Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan haben nach Einschätzung von Experten bei der Präsidentschaftswahl großen Druck auf türkischstämmige Wahlberechtigte in Deutschland ausgeübt. "Während des ersten Wahlgangs haben wir Erdogan-Anhänger gesehen, die versucht haben, Oppositionsanhänger einzuschüchtern", sagte Inci Öykü Yener-Roderburg, Politikwissenschaftlerin an der Universität Dortmund, der Nachrichtenagentur AFP.
Die Politikwissenschaftlerin beobachtete die Wahl sieben Tage lang in Essen. In der Ruhrgebietsstadt stimmten in der ersten Wahlrunde besonders viele Menschen für Erdogan, der Staatschef bekam dort rund 75 Prozent der Stimmen.
In Essen sei zu beobachten gewesen, "dass die AKP sehr dominant geworden ist und psychologischen Druck auf die Oppositionsanhänger ausübte, weil von denen nicht so viele da waren". Der Mobilisierungsaufwand, der von den AKP-Kreisen betrieben wurde, sei nicht mit dem der Anhänger der Opposition vergleichbar, sagte Yener-Roderburg.
Im Mittelpunkt dieser Mobilisierung stehe der türkische Moscheeverband Ditib. Dieser sei inzwischen "die wichtigste Quelle von AKP-Unterstützern" in Deutschland geworden. So seien während des ersten Wahlgangs Wähler organisiert zu den Wahllokalen gefahren worden.
"Wir haben in Essen Doppeldeckerbusse gesehen, die vor den Wahllokalen parkten", berichtete Yener-Roderburg. Die Busse seien von der Ditib organisiert worden. "All die Ditib-Moscheen sind inzwischen zu Wahlkoordinierungszentren der AKP geworden."
Dass AKP-Anhänger unter den in Deutschland lebenden Türken stärker verbreitet sind, hänge auch mit ihrer Sozialstruktur zusammen, sagte Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisurg-Essen. "Erdogan bekommt mehr Stimmen in sozialschwachen Milieus."
Nach Deutschland seien in den 60er Jahren vornehmlich Menschen aus schwächeren Sozialschichten aus der Türkei eingewandert. "Das waren einfache Leute aus Zentralanatolien", sagte Ulusoy. Diese Menschen neigten eher zu konservativ-religiösen Parteien wie der AKP.
"Die AKP hat in jeder Stadt Vereinsstrukturen", betonte Ulusoy. Die türkische Regierungspartei könne ihre konservativen, religiösen Wählermilieus in Deutschland damit "viel besser erreichen" als die CHP um den säkularen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu.
Wegen der hohen Bevölkerungsdichte und geringer Entfernungen in Deutschland ließen sich die Wahlberechtigten zudem "besser mobilisieren und zur Teilnahme an der Wahl bewegen", sagte Ulusoy. Bei CHP-Wählern handle es sich hingegen eher um weniger organisierte Einzelpersonen.
Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vor rund zwei Wochen findet in der Türkei am Sonntag erstmals in der Geschichte des Landes eine Stichwahl statt. Erdogan, der in der Türkei seit 20 Jahren an der Macht ist, werden gute Chancen zugeschrieben, das Land weitere fünf Jahre zu regieren. In Deutschland sind rund anderthalb Millionen Menschen wahlberechtigt. Die Wahlen für Türken im Ausland sind bereits abgeschlossen. © AFP
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