Die Kleinstpartei Volt zieht mit insgesamt fünf Abgeordneten ins EU-Parlament ein. Welcher Fraktion sich die Pro-Europäer anschließen wollen, steht bislang nicht fest. Volt-Politikerin Nela Riehl spricht im Interview über ihre Rolle als Schwarze Frau – und die anstehende Entscheidung zwischen den Grünen und den Liberalen.

Ein Interview

Bislang war Partei-Mitgründer Damian Boeselager der einzige Volt-Abgeordnete in Brüssel, bei der Europawahl wurden jetzt insgesamt fünf Abgeordnete ins EU-Parlament gewählt: zwei aus den Niederlanden und drei aus Deutschland. Eine von ihnen ist die Hamburgerin Nela Riehl.

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Riehl kandidierte auf Platz zwei der deutschen Volt-Liste und war damit die einzige Schwarze Spitzenkandidatin in Deutschland. Bislang war Riehl Lehrerin an einer Hamburger Schule, hat Politik eher im Kleinen gemacht, wie sie es nennt: Ehrenämter, Jugendarbeit. In einer Partei war die 38-jährige vor Volt nicht. Jetzt will sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern nach Brüssel ziehen.

Sind die Umzugskisten schon gepackt, Frau Riehl?

Nela Riehl: Nein, aber das werden sie ganz bald. Gerade suchen wir ein Haus und sind dabei, die Sportvereine oder das Abo für die Bücherhalle hier zu kündigen. Lauter Kleinkram, aber letztlich geben wir gerade ein Leben in Hamburg auf und fangen ein neues in Brüssel an.

Sie haben im Vorfeld der Wahl immer wieder betont: Europa ist eine Schwarze Frau. Sie wollten zeigen, dass Europa divers ist. Was bedeutet es Ihnen, jetzt als Spitzenkandidatin ins EU-Parlament einzuziehen?

Von 96 deutschen Abgeordneten bin ich die einzige Schwarze. Das bringt Verantwortung mit sich. Ich bin ein Türöffner, das ist cool, aber so kann es nicht bleiben. Ich will das Parlament und Europa zugänglicher machen für andere BIPOCs. (Anm. d. Red.: Die Abkürzung BIPOC steht für Black, Indigenous und People of Colour)

Inwiefern können Sie als einzelne Schwarze Abgeordnete etwas an dieser Repräsentanz verändern?

Ich suche mir Themen und hoffentlich Ausschüsse aus, mit denen ich an diesen Problemen arbeiten kann. Aber auch die Besetzung meines Büros will ich möglichst divers zusammenstellen.

Mit welchen Ausschüssen liebäugeln Sie?

Außenpolitik ist ein Thema, gerade die Zusammenarbeit mit Drittstaaten interessiert viele BIPOC-Menschen. Dort haben viele von uns ihre Wurzeln. Neben den Ausschüssen gibt es auch Delegationen, und ich hoffe, dass ich in die Delegation kann, die mit afrikanischen Ländern zusammenarbeitet. Außerdem möchte ich mich für Bildung und Soziales in Europa einsetzen, auch diese Ausschüsse könnte ich mir gut vorstellen.

Nela Riehl wird nun für ihren neuen Job als EU-Abgeordnete mit ihrer Familie nach Brüssel ziehen. © Meike Küther

Sie wollen Türöffnerin sein. Was wollen Sie außer der diversen Besetzung Ihres Büros dafür tun – auch mit Blick auf die kommende Wahl?

Bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr wird es darum gehen, die Listen ebenso divers zu gestalten, wie wir es für die Europawahl hinbekommen haben. Natürlich funktioniert eine Bundestagswahl anders als die EU-Wahl, trotzdem müssen wir darauf achten, weiterhin Quereinsteigern eine Chance zu geben. Eine diverse Partei, die Chancen schafft, kann auch bei einer Bundestagswahl Menschen abholen. Ein erster Schritt ist aber die Repräsentation, das Sichtbarmachen von BIPOCs im Parlament. Mein Plan ist es, sehr transparent zu bleiben und die Menschen auf Instagram mitzunehmen.

Volt ist nun mit fünf Abgeordneten im Parlament vertreten, bislang war Damian Boeselager ein Einzelkämpfer. Was bedeutet das für die Politik, die Ihre Partei machen will?

Es wird so viel von Verdrossenheit und Nationalstaatlichkeit gesprochen, aber offensichtlich gibt es Menschen, die Lust haben auf Europa – und auf unsere Themen. Dass wir jetzt zu fünft sind, bedeutet, dass wir diese Themen besser voranbringen können. Dass wir weiterarbeiten können, an der Demokratisierung Europas und am Klimaschutz. Wir merken außerdem, dass wir mit der fünffachen Power ernster genommen werden.

Grüne oder liberale Fraktion? Volt muss sich entscheiden

Bislang hatte sich Damian Boeselager der Gruppe der Grünen angeschlossen. Mit welcher Fraktion will Volt in die kommende Legislatur starten?

Darüber verhandeln wir aktuell. Thematisch sind wir sehr nah bei den europäischen Grünen. Wir sprechen aber auch mit "Renew", also den europäischen Liberalen, zu denen auch die FDP gehört. Uns geht es um die Frage: Wo können wir unsere Themen am besten umsetzen? "Renew" ist die größere Fraktion und hat dadurch mehr Einfluss. Wir stehen aktuell zwischen den Stühlen und schauen, welche Gruppe uns das bessere Angebot machen kann.

Inwiefern?

Da geht’s zum Beispiel um die Frage: Bei welcher Gruppe bekommen wir die Ausschüsse, in denen wir wirklich an unseren Themen arbeiten können?

Der Wahlkampf von Volt wirkte mit frechen Sprüchen und einem Fokus auf Klimakrise und Asyl eher linksgerichtet. Viele Deutsche sehen Ihre Partei wohl kaum in der Nähe der FDP.

Bei den europäischen Liberalen kann man von drei Gruppen innerhalb der Fraktion sprechen: Die sehr Konservativen, die Mitte, zu der etwa die FDP gehört, und richtig progressive Liberale. Dazu gehören beispielsweise die "Democraten 66" aus den Niederlanden. Gerade diese progressiven Liberalen sind auch den Grünen sehr ähnlich und passen super zu Volt.

"Unser Auftrag ist es, eine heile und lebenswerte Welt zu hinterlassen und unsere Wahlversprechen zu halten. Das nehme ich sehr ernst."

Nela Riehl

Eine Erhebung von BUND, WWF und anderen hat ergeben, dass Volt den besten Klima-Score im EU-Parlament hat, was das Abstimmverhalten angeht. Inwiefern würde sich eine Fraktion mit den Liberalen darauf auswirken?

Gar nicht, weil wir weiterhin abstimmen dürften, wie wir wollen. Andernfalls käme es auch gar nicht in Frage, dass wir Teil der Fraktion würden. Am Ende geht es darum, Mehrheiten zu finden – auch für die eigenen Themen. Und vielleicht könnten wir bei manchen Anliegen ja sogar die Mitte der Liberalen überzeugen mitzustimmen, und die Mitte könnte dann die konservativen Liberalen überzeugen.

Und wie sieht es bei den Grünen aus?

Die Grünen sind uns thematisch näher, und wir könnten ihnen mit fünf weiteren Abgeordneten mehr Power geben – was uns wiederum zugutekommen könnte. Also: bislang ist nichts entschieden und natürlich ist unser großes Ziel, nach der nächsten Wahl 2029 eine eigene Fraktion gründen zu können.

Sie haben bei der Wahl vor allem bei jungen Menschen gepunktet. Welcher Auftrag ergibt sich daraus für Ihre Abgeordneten?

Dass wir Politik machen, die Zukunft schafft. Das heißt: Keine Kompromisse im Klimaschutz, keine Kompromisse bei der Demokratisierung der EU. Wir haben die Idee, einen "YouthCheck" für Gesetzesvorhaben einzuführen, da müssen wir uns noch überlegen, wie wir das umsetzen können. Unser Auftrag ist es, eine heile und lebenswerte Welt zu hinterlassen und unsere Wahlversprechen zu halten. Das nehme ich sehr ernst.

Sie meinten bereits, dass Volt 2025 zur Bundestagswahl antreten möchte. Ihre Partei ist außerdem in zahlreichen Stadt- und Kommunalparlamenten vertreten. Was bedeutet das Jungwähler-Ergebnis dafür?

Aktuell stellen wir fest, dass viele junge Menschen bei uns eintreten. Wir müssen zeigen: Wir sind auch lokal für die Menschen da. Und wir geben ihnen die Möglichkeit, selbst mitzumachen. Das heißt nicht, dass alle nach Europa müssen, das geht auch ganz lokal. Das jetzt ist ein Momentum der Demokratie. Jeder kann mitmachen – oder zumindest wählen gehen. Und Volt ist hier eine echte Alternative.

Zur Person

  • Die 38-jährige Nela Riehl ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Sie arbeitet seit zwölf Jahren als Lehrerin und ist ein Arbeiterkind mit deutschen und ghanaischen Wurzeln. Für Volt kandidierte sie bei der Europawahl auf Listenplatz zwei.

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