Die SPD hat bei der Europawahl ein desaströses Ergebnis von nur rund 14 Prozent erzielt – weniger als bei jeder bundesweiten Wahl zuvor. Die Klatsche fällt auf den zurück, der auf den Plakaten zu sehen war: Kanzler Olaf Scholz. Welche Gründe es für das schlechte Abschneiden gibt, welche Konsequenzen nun gezogen werden müssen und warum sich Olaf Scholz in einem Dilemma befindet, erklärt Politikwissenschaftler Christian Krell im Interview.

Ein Interview

13,9 Prozent hat die SPD bei der Europawahl geholt – und damit das schlechteste Ergebnis, das eine Kanzlerpartei jemals bei einer Europawahl eingefahren hat. Herr Krell, welches Signal sendet das?

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Krell: Das ist wirklich ein historisch schlechtes Ergebnis. Es lohnt sich dabei auf das Ergebnis von vor fünf Jahren zu schauen. 2019 holte die SPD 15,8 Prozent. Das war das Ende des Parteivorsitzes von Andrea Nahles. Sechs Tage später war sie nicht mehr Parteivorsitzende.

Solche Erschütterungen sind jetzt also auch zu erwarten?

Das glaube ich nicht – die Partei ist jetzt sehr viel konsolidierter als vor fünf Jahren. Gleichwohl wird der Druck auf den Kanzler, auf seine Kommunikation und auf seine Themensetzung steigen.

Kevin Kühnert hatte gestern Abend in der ARD noch keine abschließenden Antworten für das schlechte Ergebnis. Wie sieht Ihre Analyse aus?

Es gibt eine Reihe von Ursachen. Die Kampagne der SPD hat mit ihrer Themensetzung nicht funktioniert. Vor allem die Friedensthematik war problematisch, weil der Kanzler im Verlauf der Kampagne eine wichtige Positionierung verändert hat. Er hat nun zugestimmt, dass deutsche Waffen auch gegen Ziele in Russland eingesetzt werden dürfen. Deshalb hat ein Teil der Kampagne nicht mehr funktioniert.

Gibt es weitere Gründe?

Die Spitzenkandidatin Katharina Barley ist eine Kandidatin, die eine hohe europapolitische Kompetenz und ein sehr ausgleichendes Wesen hat. In einer Öffentlichkeitslandschaft, in der Algorithmen immer die Zuspitzung befördern, ist das problematisch. Außerdem war der Kanzlerbonus in diesem Fall kein Kanzlerbonus, sondern eher schwierig für das Wahlergebnis.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Was ist jetzt das Erste, was die SPD nach diesem Ergebnis tun muss?

Der Parteivorsitzende Lars Klingbeil hat gestern Abend bereits gesagt, die Dinge werden anders werden müssen. Die SPD muss etwas in der Themensetzung ändern. Bei Themen wie günstigerem Wohnraum, stabiler Infrastruktur und dem sozial-ökologischen Wandel muss sie das Gefühl vermitteln, dass wir zwar vor Veränderungen stehen, aber wir diese sicher für die Menschen hinkriegen. Die SPD und der Kanzler müssen in der öffentlichen Kommunikation stärker präsent sein. Es ist immer sehr klar, was die FDP und die Grünen wollen – wofür die SPD steht, wird nicht immer klar.

Geht Scholz denn richtig mit dem Ergebnis um? Die viel geäußerte Kritik lautet, er lasse das schlechte Ergebnis gar nicht an sich heran...

Scholz ist in einem Dilemma. Aus meiner Sicht weiß er sehr genau, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist und dass die SPD sich stärker profilieren muss. Zugleich sieht er sich als Kanzler und als stärkste der drei Regierungsparteien in der Rolle eines Moderators. Er versucht, auszugleichen zwischen den Regierungsparteien, um Handlungsfähigkeit zu gewährleisten und Kompromisse zu organisieren. Wenn er das macht, wenn er moderiert, wenn er ausgleicht, wenn er Kompromisse sucht, kann er zugleich die SPD nicht profilieren.

Wie wird es mit Scholz weitergehen, kann er im Amt bleiben?

Ich bin mir sehr sicher, dass Scholz weiter im Amt bleiben wird und dass niemand in der SPD daran rütteln wird, dass er weiter Kanzler bleibt. Zugleich wächst der Druck auf ihn öffentlich wie innerparteilich. Es wird darum gehen, dass seine Kommunikation klarer ist, dass er präsenter ist und einen anderen Stil in der Kommunikation entwickelt. Insgesamt ist die SPD personell im Moment sehr stabil. Ich glaube daher nicht, dass es da zu Veränderungen kommt.

Was lesen Sie noch aus dem SPD-Ergebnis?

Die politische Landschaft wird immer volatiler – die Veränderungen von Wahl zu Wahl sind immer größer und erfolgen in immer kürzerer Zeit. Prognosen sind dadurch immer schwieriger. Man sollte auch einpreisen, dass die Europawahl bei Wählerinnen und Wählern klassischerweise eine sogenannte Second Order Election ist. Sie gilt als eine nicht so wichtige Wahl, bei der man eher einen Denkzettel verpasst.

Über den Experten:

  • Prof. Dr. Christian Krell ist Politikwissenschaftler und Soziologe an der HSPV NRW und lehrt an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er ist Herausgeber der Zeitschrift "Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte"
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