Bruttonationaleinkommen angibt, "angemessen abgesenkt" werden soll.

Die Absenkung sollte vermieden werden. Gleichzeitig: Was unter "angemessener Absenkung" zu verstehen ist, muss man noch abwarten. Gerade die mittel- und langfristigen Investitionen in Gesundheits-, Sozial- und Bildungssysteme ärmerer Länder sind wichtig. Es gilt, Gesellschaften zu stabilisieren und Zukunftsmöglichkeiten vor Ort zu entwickeln. Auch betrifft ein Teil der ODA-Hilfe die humanitäre Hilfe. Hier wäre es angesichts der weltweiten Krisenlagen sehr kurzfristig gedacht, wenn man nicht mehr in der Lage wäre, zum Beispiel Hilfe für Erdbeben-Regionen wie in Myanmar zu leisten.

Zumal sich mit den USA ein großes Geberland aus der Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet hat.

Die Lücken, die die USA hinterlassen haben, wollen geschlossen werden. Ob die Koalition dem Bundesentwicklungsministerium (BMZ) die Mittel dafür gibt, ist noch offen. Erstmal ist es gut, dass das Ministerium überhaupt erhalten bleibt.

Die Union hatte gefordert, das BMZ abzuschaffen. Nun wird der Fokus vor allem auf den Zugang für deutsche Unternehmen gelegt. Ist das der richtige Fokus?

Die Fokussierung auf die Unterstützung der deutschen Unternehmen kann auch eine Kehrseite haben. Manchmal leidet dann das Schaffen von Strukturen vor Ort. Das ist sehr zu bedauern – auch aus der Perspektive der Entwicklungsforschung.

Warum?

Demografisch gesehen liegt die Zukunft der Weltbevölkerung in Afrika und Asien. Deshalb wird es in den kommenden Jahrzehnten darum gehen, massiv Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen.

Deutsche Unternehmen könnten doch Arbeitsplätze in diesen Regionen schaffen.

Das ist richtig. Der Koalitionsvertrag nimmt diese Differenzierung jedoch nicht vor. Ich würde es der Regierung durchaus nahelegen, dass sie Aufträge an deutsche Unternehmen so vergibt, dass Arbeitsplätze in den Partnerländern geschaffen werden. Nur so können sich die vielen jungen Menschen in Afrika und Asien vor Ort Zukunftsoptionen erarbeiten.

Über die Gesprächspartnerin

  • Anna-Katharina Hornidge ist Wissens- und Entwicklungssoziologin und Direktorin des German Institute of Development and Sustainabilty (IDOS). Das IDOS forscht zu Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsthemen und berät parteiübergreifend.