Meldungen über Massenschlägereien in Flüchtlingsunterkünften sorgen derzeit für Schlagzeilen. Verschiedene Lösungen werden diskutiert. Unter anderem wird gefordert, Flüchtlinge nach ihrer Religion zu trennen. Für populistisch und absurd hält das Lamya Kaddor. Im Interview spricht die Islamwissenschaftlerin über die Folgen - und macht einen ganz anderen Lösungsvorschlag.

Ein Interview
von Fabienne Rzitki

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Angesichts von Gewalt-Eskalationen in Flüchtlingsheimen wurde der Vorschlag laut, die Menschen nach ihrer Religion zu trennen. Was halten Sie davon?
Lamya Kaddor: Die Forderungen sind populistischer Unsinn. Ich halte nichts davon, reflexartig nach solchen Konsequenzen zu rufen. Politiker sollten so etwas nicht einfach hinausposaunen. Sie tragen schließlich gesellschaftliche Verantwortung. Dahinter steckt ja bei vielen der Gedanke, Muslime seien das Problem. Das ist Ergebnis der jahrelangen sowohl islamfeindlichen als auch islamistischen Propaganda auf der Welt. Das ist absurd. Ein Großteil der Flüchtlinge stammt aus Syrien, gerade in dieser Region kennt man seit Langem die Form des interreligiösen Zusammenlebens. Es kann nicht sein, dass wir nun religiöse und ethnische Gruppen auf deutschem Boden trennen. Wobei ich nicht bestreite, dass es religiöse Konflikte geben mag.

Was wären die Folgen von religiöser Trennung?

Eine Separierung würde den Weg zu weiteren Parallelgesellschaften bereiten. Sie würde auch dafür sorgen, dass wir Flüchtlinge in Gut und Schlecht einordnen. Und zu den Schlechten würden dann vor dem Hintergrund der aktuellen Stimmung gewiss die Muslime zählen. Das heißt, die Neuankömmlinge lernen von Anfang an problemorientierte Verknüpfungen. Das ist ein Problem für jede Integrationsbemühung. Wenn weiter versucht wird die Gesellschaft zu spalten, wird das immer fatalere Konsequenzen für unser Zusammenleben haben. Es braucht konstruktive Kritik und konstruktive Lösungsansätze, die nach vorne schauen lassen.

Wird die Religion also als Ausrede genommen?

Ja, man hätte offenbar gerne, dass die Probleme allein darin begründet lägen. Denn das wäre schön einfach und griffig. Gerade in Zeiten wachsender Islamfeindlichkeit ist es aber zu kurz gedacht und brandgefährlich, weil es nur weitere Vorbehalte schürt. Wir müssen hier, so unangenehm das für viele sein mag, vor allem über soziale und persönliche Probleme reden. Offenbar kommt es unter den Flüchtlingen zu Übergriffen auf besonders schutzbedürftige Menschen wie Frauen, Kinder und Jugendliche.

Was halten Sie davon, diese von jungen muslimischen Männern zu separieren, wie es etwa in Niedersachsen der Fall ist?

Schutzbedürftige wie alleinreisende Frauen mit Kindern und Jugendliche müssen auf jeden Fall geschützt und auch separiert werden. Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem Delikte zur Anzeige gebracht werden können. Das deutsche Recht muss hier dann auch angewendet werden.

Sind die Sorgen bezüglich religiöser Konflikte überzogen?

Die Sorgen sind nicht überzogen, aber die Forderungen und Erklärungsansätze sind es. Ich kann die Menschen verstehen, die hier Befürchtungen haben. Deswegen müssen wir ja auch unbedingt handeln und dürfen nichts schleifen lassen. Eine Trennung nach Religion und Ethnien jedenfalls gibt nur denjenigen Rückenwind, die ohnehin schon fremdenfeindlich eingestellt sind. Nach meinem Auftritt im "Morgenmagazin" des ZDF zu diesem Thema habe ich diverse Hassmails bekommen. Ich wurde beispielsweise aufgefordert, Deutschland zu verlassen und mein Kopftuch mitzunehmen. Und ich wette, nach dem Gespräch mit Ihnen wird es weitere Zuschriften geben. Genau hier liegt ein weiteres zentrales Problem. Die Haltung einiger Menschen in unserer Mehrheitsgesellschaft. An diesen Hass müssen wir endlich ran! Wir dürfen nicht immer nur auf die Zuwanderer schauen.

Wo sehen Sie die Ursachen, dass es in Flüchtlingsunterkünften zu solch massiven Auseinandersetzungen kommt?

In der Art der Unterbringung. Es wundert kaum, dass es bei 2.000 Menschen, die arge Strapazen hinter sich haben, unfreiwillig ihre Heimat verlassen mussten und nun auf engstem Raum leben müssen, zu Konflikten kommt. Das würde auch bei Deutschen, Amerikanern oder Australiern passieren. Jeder Teilnehmer einer Kinderferienfreizeit kennt doch den Begriff Lagerkoller. Viele Flüchtlinge müssen monatelang ausharren, bis sie irgendeinen Bescheid erhalten. Es dauert viel zu lange, bis was mit ihnen geschieht, bis sie was machen können, bis sie in Arbeit kommen können. Außerdem verstreicht viel Zeit, bis sie Integrationsangebote erhalten. Es wird oft so dargestellt, dass Flüchtlinge diese Angebote nicht wollten. Fakt ist doch aber, dass der Staat nicht nachkommt. Es gibt schon so lange Meldungen über zu wenige Integrations- und Sprachkurse. Das stört mich an der Darstellung. Dass der Staat hier auch Defizite aufweist, vergisst man schnell zu erwähnen.

Wie könnten Lösungsansätze in Bezug auf Gewaltvermeidung unter Flüchtlingen aussehen?

Ich habe zum Beispiel Streitschlichter vorschlagen, die vor Ort vermitteln. Das könnten gut Deutsche mit Migrationshintergrund sein, man könnte aber auch unter den Flüchtlingen selbst Personen schulen. Das gibt es so ja auch in anderen Kontexten. Es gibt Integrationslotsen und Integrationsmütter, die für ein besseres Miteinander sorgen.

Wer kann das leisten?


Dafür kann man gut die muslimischen Verbände mit ins Boot holen. Es gibt auch viele Deutsch-Syrer, die sich da gerne engagieren. Die haben eine wichtige Brückenbauerfunktion. Ich meine die Eingewanderten in zweiter, dritter Generation. Sie haben das Potenzial dafür. Es gibt viele Initiativen, die das im Kleinen schon machen. Das Wichtigste, was wir leisten müssen, ist, den Menschen zu erklären, wie unser Zusammenleben in Deutschland funktioniert, welche Werte und Gesetze wir haben.

Was kritisieren Sie an der Politik?

Wir sehen uns immer noch nicht als Einwanderungsland. Manche Politiker suggerieren den Menschen sogar, wir könnten in Zukunft eine weitgehend homogene deutsche Gesellschaft sein wie in den 50er-Jahren. Im Grunde ist so etwas Wahlbetrug. Wir müssen den Menschen die Wahrheit erzählen. Deutschland hat sich schon immer verändert, verändert sich noch und wird sich weiter verändern. Aber die Politik bereitet die Gesellschaft nicht darauf vor. Keiner hat uns darauf vorbereitet, dass viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Und bei all den Entwicklungen gerade in Syrien hätte man darauf vorbereitet sein müssen.

Es wird oft davon gesprochen, dass die Flüchtlinge unsere Werte achten müssen …

Ich halte es für problematisch, von oben herab zu diktieren, sie müssten unsere Werte annehmen, ohne vorher mal zu schauen, was denn überhaupt unsere Werte sind. Diese Forderungen sind im Grund schlicht Plattitüden. Haben wir uns denn je darauf geeinigt, welche die deutschen Werte sind? Auch ist ein Problem, dass niemand fragt, welche Werte die Flüchtlinge eigentlich haben. Vielleicht wird man ja feststellen, dass sie die gleichen Werte haben. Oder sogar weiterführende. Mit vielen gibt es sehr viele Überschneidungen. Und da, wo es keine gibt, da muss man mit den Menschen sprechen. Klar ist nur: Jeder muss sich an die Gesetze halten - egal ob Deutscher oder Ausländer.

Vizekanzler Sigmar Gabriel lässt jetzt das Grundgesetz auf Arabisch drucken. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Damit richtet er vielleicht keinen Schaden an. Aber im Endeffekt wäre es reichlich naiv zu glauben, dass Flüchtlinge das Grundgesetz studierten, und danach würden die Konflikte abnehmen. Da kommen doch keine Neandertaler zu uns. Wir tun manchmal so, als müssten wir den Leuten erst das Essen mit Messer und Gabel beibringen. Glaubt man ernsthaft, die Menschen hätten in einer globalisierten Welt mit Fernseher, Internet und Handy keinen blassen Schimmer davon, wie man in Deutschland lebt?

Zur Person: Lamya Kaddor ist Tochter syrischer Einwanderer. Die Religionslehrerin und Islamwissenschaftlerin gründete im Jahr 2010 den "Liberal-Islamischen Bund", dessen Vorsitzende sie ist. 2011 wurde sie von der Bundesregierung mit der Integrationsmedaille ausgezeichnet. Bekannt ist sie vielen durch ihr Buch "Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen".



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