Eine erneute Präsidentschaft von Donald Trump in den USA ist ein realistisches Szenario. Für Europa hätte das gravierende Folgen, warnt der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Deutschland müsse sich schon jetzt darauf vorbereiten. Vor allem, indem es die Produktion von Waffen ankurbelt, um die Ukraine zu unterstützen.

Ein Interview

Zwei Vorwahlen der Republikaner sind bislang entschieden. Beide Male hieß der Gewinner klar: Donald Trump. Fast alle Konkurrenten Trumps im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Partei haben inzwischen das Handtuch geworfen. Nur Nikki Haley will noch nicht aufgeben. Doch realistische Chancen rechnen ihr selbst Experten nicht mehr aus.

Mehr aktuelle News

In Umfragen liegt Trump derzeit sogar vor Amtsinhaber Joe Biden, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für die Demokraten antreten wird. Bis zu den Wahlen in zehn Monaten kann zwar noch viel passieren. Dennoch pocht CDU-Politiker Norbert Röttgen darauf, die Regierung müsse sich jetzt schon auf einen Wahlsieg Trumps vorbereiten. Im Gespräch mit unserer Redaktion macht er klar: Wenn Trump gewinnen sollte, wird der Kampf um Frieden in Europa deutlich schwerer.

Herr Röttgen, wie blicken Sie auf eine mögliche zweite Amtszeit Trumps?

Norbert Röttgen: Ich mache mir große Sorgen. Trump hat seine Wahlniederlage 2021 nicht verwunden und bestreitet bis heute, dass die Wahl rechtmäßig gewesen sei. Sein Verhalten bei der Erstürmung des Kapitols, seine Sprache gegenüber den Richtern in den laufenden Prozessen gegen ihn, sein ganzes Verhalten lässt für mich nur den Schluss zu, dass der Grad seiner Aggressivität gegen das System und gegen die demokratischen Institutionen in den USA ganz außerordentlich ist. Außerdem hat sich Trumps Umfeld viel detaillierter auf eine zweite Amtszeit vorbereitet.

Könnte Trump den Rechtsstaat in den USA abbauen?

Ja. Davon muss man ziemlich sicher ausgehen. Eine zweite Amtszeit Donald Trumps wird zu einer Krise der demokratischen Institutionen und amerikanischen Demokratie führen.

"Mit Trump wird es einen völligen Bruch mit der Außenpolitik der Biden-Administration geben"

Norbert Röttgen, CDU-Außenpolitiker

Sie haben unlängst gefordert, dass die Bundesregierung sich ernsthaft auf einen möglichen Wahlsieg Trumps vorbereiten müsse. Wo sehen Sie genau Handlungsbedarf?

Als Erstes muss sich die Bundesregierung klarmachen, was im Falle eines Wahlsiegs zu erwarten wäre.

Und was erwartet uns, wenn Trump gewinnt?

Mit Trump wird es einen völligen Bruch mit der Außenpolitik der Biden-Administration geben. Das gilt vor allem für das Verhältnis zu den westlichen Alliierten in Bezug auf die Ukraine und die Russlandpolitik. Trump hat keinen Zweifel daran gelassen, dass es die Unterstützung der Ukraine durch die USA in ihrer bisherigen Form nicht mehr geben wird. Wir sehen schon jetzt, dass seine Helfershelfer im Kongress die für die Ukraine vorgesehene Unterstützung von 60 Milliarden blockieren. Das Geld wird als Geisel genutzt, um eine andere Grenzpolitik gegenüber Mexiko zu erzwingen.

Wie sollte die Regierung auf diesen drohenden Bruch konkret reagieren? Müssen die Gespräche auf europäischer Ebene zur Ukraine verstärkt werden?

Gespräche finden sowieso immer statt. Darum geht es nicht. Die Verteidigung der Ukraine ist keine Frage von Gesprächen, sondern konkret von militärischen Fähigkeiten. Die europäischen Partner müssen sich koordinieren und eine Lastenteilung organisieren. Es geht primär um die verstärkte industrielle Produktion von Waffen und Munition. Das muss eingeleitet werden, und zwar heute schon, nicht erst, wenn Trump gewählt wurde. Deutschland und die EU müssen notfalls die ausbleibende amerikanische Unterstützung ersetzen können. Sogar mehr als das. Denn bislang liefern wir zu wenig, damit die Ukraine militärisch die Oberhand gewinnen kann und infolgedessen eine politische Lösung und Frieden eine Chance haben.

Muss Deutschland sich auf eine Kriegswirtschaft umstellen?

Nein, es geht nicht um Kriegswirtschaft. Aber unsere Industrie und Rüstungsunternehmen müssen die klare Ansage der Bundesregierung bekommen: Wir brauchen mehr, darum bestellen wir mehr und garantieren Abnahme.

Könnten wir den Wegfall der militärischen Unterstützung aus den USA überhaupt kompensieren?

Die Europäer haben ein Vielfaches der Wirtschaftsleistung Russlands. Allein Deutschland hat ein doppelt so hohes Bruttosozialprodukt. Die Unterstützung scheitert nicht an wirtschaftlichen Möglichkeiten. Sie ist eine Frage des politischen Willens.

Die Bundesregierung hat schon angekündigt, dass man die Schuldenbremse aussetzen will, falls es für die Unterstützung der Ukraine nötig wird. Das ist doch eine deutliche Vorkehrung.

Nein. Die Botschaft der Bundesregierung lautet: Wir warten mal ab, was bei den Wahlen rauskommt. Und dann schauen wir weiter. Das reicht einfach nicht.

Aber angenommen, die Bundesregierung würde die Schuldenbremse aussetzen, um der Ukraine mehr Waffen zu liefern. Würde die Union mitziehen, oder wieder vor Gericht gehen?

Wir sind sicher nicht das Problem, sondern der Teil des Parlaments, der auf mehr Unterstützung der Ukraine drängt. Wir haben der Regierung auch beim Bundeswehr-Sondervermögen die Hand gereicht. Aber man muss die Schritte in der richtigen Reihenfolge machen. Die Bundesregierung muss erklären, ob sie in höherem Maße als bislang geplant Rüstungsaufträge erteilt. Und welches Finanzierungskonzept sie damit verbindet.

In der Bevölkerung gibt es ein Unbehagen gegenüber einer größeren militärischen Rolle Deutschlands. Glauben Sie, dass die Bürgerinnen und Bürger das ablegen könnten, wenn Deutschland plötzlich die militärische Rolle der USA in Europa ersetzen müsste?

Sie haben völlig recht, nicht allein die Bundesregierung ist gefordert. Aber ob wir die Rolle der USA ersetzen müssen, ist auch nicht die Frage.

"Ein Bundeskanzler hat zu sprechen – und nicht dauernd zu schweigen."

Norbert Röttgen, CDU-Außenpolitiker

Sondern?

Die Bürgerinnen und Bürger müssen entscheiden: Wollen wir alles Nötige unternehmen für die Wiederherstellung des Friedens in Europa? Wollen wir alles unternehmen, damit der Krieg sich für den Aggressor nicht lohnt? Wollen wir alles dafür tun, dass der Krieg sich nicht ausweitet und möglichst schnell beendet wird? Umfragen zufolge hält eine große Mehrheit den Kurs der Unterstützung grundsätzlich für richtig. Die Hälfte sagt sogar: Es muss mehr geschehen. Und das alles, obwohl der Regierungschef in der Kommunikation bei diesem Thema praktisch ausfällt.

Müsste der Kanzler die Menschen im Land mehr auf diese Herausforderung einschwören?

Es gehört zur Verantwortung des Kanzlers klarzumachen, wie die Regierung mit den großen Herausforderungen umgehen will. Das muss ein dauerndes Erklären, Begründen, Zuhören und Argumentieren sein. Dass das nicht stattfindet, ist mit den Pflichten des Amtes des Bundeskanzlers nicht vereinbar. Ein Bundeskanzler hat zu sprechen – und nicht dauernd zu schweigen.

Es gibt auch Befürchtungen, dass Trump, wenn er wieder Präsident wird, mit den USA aus der Nato austritt. Teilen Sie diese Sorge?

Das glaube ich eher nicht. Im politischen System der USA und im Kongress gibt es eine überwältigende Unterstützung für die Mitgliedschaft der USA in der Nato. Das kann der Präsident nicht so leicht überwinden. Trotzdem kann es zu einer Krise der Nato kommen.

Wie genau?

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Trump mit Putin einen Deal auf Kosten der Ukraine macht. Dadurch wäre die Existenz der Nato bedroht – ohne dass irgendein Kündigungsschreiben eingehen müsste. Jeder Versuch Putin auf Kosten der Ukraine zu besänftigen, würde nur dazu führen, dass der Krieg näher an die NATO-Grenzen heranrückt. Die USA würden damit als wichtigster einzelner Verbündete in der NATO die Verteidigung von Sicherheit und Frieden in Europa aufgeben. Das wäre der existenzielle Krisenfall der NATO.

Einige Stimmen fordern wegen dieses Szenarios den Aufbau einer atomaren Abschreckung in Europa. Wie sehen Sie das?

Erstens: Das wäre jedenfalls keine Lösung der jetzigen Probleme. Bevor wir Europäer dem nuklearen Potenzial Russlands Paroli bieten könnten, wird mehr als ein Jahrzehnt vergehen. Deswegen zähle ich zu denen, die sagen: Lasst uns das pragmatisch Mögliche, das Dringliche tun – nämlich die Stärkung der Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit der Europäer mit konventionellen Waffen.

Und zweitens?

Der nukleare Schutz der USA ist für uns Europäer das Beste und Wirksamste an Abschreckung, was wir haben können. Er ist auch ein ganz zentraler Baustein im transatlantischen Verhältnis, den wir von europäischer Seite aus unter keinen Umständen infrage stellen sollten.

Wenn Sie so für eine Stärkung der konventionellen Abschreckung sind: Brauchen wir eine europäische Armee?

Auch hier bin ich dafür, das politisch Mögliche zu verfolgen. Die Idee einer europäischen Armee hat mit den gegenwärtigen militärischen und politischen Realitäten in der EU nichts zu tun. Eine Europaarmee wird es daher in den nächsten zehn oder 20 Jahren nicht geben. Aber die Armeen der Mitgliedstaaten müssen näher zusammenrücken und die Rüstungsindustrie muss europäisiert werden, das sind wichtige und machbare Schritte. Wir brauchen jetzt Entscheidungen, weil die Unterstützung für die Ukraine zu gering ist. Die beste Verteidigung Europas ist derzeit in die militärischen Fähigkeiten der Ukraine zu investieren.

Über den Gesprächspartner

  • Norbert Alois Röttgen ist CDU-Außenpolitiker. Der Rechtsanwalt wurde 1965 in Meckenheim (Nordrhein-Westfalen) geboren und sitzt seit 1994 im Bundestag. Von Oktober 2009 war er bis zu seiner Entlassung im Mai 2012 Bundesumweltminister unter Angela Merkel. Von 2014 bis 2021 hatte er zudem den Vorsitzen des Auswärtigen Ausschusses inne, dem er aktuell als ordentliches Mitglied angehört.


JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.